Am 11. Oktober dürfen 1,4 Millionen Wiener darüber abstimmen, wer die Hauptstadt in Zukunft regiert. Oder realistischer gesagt: Wer mit Michael Ludwig mitregieren darf. Ich bin kein Anhänger des taktischen Wählens, aber der Wahlsieger ist selten so eindeutig wie in Wien, wo die größte Oppositionspartei zurecht kollabiert ist. Aber nicht nur Wahlsieger sind spannend - darum ein kurzes Update zur Wien-Wahl aus strategischer Sicht.
Am meisten gewinnt wohl die ÖVP
Am interessantesten eigentlich die Ausgangslage der ÖVP. Denn eigentlich gibt es viele Punkte, die bei dieser Wahl für ein gutes Ergebnis für sie sprechen:
Sebastian Kurz
Die allgemeine Beliebtheit der Bundesregierung
Das katastrophale Ergebnis beim letzten Mal, als Manfred Juraczka im Wahlkampf auf Dauerbrenner-Themen wie das Gymnasium, Autos und die Transsibirische Eisenbahn setzte
Und dann gibt es eigentlich nur einen Grund, der gegen sie spricht:
Gernot Blümel
Jeder weiß, dass Gernot Blümel Finanzminister ist, bleibt und als Kurz-Apostel auch keine Ambitionen hat, sich abseits von der türkisen Gang mit Stadtpolitik zu befassen. Er ist Kandidat schlicht und einfach, weil es jemanden braucht und die ÖVP in Wien nicht stark genug ist, um Personen mit “Landeshauptmann-Format” aufzubauen und zu fördern, wie z. B. in Salzburg, Oberösterreich oder der Steiermark. Und den Blümel kennt man eben, also macht es eben der Blümel. Der Wahlkampf ist darauf aufgebaut, möglichst viele Sebastian Kurz-Beliebtheitsprozente zu holen.
Blümel als überraschender Lieblingsgegner
Interessanterweise wählen viele Parteien eben genau Gernot Blümel als Lieblingsgegner aus.
Aus Sicht der SPÖ macht es doppelt Sinn, sich im Wahlkampf auf Blümel zu konzentrieren. Als zweitstärkste Partei ist die ÖVP die größte Gefahr für die rote Mehrheit, und die Bundesregierung ohne rote Beteiligung zündelt regelmäßig gegen Wien. Außerdem wird die SPÖ Wien als einer der letzten Teile der Partei wahrgenommen, die nach wie vor kampagnenfähig sind - und das muss man vor allem der ÖVP beweisen, die da die letzten Jahre aufgeholt hat.
Die Grünen wollen weiter mit der SPÖ regieren und haben daher ein Interesse daran, sie nicht zu attackieren. Das Dilemma: Sie koalieren im Bund mit der ÖVP. Birgit Hebein löst das, indem sie die weniger die Bundespolitik angreift, sondern mehr die Rhetorik der Volkspartei, die eher an Freiheitliche erinnere. Man kann der ÖVP vorwerfen, die FPÖ rechts überholen zu wollen, ohne Kritik an konkreten politischen Maßnahmen zu äußern. Schwierig, aber es scheint zu funktionieren.
Die FPÖ geht ironischerweise auf die gleiche Erzählung ein wie die Grünen: Dass die ÖVP sie rechts überholen wolle. Mit dem Unterschied, dass Dominik Nepp meint, dass das unseriös sei und er der “echte Rechte” sei. Ansonsten ist es der gleiche Wahlkampf wie seit gefühlt 500 Jahren: “Daham statt Islam”, “dem Ludwig sein Wien” (Satzbau ist an die Wähler angepasst) und Warnungen vor der letzten Möglichkeit, Wien zu retten.
Unwahrscheinlich: ÖVP-FPÖ oder rote Absolute
“Alle gegen Blümel” möchte man meinen - wenn sich nicht die NEOS auf die SPÖ einschießen würden. Und das macht auch Sinn, immerhin hat die ÖVP - zumindest auf dem Papier - mehr mit ihnen gemeinsam, und die NEOS wählt man auf Basis der Umfragewerte tendenziell für Oppositionsarbeit. Christoph Wiederkehr positioniert sich klar als Kritiker der Stadtregierung, will aber gleichzeitig nicht das Szenario hören, eine Schwarz-Blaue Koalition gegen Ludwig zu stützen.
Das Szenario ist unglaublich unwahrscheinlich. Nicht nur, dass 100 % der NEOS-Wähler der Partei den Rücken kehren würden, wenn sie nicht nur die ÖVP, sondern auch die FPÖ unterstützen - gegen die überlegene Mehrheit von Ludwig wird sich wohl keine Koalition ausgehen. Wahrscheinlicher ist da noch das Szenario einer absoluten Mehrheit. Und das geht so:
Die SPÖ gewinnt dazu durch eine Mischung aus “Michael Ludwig”, “Wien lebenswerteste Stadt”, “Corona gut bewältigt” und “Konkurrenz ist schwach”.
Die FPÖ stürzt komplett ab.
Strache, LINKS und die Bierpartei schaffen den Einzug in den Gemeinderat nicht, holen aber gemeinsam 5-7 %.
Damit würde die Latte für eine absolute Mandatsmehrheit unter 50 % sinken, da viele ihre Stimme “verschwendet” hätten - und die SPÖ könnte mit 46 oder 47 % schon alleine regieren. Das ist aber fast so unrealistisch wie Schwarz-Blau-Pink - aber wenn es passiert, you heard it here first.
Ausblick und Stuff to Watch
Soviel zur Ist-Analyse - hier noch ein paar Dinge, die ich besonders interessant finde und auf die wir am Wahltag schauen sollten.
Die Grünen geben im Bund gerade ihre Prinzipien auf und Birgit Hebein ist keine charismatische Kandidatin - wie viele Grüne werden diesmal zur SPÖ wandern?
Wenn Strache den Einzug schafft, beginnt eine lange Leidenszeit für die FPÖ. Wenn er es in Wien nicht schafft, ist er wohl endgültig gescheitert. Wenn er es schafft, überlegt er wahrscheinlich auch anderswo einen Antritt - und spaltet das rechte Lager auch die nächsten Jahre.
Bislang gewinnen die NEOS zwar immer dazu, aber nie wirklich stark. Schaffen sie es diesmal mit einem vergleichsweise unbekannten Spitzenkandidaten, das Meinl-Reisinger-Ergebnis zu halten oder sogar zu verbessern?
Könnte die Bierpartei nach einem Einzug in den Gemeinderat das Zünglein an der Waage für eine Dreierkoalition werden, wenn man ihr einfach das Donauinselfest gibt?
Insgesamt dürfte es darauf hinauslaufen, dass Ludwig ein starkes Ergebnis erzielt und mit den Grünen weitermacht. Vielleicht ändert sich das Machtverhältnis in der Koalition, aber mehr sollte sich normalerweise nicht ändern. Die Rechtsparteien (ohne Blümel) sind zu schwach, um eine Rolle zu spielen, und Blümel hat zu wenig Interesse an Wien - eine Ludwig-Ruck-Koalition wäre eine Koalition ohne den Spitzenkandidaten der zweitgrößten Partei.
Dass ich die NEOS wähle, dürfte regelmäßigen Lesern bekannt sein und ich muss das seit meinem Wechsel in die PR auch nicht mehr hinter einem Cliffhanger verstecken. Kurze Antwort, warum: Anti-Korruption, Bildung, gscheite Leute, Ausschlussverfahren. Aber das soll euch nicht davon abhalten, zu wählen, was ihr für richtig haltet, oder noch schlimmer: Am Wahltag taktisch zu denken.
In diesem Sinne: Wer Bier will, muss Bier wählen. Freundschaft!
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