Ich rege mich immer noch über Harald Mahrer auf.
Ich weiß, mich sollte das wahrscheinlich nicht so aufregen. Aber die Wirtschaftskammer ist nun mal ein wichtiger Faktor in einer Partei, die ihre ganze Existenz darauf ausgelegt hat, in der Regierung zu bleiben. Sie wird uns wohl weiter beschäftigen, und ihr Chef wird wohl weiter einen wichtigen Platz in Verhandlungen haben.
Ich hatte ja schon öfter mit der „schwarzen Reichshälfte“ zu tun. Also nicht nur mit ÖVP-Mitgliedern, sondern auch mit vielen, die wirtschaftlich in irgendeiner Form auf gute Beziehungen mit der Partei angewiesen sind. Staatsnahe Betriebe, parteinahe Konstruktionen oder einfach Unternehmen, die Verhaberung verstehen. Und da ist mir ein Wording aufgefallen, das auch auf Wirtschaftskammer- und Wirtschaftsbund-Seite immer wieder durchdringt und mich furchtbar aufregt:
„Das muss man ja zu Ende denken.“
Meist kommt diese Phrase zum Einsatz, wenn man gerade dabei ist, zu erklären, warum etwas nicht geht, und dieses Etwas ist meistens Klimaschutz. Die Idee ist, als vermeintlicher Experte dazustehen: „Wir haben uns das angeschaut, ausgerechnet und sind darauf gekommen, es geht sich nicht aus. Zurück an den Start.“
Das Bittere ist, dass dieser Punkt fast nie ganz falsch ist. Alle Klimaschutz-Maßnahmen kosten etwas, eh klar. Man kann immer ausrechnen oder zumindest schätzen, welche Auswirkungen eine Veränderung hätte, kann sich immer die Worst-Case-Szenarien anschauen und besonders negativ betroffene Gruppen anschauen. Wenn wir aufhören müssen, Öl zu verbrennen, weil wir sonst langfristig aussterben, ist das schlecht für die Ölwirtschaft, no na.
Was mich an der Wirtschaftskammer, aber auch vielen anderen aus dem Lager der Klimaschutz-Blockierer so nervt: Sie tun so, als wäre das schon eine intellektuelle Leistung und ihr Job wäre getan. Und übersehen dabei, dass sie das wichtigste Interesse der Unternehmen verschlafen.
Auch Unternehmer wollen einen lebenswerten Planeten.
Und ja, das klingt auch nach einer Phrase wie „There Is No Planet B“, was auch korrekt ist. Aber ich meine das ganz ernst: Auch, wenn viele Unternehmer noch nicht am Schirm haben, wie groß die Katastrophe ist, die auf uns zukommt, ist es trotzdem auch in ihrem Interesse, das Klima zu schützen.
Jetzt verstehe ich natürlich, dass die Wirtschaftskammer eine Interessensvertretung ist. Noch dazu eine historisch gewachsene, die durch die Pflichtmitgliedschaft keinen Wettbewerb und dadurch wenig Anreiz zur Veränderung hat. Und sie ist in der ÖVP, wo sie sich mit 700 anderen Bünden und Interessensvertretern ausmachen muss, wie der Minimalkompromiss ausschaut, den man in Österreich „Politik“ nennt. Diese Rahmenbedingungen machen es nicht leicht, besonders revolutionäre Ansichten zu vertreten, und das ist auch gar nicht meine Forderung.
Trotzdem müsste die Wirtschaftskammer einsehen, dass es eben nicht nur darum gehen kann, alle möglichen Kosten für alle Unternehmer aus allen Branchen mit allen Produkten immer niedrig zu halten. Denn viele dieser Unternehmen, Branchen und Produkte stehen dem einen Interesse entgegen, auf das sich wirklich alle Menschen einigen können: Einen lebenswerten Planeten.
Die Aufgabe der Wirtschaftskammer wäre, diese Veränderung zu begleiten.
Ein Wirtschaftskammer-Chef, wie ich ihn mir vorstelle, würde sich nicht hinstellen und der Politik permanent ausrichten, was nicht geht. Er würde nach Wegen suchen, wie man Klimaschutz-Maßnahmen im ausreichenden Ausmaß umsetzen kann, ohne den Kollateralschaden in der Wirtschaft zu groß zu machen. Genau das wird Mahrer auch von sich behaupten – aber ich bezweifle, dass die Fundamentalopposition gegen jeden zusätzlichen Euro, der in Österreich in irgendeiner Bilanz ausgegeben wird, konstruktive Klimapolitik ist.
Dass die Menschen ambitionierten, teuren, teilweise sogar radikalen Klimaschutz wollen, zeigt das Experiment des Klimarates. In diesem wurden repräsentativ ausgewählte Menschen aus Österreich wissenschaftlich begleitet, um festzustellen, was „die Gesellschaft“ will, wenn sie alle Fakten kennt. Ihr CO2-Preis wäre deutlich höher als der der Bundesregierung – und auch sonst liest sich das wie ein Programm, das sogar den Grünen zu mutig wäre.
Ich will eine Wirtschaftskammer, die das Interesse aller Menschen, wurscht ob Unternehmer oder Mitarbeiter, berücksichtigt, dass wir nicht in einer 2,5-Grad-Plus-Welt leben wollen. Ich will eine Wirtschaftskammer, die das ernst nimmt und versucht, diese zugegeben beschissene Situation seriös zu meistern. Ich will eine Wirtschaftskammer, die mit Expertise, Service und Transformationsförderung glänzt statt mit Lobbying, das genauso gut von BP bezahlt werden könnte. Ich will alles, was Harald Mahrer momentan nicht macht.
Und ich will, dass die Wirtschaftskammer das wirklich einmal „zu Ende denkt“. Denn das, was sie so bezeichnet, heißt nur, jetzt jede neue Klimaschutz-Maßnahme zu verhindern. Wenn man wirklich zu Ende denkt, was passiert, wenn wir nichts tun, landen wir bei einer Welt, in der große Teile unbewohnbar sind und in der zahlreiche Ökosysteme aussterben. Ich weiß, dass diese Transformation für viele extrem schmerzhaft ist. Aber immer noch ein Lercherlschaß verglichen mit dem, was auf uns zukommt, wenn wir gar nichts tun.
Was würde ich also tun, wenn ich Mahrer wäre?
Einen personellen Cut machen. Mein Eindruck ist, dass viele Karrieristen in der Wirtschaftskammer den Klimawandel belächeln oder leugnen oder sich auf ein korporatistisches „Mir is’ wurscht“ zurückziehen. Diese Leute gehören ganz einfach ausgetauscht, damit sich die Organisation auch von innen verändern kann.
Ein Grundsatzprogramm erarbeiten, das der Phrase endlich Taten folgen lässt und Umwelt und Wirtschaft verbindet. Dabei sollten Unternehmen, gerne auch aus den CO2-intensivsten Bereichen, mit der Wissenschaft in Kontakt treten. Ziel muss sein, dass die Wirtschaftskammer der logische Partner für die Frage wird, wie hoch eine CO2-Steuer maximal sein darf, damit Unternehmen nicht abwandern – und minimal sein muss, damit wir unsere Klimaziele erreichen.
Einen inhaltlichen Neustart an die Mitglieder kommunizieren. Das kann man mit einer Rede, einer gemeinsamen PK mit der Bundesregierung oder einem Event machen. Wichtig ist, dass klar wird: Wir haben die Herausforderung jetzt langsam verstanden. Und dass man die Strategien der Klimaschutz-Verzögerung endlich hinter sich lässt.
Das alles würde ich von einem modernen Wirtschaftskammer-Chef erwarten, statt permanent auszurichten, dass Klimaschutz in Österreich sinnlos ist und das sicher nicht funktionieren wird. Ein gekürztes Beispiel, wie so etwas aussehen könnte – feel free to use.
Liebe Mitglieder der Wirtschaftskammer, liebe Unternehmerinnen und Unternehmer,
Sie haben es wahrscheinlich schon mitbekommen: Die Klimakrise stellt uns vor gewaltige Herausforderungen. Laut Prognosen der Forscherinnen und Forscher des Weltklimarates haben wir nur noch wenige Jahre Zeit, um die schlimmsten Folgen des menschengemachten Klimawandels zu beschränken und unseren Planeten lebenswert zu erhalten.
Das trifft uns in Österreich besonders stark: Im Vergleich zum weltweiten Durchschnitt wird unser Land noch schneller noch heißer. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit langer Trockenperioden und Dürren, unangenehmer Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt, und sogenannten „Extremwetterereignissen“, also noch stärkeren Unwettern, Stürmen und Hochwassern. Es bedroht auch unsere Lebensmittelsicherheit und die Artenvielfalt, aber auch den Tourismus, weil Skigebiete immer mehr vom Kunstschnee abhängig werden und unsere Seen im Sommer austrocknen.
Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass viele Wirtschaftsbereiche sich umstellen müssen. Wer momentan besonders viel emittiert, zum Beispiel in der Industrie, wird für eine schnelle Umstellung auch hohe Kosten tragen müssen. Wir bemühen uns als Interessensvertretung, diese Transformation bestmöglich zu unterstützen, indem wir auf Bund und Länder einwirken, um Förderungen kämpfen und uns um internationale Best-Practice-Beispiele bemühen.
Das ist eine ungemütliche Situation, und sie gefällt auch mir nicht. Aber ich möchte Ihnen versichern, dass die Wirtschaftskammer für Sie da ist. Auch, wenn wir die Herausforderung sehen, die global auf uns zukommt, und wohl wissend, dass wir nicht alleine die Probleme der Welt lösen können: Ich bin mir sicher, dass Österreichs Wirtschaft modern, offen und mutig genug ist, diese Herausforderung anzugehen. Die Wirtschaftskammer ist Ihr verlässlicher Partner für diese Transformation, und als Mitglied leisten Sie einen Beitrag dafür, Umweltschutz und Wirtschaft zu verbinden. Zögern Sie nicht, unser Team zu kontaktieren. Gemeinsam #schaffenwir das.
Aber leider bin ich nicht Harald Mahrer. Sondern ein, zumindest was die Wirtschaftskammer angeht, immer noch pessimistischer
Noch mehr Lesestoff
😍 Die geilste Krise aller Zeiten. Hinter dem Artikel „Wien wird zum Epizentrum der Immo-Krise“ steckt nämlich eine Meldung, die euch sicher genauso schockiert wie mich: Die Immobilienpreise … sinken. Ich könnte jetzt einen zynischen Rant darüber schreiben, aber ich beschließe, mich einfach zu freuen, dass zumindest der obere Mittelstand (bzw. der Teil, der erbt) wieder träumen darf. Die Preise sind ja immer noch wahnsinnig – aber halt etwas weniger.
🇫🇮 Finnland ist einfach g’scheit. Nein, es geht nicht mehr um Eurovision, sondern um die Einstellung der Finnen zur Atomkraft. Bis vor Kurzem waren die Finnen und nämlich relativ ähnlich – ein neutrales Land mit Vorbehalten gegenüber Atomkraftwerken. Aber der Ukraine-Krieg hat die Welt nun mal verändert: Und anders als Österreich denkt Finnland um. Wenn die Alternative Kohle wäre, ergibt Atomkraft Sinn, und wenn die Alternative ein Krieg an der eigenen Grenze wäre, macht auch ein NATO-Beitritt Sinn. Good for you, Finnland.
🏡 Let’s Talk Bodenverbrauch. In meinem Artikel für MATERIE hab ich das Problem sehr grundlegend zusammengefasst: Wie viel Boden wir verbrauchen, was „verbrauchen“ eigentlich heißt und warum das ein Problem ist, lest ihr hier.
Stuff aus dem Internet
Ihr habt es erwartet: Diese Rubrik steht jetzt natürlich ganz im Zeichen von „die SPÖ ist zu dumm eine Wahl abzuhalten“.
Eine einmalige Ablenkung.
Es sind die simplen Jokes.
Noch ein Meme von Dichti.
Sad but true.
Eine Lebensweisheit, die ihr kennen solltet.
Und zum Abschluss noch Deutschrap: Fler hat … Recht?
Okay, das muss ich wahrscheinlich ganz kurz erklären, weil ich meine Deutschrap-Bubble selten nach außen trage: Der deutsche Gangsta-Rapper FLER ist … kein Role Model, to say the least. Aber sogar er hat erkannt, dass es eigentlich keinen guten Grund gibt, Leute mit Regenbogenflaggen anzufeinden. Das bedeutet, er kann nicht der dümmste Mensch sein, was auch die eigentliche Nachricht ist.