Was ist mit der SPÖ los?
Inhaltlich schwach, kaum kampagnenfähig - und jetzt wählt sie auch noch den falschen Gegner
Wer mich kennt und diesen Newsletter schon länger liest, weiß, dass ich sehr offen für eine Ampelkoalition bin. Die einzige Koalition, mit der die ÖVP nach 36 Jahren an der Macht in Opposition landet, halte ich aus vielen Gründen für die beste Option. Und sie basiert darauf, dass die SPÖ bei der nächsten Wahl ein starkes Ergebnis einfahren muss.
Darum wäre es mir wichtig, dass auch politische Konkurrenten bei den Roten und Grünen sich einigermaßen professionell anstellen. Den Grünen attestiere ich das zumindest manchmal - bei der Sozialdemokratie mache ich mir aber ernsthaft Sorgen, ob sie den aufgelegten Elfmeter der innenpolitischen Situation verwerten kann.
Und weil ich letztens eine Mail dazu bekommen habe: Nein, dieser Newsletter ist nicht plötzlich “Parteiarbeit”, nur weil ich bei den NEOS arbeite. Wenn, dann würde ich solche Texte in der Materie schreiben. In diesem Artikel soll es nicht darum gehen, SPÖ-Wähler:innen von meiner Partei zu überzeugen - er soll erklären, wieso die SPÖ gerade den ersten Platz an die FPÖ verspielt.
Wo sollen wir anfangen? Vielleicht von einem Wechsel, die im polit-medialen Österreich viele überraschte: Die SPÖ holte sich Thomas Walach, den früheren Chefredakteur von ZackZack.
Walach ist wie viele in dieser fließenden Branche aus Politik und Medien: Einerseits führt er sich auf Twitter so auf, dass sich viele fremdschämen müssen, gleichzeitig wird ihm aber ein gewisses Gespür für linke Politik zugeschrieben. Wahrscheinlich nicht ganz zu unrecht - immerhin hat er mit ZackZack eine Reichweite aufgebaut, die nur wenige einem früheren Parteimedium zugetraut hätten.
Ich hab das v. a. spannend gefunden, weil sich die Sozialdemokratie damit einen polarisierenden Charakter ins Haus geholt hat, der noch dazu von extern kommt. Was ja kein schlechter Gedanke ist, wenn man sich die missglückte Kommunikation der letzten Jahre ansieht. Herausgekommen ist mit der ersten Kampagne das hier:
Das Commitment zur Österreich-Flagge und zum Patriotismus finde ich gut, ich habe jüngst in der Materie auch selbst gefordert, dass wir die Flagge von den Rechten zurückerobern müssen. Und eine inhaltliche Offensive wäre vermutlich auch meine erste Idee gewesen, wenn ich die Aufgabe hätte, die SPÖ wieder nach vorne zu bringen.
Trotzdem habe ich mehrere Fragen dazu:
Wer hat diesen schirchen Styleguide erfunden, der so ausschaut, als hätte das jemand in Paint erstellt?
Ist Nostalgie das einzige Argument, das die Sozialdemokratie noch vorbringen kann?
Und wenn ja: Haben sie dafür wirklich kein besseres Wort als “Herbstkampagne” gefunden?
Selbst, wenn man der Meinung ist, dass der Stil dieser Bilder professionell ist und dass man mit Varianten wie “Ohne Brösel wäre es nicht das Schnitzel” ein großes Publikum anspricht:
Wenn man sich die Inhalte dieser Herbstkampagne ansieht, wird man gleich pessimistischer.
Unter dem Punkt “Wirksame und nachhaltige Bekämpfung" der Teuerung” fordert die SPÖ Maßnahmen, die die Inflation weiter anfeuern würden. Zum Beispiel einen Preisdeckel für Gas - der hauptsächlich dafür sorgen würde, dass wir schnell einen Mangel bekommen würden - oder die Streichung der Mehrwertsteuer auf Energie und Sprit. Das ist wenig überraschend: Die Roten ignorieren die Empfehlungen der Wirtschaftsexpert:innen schon länger.
Der nächste Punkt ist ironischerweise eine “Energiewende, die Arbeitsplätze schafft und unseren Industriestandort absichert”. Die Forderungen, z. B. Investitionen in Green Jobs und Forschung, sind sehr sinnvoll - aber wie stark ist eine Energiewende, wenn wir eine Zeile vorher gerade alles getan haben, um Öl und Gas so billig wie möglich zu machen? Sieht da keiner den Widerspruch?
Aber gut, die SPÖ ist ja nicht nur ihre Herbstkampagne. Und fairerweise muss man auch dazusagen, dass viele ihrer Punkte gut sind, z. B. der Ausbau der Kinderbetreuung und des öffentlichen Verkehrs. Als Ampel-Befürworter frage ich mich aber: Kommen die Inhalte der SPÖ irgendwo an?
In der Öffentlichkeit wirkt die Sozialdemokratie nämlich beliebig. In der Teuerungs- und Energiekrise hat sie die falschen Rezepte, obwohl sie leicht Themenführerschaft erreichen könnte. Das Migrationsthema fliegt ihr regelmäßig um die Ohren, wenn Hans-Peter Doskozil den Mund öffnet. Und beim Thema Transparenz unterscheidet sie nichts von der ÖVP.
Zusammengefasst finde ich, die SPÖ ist nicht nur inhaltlich schwach, sondern tut sich auch nach wie vor schwer, ihre Themen unterzubringen. Und das, obwohl viele davon ganz gut wären. Aber es gibt noch ein drittes Problem, das mir aufgefallen ist:
Die SPÖ scheint keine Ahnung zu haben, wer ihre echten Gegner sind.
Hier kommt wieder Walach ins Spiel, und ich habe seinen Charakter ja schon angeschnitten. Zuletzt fiel er mit dieser Twitter-Perle auf.
Das Kalkül ist natürlich durchschaubar. Walach sieht, dass die SPÖ in den Umfragen langsam untergeht, und sucht sich einen Gegner aus. Mit der Drohkulisse Blau-Schwarz-Pink testet er wahrscheinlich aus, ob er besorgte Neos-Wähler:innen abziehen könnte. Aber ist das wirklich die richtige Strategie?
Die NEOS haben eine Koalition mit der FPÖ schon immer ausgeschlossen. Und sie sagen auch regelmäßig, dass mit dieser ÖVP kein Staat zu machen ist. Viele aus der Partei haben sich bereits positiv zu einer Ampel geäußert, und noch mehr betonen, dass die Volkspartei sich endlich vom System Kurz verabschieden muss, bevor Veränderung mit ihr möglich ist.
Diese Drohkulisse ist also absurd - die Kommentare auf Walachs Tweet zeigen auch, dass niemand darauf reingefallen ist. Aber wie kommt er überhaupt auf diese Idee? Glaubt er, die zahlreichen Swing Voter zwischen NEOS und SPÖ entscheiden die nächste Wahl? Sieht er so viele Überschneidungen mit einer Partei, die gegen unverantwortliche Pensionspolitik eintritt und Transparenzmaßnahmen fordert, vor denen sich die Roten nur fürchten können?
Meine Befürchtung: Eine beliebige SPÖ führt zu Rot-Schwarz.
Meine Befürchtung ist, dass führende Köpfe in der Sozialdemokratie merken, dass sie trotz guter Voraussetzungen nicht über 30 % kommen werden. Dafür ist die Partei inhaltlich und personell zu schwach aufgestellt. Es gelingt ihr kaum, Themen zu setzen, sie widerspricht sich öffentlich, und auch der Neue in der Kommunikation kann den nächsten Wahlkampf nicht im Alleingang gewinnen.
Wenn sich an diesem Status Quo nichts ändert, läuft für mich vieles auf Rot-Schwarz hinaus. Und das soll jetzt kein Gegenstück zur Drohkulisse Blau-Schwarz-Pink sein, sondern ist eine ernst gemeinte Sorge. Denn in vielen wichtigen Bereichen würde dann genau gar nichts weiter gehen. Aber die beiden Dinosaurier-Parteien würden sich wieder in ihrer Rolle gefallen, dem jeweils anderen öffentlich ein Bein zu stellen.
Mit einer Ampel könnten wir im Klimaschutz und bei der Kinderbetreuung viel weiterbringen, während die ÖVP sich das erste Mal seit 36 Jahren überlegen müsste, was sie eigentlich will, außer an der Macht zu bleiben. Aber dafür braucht es eine kampagnenfähige, inhaltsstarke SPÖ, die erkennt, dass ihr eigentlicher Hauptgegner die FPÖ ist. Momentan habe ich meine Zweifel daran, wie realistisch das ist.
Wenn ihr einen anderen Take dazu habt, let me know!
Noch mehr Lesestoff
🇦🇹 Zurück zu meinem erwähnten Take: Es braucht einen liberalen Patriotismus. Das habe ich am Nationalfeiertag für die Materie geschrieben. Dass so viele in der anständigen Ecke der Politik ein Problem mit der Flagge haben - also die “Progressiven”, wenn man ein Label sucht, um Linke bis Liberale abzudecken -, ist ein strategischer Fehler, weil man der FPÖ den Begriff Heimat überlässt. Dabei ist Heimat nichts, für das man sich schämen muss, sondern etwas, das man besser machen kann.
🇺🇸 Elon Musk hat Twitter gekauft. The Verge schreibt dazu: “Welcome to hell, Elon.” Ich glaube, wir wissen noch gar nicht, was für einen Rattenschwanz diese Geschichte hat: Ein exzentrischer reicher Typ, der auch auf der weltpolitischen Bühne hauptsächlich rumtrollt, sollte nicht die Entscheidungsmacht über eine der relevantesten Plattformen der Welt haben. Nur eine Frage der Zeit, bis Donald Trump wieder da ist. Wahrscheinlich werde ich dazu auch noch was schreiben, aber wir sollten das auf jeden Fall beobachten.
Stuff von Twitter
Nachdem diese Rubrik letztes Mal nur auf Thomas Schmid bezogen war, hier ein bisschen Content zum Chaos im Vereinigten Königreich: