Warum die Politik so ist, wie sie ist
Wütend, inhaltsleer und populistisch – woher kommt diese Stimmung?
Eines der offensichtlichsten, und doch scheinbar geheimsten Geheimnisse der politischen Kommunikation: Menschen zu beleidigen ist in der Regel eher unsympathisch.
Und doch scheint unser aktueller politischer Diskurs aus wenig anderem zu bestehen als aus Angriffen. Schon Sebastian Kurz hat das „gegenseitige Anpatzen“ kritisiert, während er mit Steuergeld Umfragen frisieren ließ, um den Gegner anzupa– … see? Ich komm nicht mal in Fahrt, wenn ich versuche, das zu vermeiden.
Schon als ich im Journalismus war, habe ich mich gefragt, warum – Achtung, Verallgemeinerung – „die Politiker das so machen“. Mittlerweile, da ich selbst „in der Politik“ bin, wenn auch nicht als Mandatar, glaube ich, ein paar Gründe dafür gefunden zu haben.
1. Wir stellen die falschen Fragen
Als ich im Journalismus war, nahm ich es als Kompliment, von allen Seiten kritisiert zu werden. Nach dem Motto: Wenn man den Linken zu rechts und den Rechten zu links ist, hat man wohl irgendwas richtig gemacht. Eine bequeme Ansicht, weil sie einem oft das Gefühl gibt, recht zu haben – immerhin wird man auf Twitter (it’s still Twitter to me) von allen Seiten angefuckt, völlig egal was man sagt.
Das Problem ist: Ich glaube mittlerweile, dass diese Meinung falsch ist. Denn oft – und das ist nur schwer einzugestehen, wenn man sich für den äquidistanten Gatekeeper hält – haben auch „die in der Politik“ einfach recht. Und dann hat man eben nicht automatisch recht, nur weil man denen Konter gibt.
Klingt jetzt alles nach Politik-Propaganda, ich weiß. Nur weil wir bei NEOS sagen, dass die scheinheilige Neutralitäts-Position der Bundesregierung uns nicht schützt, heißt das noch nicht, dass es wahr ist. Ich halte es für wahr, und ich glaube, dass ich das auch gut begründen kann – aber es ist nicht die Aufgabe des Journalismus, uns da nachzureden und dem Volk die frohe Botschaft auszurichten, dass nur die NEOS es verstanden haben. Das ist mir schon klar.
Aber gleichzeitig kommt mir vor, dass dieser Konflikt eben nicht nur aus einer bequemen Position der scheinbaren Mitte beobachtet wird – er wird auch geschürt. Die Fragen, die gestellt werden, beziehen sich auf „Politik-Politik“, auf Taktik und Kommunikation. Gefragt wird, wie man den Gegner findet, und ob das nicht alles sehr furchtbar sei. Das Schlechte wird gesucht und groß gemacht, das Gegeneinander ist Dauerthema, Erfolge bleiben komplett auf der Strecke.
Das gilt übrigens für alle Parteien. Wenn es um uns NEOS geht, redet man viel zu wenig darüber, dass sich ohne uns nichts geändert hätte bei der Abschaffung der Kalten Progression, beim Ausbau der Kinderbetreuung oder beim Thema Bildung ganz generell. Aber auch die Bundesregierung – und ich kritisiere sie auch oft und gerne – kriegt keine Verschnaufpause, um sich über die (wenigen) guten Dinge, die sie wirklich umgesetzt haben, zu freuen. Es gab auch positive Dinge in dieser Legislaturperiode, aber darüber redet keiner.
Und jetzt kann man natürlich sagen: Warum eigentlich nicht? Warum macht ihr das nicht, liebe NEOS, wo ist die Wertschätzung geblieben? Die Antwort ist, fürchte ich: Wertschätzung wird einfach nicht nachgefragt.
2. Wertschätzung interessiert keinen
Du kannst im Parlament loben, wenn gelobt gehört. Aber dann wird dir dieses Lob nur von anderer Seite wieder zurückgeworfen. Wenn ich lobe, dass ich das Klimaticket gut finde, können mir SPÖ und FPÖ vorwerfen, unkritisch gegenüber der Regierung zu sein – und Opposition ist auch ein Wettbewerb darum, wer die Unzufriedenen am besten abholen kann. Umgekehrt wird niemand, der das Klimaticket auch gut findet, jetzt wegen diesem ehrlichen Lob NEOS wählen. Der wählt dann wahrscheinlich weiterhin die Grünen, er ist ja zufrieden.
Es gibt also rein spieltheoretisch keinen Grund, auch nur ein gutes Haar am Gegner zu lassen. Was aber keine gute Idee sein kann. Man wird es kaum glauben, aber sogar die FPÖ ist nicht nur böse. Ich habe persönlich schon einen guten FPÖ-Lokalpolitiker kennengelernt, ich habe das ein oder andere gute Gespräch mit Blauen geführt und mir wird gesagt, dass sie in Zeiten der türkis-blauen Regierung zumindest etwas mehr Interesse am Parlament hatte. Eben weil sie wusste, wie es ist, wenn alles nur vertagt wird.
Und selbst wenn man sich dagegen hinwegsetzen will: Man bekommt auch schlicht und einfach keine Bühne dafür. Bei einer Pressekonferenz, in der die Regierung gebasht wird, wird mehr Medienpräsenz vor Ort sein, als wenn die Regierung gelobt wird. „Politik-Politik“, Wahlkampf und Krawall zählen – die gute alte „Sachpolitik“, also die inhaltliche Dimension, um die es eigentlich gehen sollte, zieht wesentlich weniger. (Übrigens auch, weil manche im Journalismus ungefähr 300 Jahre alt sind und nach wie vor so tun, als gäbe es nur zwei Parteien in diesem Land. Aber das ist ein anderes Thema.)
3. Die Arena ist unattraktiv geworden
Und der dritte Grund kommt mir in letzter Zeit immer häufiger unter, weil ich langsam auch zumindest semi-öffentlich exponiert bin. Ich werd jetzt gar nicht so tun, als wär das ein Humblebrag: Ich hatte vor Kurzem meine Fernseh-Premiere bei Puls24, worauf ich schon ein bisschen stolz bin, und hab danach sehr viele Nachrichten bekommen. Aber die Reaktionen darauf zeigen mir auch, was in unserer Debatte falsch läuft.
Mein früherer Nachbar aus Salzburg hat mich darauf angesprochen und meinte, dass ich „noch nicht wie ein Politiker“ rede. Ich dachte zuerst er meint, dass ich nicht in nichts-sagenden Stehsätzen rede – was ja noch ein Kompliment wäre –, aber nein, ich war wohl nicht angriffig genug. Müssen Politiker angreifen? Muss ich wütend sein? Ist es falsch, einfach die Fragen zu beantworten?
Einige andere haben mich gefragt, für was ich kandidieren werde. Als ob ich das nur deswegen machen würde, weil ich jetzt „Politiker werden will“. Ich nehm das ja als Kompliment, dass mir da Chancen zugetraut werden, aber die ehrliche Antwort ist, dass mir ein Mandat wahrscheinlich nicht mal sonderlich gefallen würde, selbst wenn ich das Gefühl hätte, dass ich könnte. Aber der Link wird also noch weiter: „Wer in die Politik will, muss angriffig sein – sonst hat man keine Chance“.
Und dazu kommt noch unsere Kultur der Scheindebatte. Als unser Abgeordneter Gerald Loacker letzte Woche angekündigt hat, nicht mehr kandidieren zu wollen, gab er als Grund auch an, die Politik sei „zwischen Debatten über türkise Burger-Sager und rote Verfassungspläne zur Begrenzung der Teuerung derzeit kein interessantes Arbeitsfeld für Leute, die ernsthaft arbeiten wollen“. Ich verstehe das – auch mich zermürbt es, ernsthaft etwas verändern zu wollen, während die SPÖ schönes Wetter und das gute Leben für alle in die Verfassung schreiben will, ohne einen Plan zu haben.
Kurz gesagt: Es ist einfach relativ scheiße, in der Politik zu sein. Die Erwartungen sind nicht nur hoch, sondern auch widersprüchlich, die Anreize gehen ganz klar in Richtung Frontalangriff, und so etwas wie einen „taktisch korrekten Move“ gibt es sowieso nicht. (Mal abgesehen davon, dass ich es bei politischen Aussagen mit Matthias Strolz halte: Scheiß auf Taktik.)
Fazit
Wer in der Politik ist, von dem wird also erwartet, dass man angriffig ist. Und das, obwohl sich gefühlt alle über die mangelnde Wertschätzung in der Politik beschweren. Die man nie mitbekommen würde, weil es kein Mikrofon dafür gibt. Und die einem vorgeworfen wird, wenn sie doch zu einem durchdringt. Und mal abgesehen davon ist der politische Diskurs mittlerweile so populistisch und das Personal der Großparteien so intellektuell ausgedünnt, dass es auch unter normalen Umständen schwer wäre, nicht verrückt zu werden.
So erkläre ich mir zumindest, warum man in der Politik leicht zur Zynik neigt, warum unsere politische Debatte so aufgeheizt ist. Viele können einfach nicht aus ihrer Haut. Und um das zu ändern, bräuchte es ein in Österreich unrealistisches Szenario.
Eine starke, unabhängige Medienlandschaft – die niemanden hochschreibt, keinen unrealistischen Hype auslöst, in der Regel sachlich nachfragt und nicht das permanente Gegeneinander schürt.
Politikerinnen und Politiker mit Integrität, die 1) wirklich etwas wollen, 2) zu ihrer Meinung auch dann stehen, wenn sie unpopulär ist und 3) sie gut und sachlich begründen können, ohne Populismus und Scheindebatten.
Bürgerinnen und Bürger, die diese sachliche Politik tatsächlich nachfragen, Wahlprogramme lesen und vergleichen, Medien kritisch konsumieren und nicht jeden Schmäh fressen. Und die Menschen in der Arena eine Chance geben.
Solange wir das nicht haben, wird es schwer bleiben – und aufgeheizt. Aber ich versuche, mir die Lust daran nicht nehmen zu lassen. Neben Matthias Strolz halte ich es nämlich auch mit Teddy Roosevelt, von dem eines meiner Lieblingszitate stammt:
“It is not the critic who counts; not the man who points out how the strong man stumbles, or where the doer of deeds could have done them better. The credit belongs to the man who is actually in the arena, whose face is marred by dust and sweat and blood; who strives valiantly; who errs, who comes short again and again, because there is no effort without error and shortcoming; but who does actually strive to do the deeds; who knows great enthusiasms, the great devotions; who spends himself in a worthy cause; who at the best knows in the end the triumph of high achievement, and who at the worst, if he fails, at least fails while daring greatly, so that his place shall never be with those cold and timid souls who neither know victory nor defeat.”
– Theodore Roosevelt
In diesem Sinne: Heiter weiter. 😉
Noch mehr Lesestoff Content
📺 Heute nicht zum Lesen, aber was zum Sehen: Mein Fernseh-Debut bei Puls24. Ich war bei „Wild Umstritten“ zu Gast. Theoretisch sollte das ja einfach sein, immerhin hab ich Menschen aufs Fernsehen vorbereitet – aber in der Praxis ist das doch nochmal ganz anders. Ich freue mich auf konstruktives Feedback oder inhaltliche Diskussion als Antwort auf diesen Newsletter.
🎧 Und noch was auf die Ohren: Der neue Materie-Podcast mit Matthias Strolz. Geht zwar in Richtung Überlänge, aber wir hatten auch extrem viel zu besprechen – von Bildungspolitik über Cannabis und TikTok bis zur autoritären Wende und der Frage, was eigentlich alle bisherigen Jobs von Matthias gemeinsam hatten. Und ein neues Intro, extra für diese Folge. Ich glaube, sie ist gut geworden.
🥂 Und noch was – zum Vorbeikommen. Diesen Freitag diskutieren wir – das sind Niko Alm und ich – mit Anna Schneider über ihren Freiheitsbegriff. Eintritt ist frei, einfach vorbeikommen, alle Infos findet ihr auf materie.at/events.
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Eine traurige, aber interessante Statistik zu Antisemitismus in Österreich.
Rechte und Islamisten treffen sich beim Thema Judenhass.
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Für alle die im Internet aufgewachsen sind: Easy.