Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich bin fertig. Der Hitzesommer in Wien fühlt sich an, als würde er schon Jahre dauern, und mit gefühlten 40 Grad im Schatten durch die Betoninseln zu latschen fühlt sich einfach nicht gut an. Nicht nur weil gerade viele auf Urlaub sind merkt man: Die Luft ist ein bisschen draußen.
Als wäre das nicht schon schlimm genug, kommt aber jetzt auch noch eine neue Debatte dazu, die wir sowas von überhaupt nicht brauchen: Nämlich die Frage, ob dieses Wetter eine politische Bedeutung hätte. Oder wie es Jonas Vogt besser beschrieben hat: „Persönliches Hitzeempfinden ist jetzt offenbar auch eine Frage von links oder rechts.“
Dabei ist natürlich nicht die Temperatur politisch – sondern nur die Frage, welche Bedeutung wir ihr zumessen.
Ich finde diesen Tweet super, weil er sich auf eine scheinempörte Debatte der letzten Tage bezieht, in der eine Hitzesudern-Diskussion zur politischen Lifestylefrage verkommen ist. Für alle, die nicht auf Twitter sind: Gratuliere, hier eine Zusammenfassung aus dem Paralleluniversum.
Der Influencer* Fabian Pimminger hat einen Tweet darüber geschrieben, dass Wien so heiß sei, weil die Funktionäre der SPÖ Wien in ihren Bonzen-Wohnungen nichts davon mitbekommen. Woraufhin der SPÖ-nahe** Josef Kalina antwortet, ob das nicht eigentlich weh tue. In der Debatte sagt Kalina dann auch, dass er in Wien mit dem Auto durch die gut angebundene Innenstadt düst, sonst würde das zu lange dauern würde. Und dann kommt diese Stilblüte:
*ich hab keine Ahnung, wie man den Pimminger sonst bezeichnen soll, er ist einfach eine „auf Social Media sehr präsente Person“, eigentlich irgendwas mit Programmierung, aber das ist für die Geschichte ziemlich wurscht
**die Grenzen zwischen SPÖ-nahe, SPÖ-Mitglied und SPÖ-Funktionär sind fließend und ich hab keinen Überblick, also „irgendwas mit SPÖ“ Kalina
Ich habe zwei Theorien dazu, wie man diese Aussage deuten kann:
Pimminger hat Recht. Auch Kalina merkt nichts von den argen Temperaturen, weil er von der klimatisierten Wohnung ins klimatisierte Auto ins klimatisierte Büro wechselt, und deshalb findet er den Sommer in Wien ganz wunderbar. Das wäre eigentlich ziemlich lustig.
Kalina sieht die Äußerung von Pimminger, dass es in Wien heiß ist, als direkten Angriff auf sich und seinen Lifestyle, und ist deswegen naturgemäß der Meinung, dass nicht er das Problem ist. Wenn es sehr heiß ist, dann ist das eben keine Folge des Klimawandels und kein politisches Thema, sondern „wunderbar“.
Übrigens sollte ich an der Stelle wahrscheinlich festhalten, dass der Sinn dieses Artikels nicht ist, den Autogebrauch von Joe Kalina zu kritisieren. Ich verstehe zwar persönlich nicht, wieso man in Wien jemals mit dem Auto fahren würde, aber don’t hate the player, hate the game, und vom Autoverbot sind wir weit weg. Es geht mir eher darum, dass beide Szenarien darauf hinweisen, dass die beiden eine politische Debatte führen. Und zwar über die fucking Temperaturanzeige.
Das Schlimmste ist, dass es stimmt: Das Klima, das Wetter, die Temperatur selbst ist politisch geworden.
Ich schreibe jetzt extra „Temperatur“ dazu, weil mir der Unterschied zwischen Wetter und Klima bewusst ist. Aber dass es so heiß ist, das ist eben auch eine Folge des Klimawandels - und damit auch ein politisches Thema, das wir uns mit unserem Verhalten, aber vor allem mit der Politik aussuchen, die wir wählen.
Und ja, das geht schon wieder leicht in Richtung Shaming, I know, ich lese das selbst reflexartig heraus. Aber mir ist eh bewusst, dass viele nicht anders können. Die Mehrheit der Gemeinden in Österreich wäre ohne Auto vom Rest der Welt wohl in einem Ausmaß abgeschnitten, das existenzbedrohend wäre, wir haben Jahrzehnte dafür verwendet, alles auf diesen CO2-Automaten zuzuschneiden, und das geht nicht von heute auf morgen. Und doch entscheidet sich die Menschheit jeden Tag, manchmal freiwillig, manchmal unfreiwillig, für „mehr Hitze“. Zumindest, bis wir unsere Energie, unsere Mobilität und unsere Ernährung in den Griff kriegen. (Mit dem letzten Wort fühle hauptsächlich ich mich angegriffen.)
Und ja, man muss aufpassen, was man alles in dieses Mega-Thema einberechnet. Dieser Chart hier etwa wird nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch andere Wetterphänomene verursacht - auch, wenn er mega spooky ist, sollte man das bedenken.
Trotzdem gibt es auch Auswirkungen, die wir ganz einfach nicht hätten, wenn a) die Politik im Klimaschutz nicht jahrzehntelang geschlafen hätte oder b) wir schon lange unser Leben geändert hätten. Und mit „wir“ meine ich natürlich uns als Gesellschaft, aber die Gesellschaft ist halt auch nur die Summe von Individuen. Kein Wunder, dass sich Joe Kalina angegriffen fühlt, wenn er jeden Tag mit dem Auto durch Wien tuckert - er ist halt Teil des Problems, wenn auch nur ein Milliardstel. Genau wie ich, weil ich diese Woche schon ein Schnitzel gegessen hab.
Ich sage mich da ständig dazu, weil das nicht ein weiteres „Ändert euer Leben, ihr Volltrottel“ werden soll, weil ich selber ein Volltrottel bin. Ich bin mittlerweile zum zweiten Klimagerät übergegangen, wenn die Nachtruhe das Ausschalten verlangt wechsle ich ab, welche meiner mehreren Kühldecken ich in den Gefrierer gebe, um mich danach neben einem laufenden Ventilator damit zuzudecken, nachdem ich (wie medizinisch empfohlen) lauwarm duschen war, um bei 27 Grad um 3 Uhr früh schlafen zu können. I fucking get it, dass das auch nicht besser wird, wenn wir nichts ändern.
Aber das ist eben der Punkt, den ich eigentlich machen will: Unser Lifestyle und unsere Welt sind nirgends so deutlich und unmittelbar verknüpft wie beim Klima. Mein Schnitzel und diese Grafik, die die Bodentemperatur in Spanien zeigt, haben einfach was miteinander zu tun.
Und welche politischen Schlüsse ziehen wir jetzt daraus?
Das kommt eben darauf an, wo man steht - daran sieht man ja, dass es politisch ist. Und mir kommt vor, dass sich jetzt alle, die sich selbst beim klimaschädlichen Verhalten ertappen, in die Lebenslüge flüchten, dass Sommer eben schon immer heiß war, und dass das eben ganz wunderbar sei. Wer da ins Schwitzen kommt, hält das im klimatisierten Innenstadt-Benziner sicher leicht aus.
Aber eigentlich sollte das alles keine politische Debatte sein. Es müsste völlig klar sein, dass wir etwas gegen den Klimawandel tun müssen, weil, hier meine mittlerweile gewohnte Kurzfassung: Mehr Katastrophen, mehr Hitzetage, mehr Tropennächte und weniger Lebensqualität sind einfach scheiße. Dafür muss man übrigens nicht mal an den Klimawandel glauben - sogar wenn du meinst, dass das alles eine Lüge der Bill-Gates-Echsenmenschen-Illuminaten-Bubble ist, wirst du wahrscheinlich auch einfach keinen Spaß daran haben, wenn es heute wieder 35 Grad in Wien gibt.
Wir können bei dieser Debatte aber auch falsch abbiegen
Denn was der Twitter-Austausch oben zeigt, ist, dass wir das viel zu oft auf die individuelle Ebene heben. Und ja, jeder kann etwas tun, aber dass jeder etwas tun kann war halt auch eine super Marketing-Idee von BP, um nicht selbst reguliert zu werden. Es braucht auch politische Maßnahmen, um den Klimawandel zu begrenzen - die sind deutlich besser, wirken schneller und sind für den Einzelnen einfach viel praktischer im Alltag, weil man nicht immer auf alles verzichten muss.
Joe Kalina sollte sich also nicht persönlich beleidigt fühlen, sondern eher bei seinen Kollegen bei der SPÖ nachfragen: Was tun wir denn gegen den Klimawandel? Die Leute werden echt ang’fressen, und nicht jeder kann wie ich den ganzen Tag klimatisiert rumfahren. Das Primat beim Klimaschutz liegt immer noch bei der Politik - sie setzt die Rahmenbedingungen, die entscheiden, wie Menschen leben und welche Möglichkeiten sie haben. Dass wir etwas tun können (und sollen!), keine Frage. Aber wir drohen, in einen Shaming-Wettbewerb zu gelangen, der niemandem was bringt.
Und was sollte die Politik jetzt tun? Im Prinzip einfach: CO2-neutrale Alternativen fördern und subventionieren, Klimaschädliches teurer machen, die notwendige Infrastruktur bauen und Anpassungsmaßnahmen finanzieren. Viele Ideen davon haben es beim Landeskongress von JUNOS Wien in einen sehr breiten Klima-Antrag geschafft, bei dem ich auch einige Änderungen eingebracht habe. Zumindest für Wien könnte man sich ja daran orientieren.
Insofern eine politische Bitte an euch
Dass die Bewertung der täglichen Temperaturanzeige gerade politisch wird, macht auch etwas mit uns als Gesellschaft. Die FPÖ hat das jetzt schon verstanden, und ihre Trolle posten unter jeden Artikel mit Klima-Bezug Zeug wie „Oh mein Gott, wir werden alle sterben!“. Wenn das Klima jetzt zum nächsten Kulturkampf wird zwischen den anständigen Menschen und den Trollen, die auch schon bei Corona und Russland immer dagegen waren, dann geht erst recht nichts weiter. Obwohl es eigentlich Konsens geben sollte - so wie es eben auch wissenschaftlichen Konsens gibt.
Um diesen „Pro Klimaschutz“ Konsens nicht zu gefährden, sollten wir mehrere Dinge bedenken:
Wir sollten die ganz normale Mitte nicht mit Klimawandel-Leugnern verwechseln. Es kann ja auch sein, dass jemand einfach gerne mag, wenn es heiß ist, und da steckt nicht immer etwas Politisches dahinter. Zu unterscheiden, wer wirklich gerade die Agenda „Sommer war schon immer heiß und es gibt keinen Klimawandel“ verfolgt und wer einfach nur einen guten Tag hat, ist nur tricky, wenn man hinter jeder Ecke den politischen Feind vermutet. Don’t do that.
Finden wir uns damit ab, dass wir in der aktuellen Situation noch CO2 brauchen - aber es reduzieren können. Jo, eh, wir alle stoßen Treibhausgase aus, manche mehr und manche weniger. Da kann niemand den ersten Stein werfen. Es ist also komplett sinnlos, Leute zu vergraulen, die das gleiche tun wie wir, nur in anderem Ausmaß. Es wäre doch viel besser, sie für das gemeinsame Anliegen Klimaschutz zu gewinnen. Oder, wenn man dafür einen anderen Namen braucht: „Das Anliegen, dass es nicht noch beschissener heiß wird.“
Leute für ihre individuelle Lebenssituation zu shamen, bringt nichts - man muss ihnen Alternativen geben. Wenn jemand nur mit dem Verbrenner zur Arbeit kommt, dann sollten wir schauen, dass dort eine Busstation hinkommt oder dass man sich eine easy leistbare E-Auto-Infrastruktur hinstellen kann. Aber das dem Einzelnen auszurichten, der sich kaum für Politik interessiert und gerade heutzutage gerade so mit dem Geld auskommt, ist einfach nicht zielführend und schürt den Kulturkampf.
Eigentlich ist die aktuelle Situation ein super Beispiel, das man gut verwenden kann. Wenn wir nicht in die Kulturkampf-Falle treten und anderen vorwerfen, durch ihren Lifestyle an der Hitze schuld zu sein, können wir sie umso besser abholen und zeigen, dass auch unsere Politik etwas damit zu tun hat. Wenn einfach mal klar wird, dass der Klimawandel daran schuld ist und dass „man Dinge dagegen tun kann“, ohne dass das auf „Dir wird dein Auto und dein Schnitzel verboten“ hinauslaufen muss, kann auf einmal viel gehen. Davon bin ich überzeugt.
Zusammengefasst: Wie heiß es heute ist, das ist schon jetzt ein politisches Thema. Aber wir sollten uns dadurch nicht in einen Kulturkampf treiben lassen, sondern Leute einfach auf die Fakten dahinter aufmerksam machen. Statt auf Lifestyle sollten wir uns auf politische Entscheidungen konzentrieren, weil wir sonst mehr Leute verlieren als gewinnen. Und auf der politischen Ebene gibt’s ohnehin den viel unmittelbareren Hebel.
Noch mehr Lesestoff
📰 Wie es bei der KRONE läuft. Der frühere Ressortleiter Thomas Schrems hat gegenüber der WKSTA ausgesagt und liefert ein Sinnbild für die Medienlandschaft. Als Redakteur merke man schnell, wie sich die Blattlinie ändere, und zwar nicht mal nach politischen, sondern nach kommerziellen Interessen. Und er erklärt, warum er ausgestiegen ist:
„Ich musste erkennen, dass ein allfälliger Aufstieg auch sehr viel mit der Fähigkeit zu tun hat, in entscheidenden Momenten die Augen zu verschließen.“
😡 Ein Artikel, der mich sehr wütend macht: „Ein Pensionsplus wie noch nie.“ Mir geht’s ja nie um die Inflationsanpassung der Mindestpensionistinnen, die ist absolut nachvollziehbar und soll gerne auch fetter ausfallen bei der Inflation. Aber dass wir alle Pensionen so gut wie immer über die Inflation hinaus erhöhen - und das bei einem massiv überalterten Land, in dem die Jugend schon jetzt fast eine Million braucht, um ein Haus zu besitzen -, das ist einfach … mir fehlt ein Adjektiv dafür. Ich nehm ein Emoji. 😡
🪄 Willkommen im magischen Zeitalter. Ich hab hier etwas zu den aktuellen Entwicklungen im Bereich KI geschrieben. Bebildert haben wir den Materie-Schwerpunkt natürlich nur mit Midjourney AI - und ich finde, die Bilder sind richtig gut geworden!