Wie Politiker mit Vergleichen ablenken
Oder: Wie "Könnte schlimmer sein" als politische Strategie funktioniert
In der ZIB2 am Montag war Sebastian Kurz zu Gast und hat eine rhetorische Taktik bemüht, die ich schon länger beobachte. Schaut mal, ob euch etwas auffällt. Die Frage von Armin Wolf lautet “Müssen Sie sich nicht eingestehen, dass diese Hilfspakete bis jetzt einfach nicht gut gelaufen sind in der Praxis?”
Also schauen Sie, wenn ich die Hilfspakete im internationalen Vergleich ansehe, dann würde ich sagen es gibt kaum ein Land, das so großzügige Hilfspakete hat wie Österreich. Wir sind, egal ob es die 100 %-Garantien betrifft oder den Fixkostenzuschuss, immer in einer Gruppe der Top 5 innerhalb der europäischen Union. Wir haben 38 Milliarden in einem ersten Hilfsprogramm auf den Weg gebracht, und wir nehmen jetzt im Rahmen der Klausur noch einmal 15 Milliarden in die Hand. Wenn hier manche sagen, das kommt bei niemandem an, dann wird sich das am Ende des Tages als falsch herausstellen (…)
Die Einleitung zu dieser Antwort nutzen Sebastian Kurz und sein innerer Zirkel gerne. Es ist im Wesentlichen egal, was man kritisiert, zuerst wird einmal ein Vergleich angestellt. Und das ist auch nicht so verkehrt, wenn man zum Beispiel über Corona spricht, denn Österreich steht da unbestritten besser da als viele andere Staaten.
Was daran aber problematisch ist? Wenn dieser Vergleich gegen Kritik immunisieren soll. Denn Armin Wolf fragt nicht nur nach Sebastian Kurz’ Einschätzung, sondern bietet dazu auch Kontext. Die ausformulierte Frage lautet:
Die ÖVP sieht sich selbst als Wirtschaftspartei. Jetzt haben vor zwei Wochen fünf große Wirtschaftsverbände, von der Hoteliersvereinigung bis zum Handelsverband, gegen die bisherigen Hilfsmaßnahmen massiv protestiert. Und sie haben auch eine Umfrage unter eigenen Betrieben gemacht, das sind vor allem KMUs, und da sagen 60 % in dieser Umfrage, dass sie nichts von den Hilfsmaßnahmen haben oder dass sie zu spät kommen. Das nennt die Neue Zürcher Zeitung dieses Wochenende “ein vernichtendes Zeugnis”. Müssen Sie sich nicht eingestehen, dass diese Hilfspakete bis jetzt einfach nicht gut gelaufen sind in der Praxis?
Und dann kommt der Vergleich. Sebastian Kurz schweift dann noch weiter aus und sagt auch Dinge, denen ich nicht widersprechen will - zum Beispiel, wenn er darauf verweist, dass natürlich geprüft werden muss, bevor Gelder fließen. Aber was bringt der internationale Vergleich, wenn es gerade um konkrete Vorwürfe geht?
Gebt euch nicht mit Vergleichen zufrieden
Im Endeffekt ist diese Strategie ein eloquenteres “könnte schlimmer sein”. Ja, viele Betriebe bekommen kein Geld, aber unsere Zahlen sind besser als anderswo. Aber der Vergleich mit anderswo bringt niemandem was. Einem Unternehmer, der jetzt sofort finanzielle Hilfe braucht, weil er unverschuldet in eine Krise geraten ist, zu sagen, dass Österreich bei wichtigen Kennzahlen in den Top 5 ist - das ist wie einem Kind zu sagen, dass es aufessen und an die Kinder in Afrika denken soll, wenn es keinen Hunger mehr hat. Es könnte schlimmer sein, also sei dankbar dafür, was du hast. Und gusch jetzt!
Der internationale Vergleich ist eine Immunisierungsstrategie. Und in Österreich ist diese besonders leicht. In so gut wie allen Politik- und Lebensbereichen sind wir in der Weltspitze dabei - Wien ist lebenswerteste Stadt der Welt, unser Gesundheitssystem ist auch durch Corona keine Sekunde ins Wanken gekommen, unsere Exportwirtschaft lässt sich gerade für die Größe des Landes wirklich sehen, et cetera et cetera. Die Liste könnte unendlich weiter gehen, weil Österreich einfach geil ist.
Aber was nicht passieren darf, ist, dass wir uns mit diesem Vergleich begnügen. Wenn wir uns darauf ausruhen, bis jetzt vieles richtig gemacht zu haben, dann versäumen wir es, besser zu werden. Und ich will nicht, dass politische Probleme in Österreich erst dann angefasst werden, wenn uns genug andere Länder in wichtigen Kennzahlen überholen - so, wie wir zum Beispiel den Vergleich mit der Schweiz gerade verlieren, wenn es um Wirtschaftshilfen geht.
Ja, es stimmt, Österreich ist geil und wir haben den Geburtsort-Jackpot so ziemlich gewonnen. Aber gerade bei einer Pandemie und Weltwirtschaftskrise sollten wir uns nicht damit begnügen, dass andere Länder viel schlechter dastehen. Ich bin glücklich, gerade nicht in Brasilien oder den USA zu sein, aber das alleine ist noch kein Triumph. Einfach mal zugeben, wenn man etwas nicht richtig gemacht hat - neben allem, was gerade in der Pandemie wirklich gut gelaufen ist - und retten, was zu retten ist. Das wäre die Größe, mit der man jeden Vergleich gewinnt.
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