Was ist dran an der #oevpkrise?
Chatverläufe machen der ÖVP Schwierigkeiten. Aber auch langfristig?
Es gibt auf Twitter einen Hashtag, der in letzter Zeit immer öfter trendet: #oevpkrise.
Und man muss nicht lange überlegen, warum. Die letzten Monate beschäftigen uns zwei Themen: Corona und shady Geschichten aus der schwarzen Reichshälfte. Ich muss dabei natürlich - nicht nur aus juristischen Gründen - auch darauf hinweisen, dass bislang nichts strafrechtlich Relevantes passiert ist. Aber die Chatprotokolle, die Zufälle mit schlechter Optik, die Enthaltungen in den U-Ausschüssen häufen sich und legen den Eindruck nahe, dass die ÖVP nervös wird.
Es gibt aber natürlich auch andere Meinungen.
Valentin Petritsch macht da aber auch nur seinen Job als Sprecher des ÖVP-Wirtschaftsbundes. (Er macht ihn übrigens auch gut - ich habe ihn im ÖH-Wahlkampf 2017 noch als AG-Sprecher kennengelernt. Der steile Aufstieg zeigt wohl, dass er zu den Talenten der Partei zählt. Aber nur als Gossip-Side-Note.) Ich will aber auch niemandem vorwerfen, die Interessen der eigenen Partei oder des eigenen parteinahen Arbeitgebers zu vertreten. Aber es geht darum: Wie viel ist eigentlich dran an der #oevpkrise?
Was auf eine ÖVP-Krise hinweist
Vielleicht eine kurze Zusammenfassung, was wir in den letzten Wochen und Monaten neu gelernt haben. Angefangen mit der neuesten Wendung:
Thomas Schmid, der Chef der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG), durfte sich die Ausschreibung für den Job selbst formulieren. Chatprotokolle zeigen, dass Kurz davon wusste und ihn - trotz anfänglicher Bedenken - dort platzieren ließ. Die Stelle, die Österreichs Beteiligung an Unternehmen wie Verbund und OMV managt, ist also ein Fall von Postenschacher. Mehr dazu hier.
Der Finanzminister der Republik konnte sich zuerst im U-Ausschuss nicht daran erinnern, ob er einen Laptop besessen habe. Als eine Hausdurchsuchung bei ihm stattfand, war dieser Laptop mit seiner Frau im Park spazieren. Davor hatte Blümel Kontakt mit Novomatic - der Chef des Glücksspielkonzerns brauchte Hilfe bei einem Problem in Italien. Auch über Spenden wollte man reden. Der Verdacht lautet: Wollte sich da jemand eine politische Hilfeleistung kaufen? Es gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Mehr dazu hier.
Beim Maskenhersteller Hygiene Austria, der chinesische Masken als österreichische ausgab, gibt es spannende Connections zum Bundeskanzler. Mehr dazu hier.
Gleichzeitig hören die Probleme beim Impfen nicht auf. Nachdem die Bundesregierung nicht alle Impfdosen bestellt hat, die sie bestellen konnte - in einem EU-weiten Prozess, in dem sich alle einbringen konnten - hat kurz nun, nachdem zu wenige Leute geimpft werden, endlich entdeckt, dass wir da ein Problem haben. Schuld sind wahlweise die EU, die Grünen, die Reiserückkehrer aus dem Ausland oder Clemens Martin Auer. Dabei hat Österreich nicht nur einfach zu wenig bestellt, sondern sogar einen Kostendeckel auf Impfungen festgelegt. Mehr dazu hier.
Davor war doch auch noch was, oder? Richtig: Arbeitsministerin Christine Aschbacher musste zurücktreten, da ihre Arbeit eine - gelinde ausgedrückt - sehr schlechte Zusammenstellung aus Plagiaten war. Mehr dazu hier.
Das ist nur eine kleine Liste aus ÖVP-Fehltritten der letzten Zeit. Man mag individuell dazu denken, was man will. In diesem Newsletter will ich mich z. B. nicht dazu hinreißen, eine Art “mediale Vorverurteilung” zu vollziehen und zu sagen, dass die eh alle korrupt und in jeder Causa schuldig sind. Aber ob das Strafrecht nun zur Anwendung kommt oder nicht, kann nicht der einzige Maßstab sein, nach dem wir uns bewegen. Alles, was da gerade in Österreich passiert, zeigt: Das System ÖVP macht immer mehr Fehler.
Die Frage aller Fragen haben wir aber noch nicht angesprochen: Wird ihr das alles letztendlich schaden?
Umfragen und Realität
Wenn wir uns die Umfragewerte anschauen, sehen wir schon, dass sich die Stimmung in den letzten Monaten verändert hat. Die ÖVP startet nach der Wahl 2019 bei 37,5 % - ein wirklich gutes Ergebnis. Im ersten Lockdown konnte sie sogar noch mehr dazugewinnen und auf 45 % steigen. Damals dachten auch viele, dass Sebastian Kurz bald wieder wählen lassen und auf die Absolute schielen könnte.
Heute kommt die ÖVP in Umfragen wieder auf etwa 35-36 %, steht also nur etwas schlechter da als im Herbst 2019. Trotzdem hat sie in den letzten Monaten immerhin um 10 % verloren und ist seit einiger Zeit im Sinkflug - zwar langsam, aber trotzdem.
Wichtig ist aber auch, wie sich die anderen Parteien bewegen. Die SPÖ kommt langsam wieder in die Nähe eines Wahlergebnisses, das den Namen “Großpartei” verdient, und steigt im selben Ausmaß, in dem die Grünen sinken. Umgekehrt sinkt die ÖVP in etwa so, wie die FPÖ und die NEOS steigen. Die Wählerpools dürften nicht 1-zu-1 sein, aber man sieht: Da verschiebt sich etwas.
Das Problem ist nur, dass vieles davon am nächsten Wahltag wahrscheinlich irrelevant sein wird. Ich kann mich an 2014 erinnern, als die Spindelegger-ÖVP abgeschlagen auf Platz 3 war. Die FPÖ stand in Umfragen auf über 30 % mit “Bürgerkanzler” Heinz-Christian Strache, die Faymann-SPÖ lag auf Platz 2 und die NEOS wirkten so, als könnten sie die ÖVP langfristig durch das “bürgerliche Lager” einholen. Bei der nächsten Wahl eroberte Kurz mit 31 % die Kanzlerschaft zurück.
Geschichten wie die um Thomas Schmid zeigen zwar ganz eindeutig auf, dass Postenschacher für die ÖVP kein Problem ist. Sie werden aber am Wahltag höchstwahrscheinlich wieder vergessen sein. Ein gutes Zitat dazu kommt von Roger Stone, einem der wichtigsten Berater von Donald Trump im Präsidentschaftswahlkampf 2016 - ja, ein schlechter Mensch, aber auch jemand mit starkem Gespür für Politik.
The distractions of everyday life, along with preoccupations like earning a living, paying bills, raising children, caring for family, and generally enjoying life in some form or another, make politics at best an intermittent feature of civic engagement and at worst a needless, fruitless annoyance which only gets worse, if ignored or left to its own devices.
Most people only begin to focus on politics, if at all, in the few weeks just before an election. Nixon noted that voters pay attention to a candidate’s announcement of their candidacy, their acceptance speech at the nomination convention and their final election eve appeal … but little else, if anything, in between.
Insofern ist es nicht allzu relevant, wie die Volkspartei jetzt im Moment dasteht. Sie muss nur in einem Wahlkampf überzeugen. Die meisten Menschen werden jetzt keine Zeit und keine Lust haben, sich mit Themen wie der staatlichen Beteiligungsgesellschaft, den Eigentümerstrukturen der Casinos Austria oder dem Schwager der Büroleiterin von Sebastian Kurz zu beschäftigen. Die kommen jetzt irgendwie durch die Pandemie, und 2024 - falls die Regierung so lange hält - beschäftigen sie sich wieder mit der ÖVP.
Das Schlimme ist, dass der Bundeskanzler trotzdem nur noch Umfragen zu kennen scheint. Von dem Sebastian Kurz, der seine Wahlkampfspots 2017 noch mit “Eine Umfrage hier, eine Attacke dort, das war nie meins” eröffnet hat, ist nichts mehr übrig. Der Sebastian Kurz von heute droht, die Lieferung von 100 Millionen in die EU zu blockieren, um auszubaden, dass seine Regierung bereits mehrmals auf mehr Impfungen verzichtet hat. Ein höheres Level an Zynismus kann ich mir nicht vorstellen.
Ist es also eine #oevpkrise?
Wenn man mich also fragt, ob es die #oevpkrise gibt, sage ich Ja. Aber. Krisen, die nicht in der Nähe einer Wahl liegen, können beim nächsten Wahltag schon wieder irrelevant sein - und verlieren damit ihr Potenzial, zu politischer Veränderung zu führen. Daher gilt es, diese Geschichten nicht zu vergessen und sie in einer Form weiterzuerzählen, die viele Menschen verstehen. Damit sie sich das auch bis zum Wahltag merken.
Passiert das ausreichend? Vermutlich nicht. Und das sage ich nicht als pauschale “Die Medien”-Kritik, sondern weil Berichterstattung über mutmaßliche Korruptionsgeschichten verdammt schwierig ist. Es gibt berechtigte medienrechtliche Beschränkungen, die Gefahr einer Vorverurteilung ist real. Das heißt auch, dass es am Ende sein kann, dass die betroffenen Politiker alles falsch gemacht haben und trotzdem keine Strafe kriegen. Aber so ist das eben mit Politik und Medien - es braucht Regeln, und manche können besser mit ihnen spielen.
Obwohl die ÖVP kampagnenfähig ist und in den letzten Wahlkämpfen bewiesen hat, dass sie auch Skandale aussitzen kann, kommt mir vor, dass sie verdammt nervös ist. Viele tauchen unter, Antworten sind oft nur bewusst vage formuliert, vor U-Ausschüssen entschlagen sie sich, und Dinge wie der Laptop im Park erzeugen eine schiefe Optik. Spannend wird, wie sich die #oevpkrise von 2021 in ein paar Jahren auswirken wird. Aber das ist eh eine Geschichte, die wir mitschreiben können. Und bis dahin beobachten wir einfach weiter den Hashtag.