Vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass der nächste November exakt gleich aussieht. Wieder haben wir ein Rekordniveau an Fällen, verschärfen die Corona-Maßnahmen und müssen darauf hoffen, dass die Intensivstationen nicht überfüllt sind. Der Unterschied zu 2020 ist, dass das alles vermeidbar wäre. Aber das wissen wir.
Was mir etwas unterrepräsentiert in der Debatte vorkommt ist aber, warum wir in dieser Situation sind. Es ist nämlich nicht nur die Tatsache, dass sich viele Unverbesserliche immer noch nicht impfen lassen. Politisch verantwortlich sind vor allem die Politiker:innen, die Gesetze beschließen, sie schon vor Inkrafttreten nichts wert sind. Let me explain.
Wir haben gelernt, dass Gesetze nicht gelten
Dieser Satz klingt erstmal hart, aber ich denke, zumindest auf die Corona-Situation trifft es genauso zu.
Hand hoch: Wer kennt sich aus, in welchem Bundesland was genau erlaubt ist und was nicht? Und wann ändert sich das - nach der Corona-Ampel, der Inzidenzzahl oder der Auslastung der Intensivbetten? Ich glaube, die allermeisten Österreicher:innen kennen sich nicht mehr aus und sehen auch längst keinen Grund mehr dazu, ihr eigenes Informationsdefizit aufzuholen.
Es ist nämlich für alle recht leicht, auch ohne Überblick durch den Alltag zu kommen. Wer geimpft ist, wird schon alles machen dürfen und wird wohl darauf hingewiesen werden, wenn trotzdem Maskenpflicht gilt. Wer nicht geimpft ist, darf theoretisch sehr wenig machen, aber kann seit Monaten mit Sicherheit darauf zählen, dass niemand die Maßnahmen kontrolliert. Insofern kann es jedem wurscht sein, was gerade Gesetz ist - die Realität hat nie angefangen, sich danach zu richten.
Das ist für mich der größte Fehler, den man der Bundesregierung, aber auch vielen Bundesländern vorwerfen kann. Wenn man permanent Maßnahmen beschließt, die um die Tatsache herumtänzeln, dass zu viele Menschen Wissenschaft ablehnen, und diese nicht kontrolliert, erzeugt man auch einen Lerneffekt bei der Bevölkerung:
Es wird niemals eine Impfpflicht geben, weil die Politik Angst vor der “stillen Mehrheit” der Impfgegner:innen hat.
Maßnahmen, die kommen, werden nicht kontrolliert und haben damit keinen Einfluss auf das tägliche Leben.
Am Anfang gab es vermutlich noch ein Zeitfenster, in dem Maßnahmen wie “3G am Arbeitsplatz” eine echte politische Bombe gewesen wären. Aber jeder hat heute gelernt, dass das nicht kontrolliert wird. Der Impfgegner-Chef wird nach wie vor nicht kontrollieren, die Corona-Leugnerin wird nach wie vor keine Maske tragen. Weil sie schon bei den letzten gefühlt 100 Verschärfungen gelernt haben, dass genau gar nichts passieren wird.
Das heißt, wir haben die Pandemie mit jeder Verschärfung ein bisschen mehr abgeschafft.
Die Lösung wäre offensichtlich
Ich habe leider auch keine optimistische Idee, wie wir das noch hinbekommen könnten. Für mich zählt im Moment nur, dass mein Umfeld und ich geimpft sind. Ich bin froh, nur vernünftige Kolleg:innen zu haben. Ich habe keinen wichtigen Menschen an die Schwurbler-Partie oder die Intensivstation verloren. Und wenn gesellschaftliche Solidarität und die Macht von Gesetzen gleichermaßen abgeschafft sind, ist das wohl das Einzige, was am Ende des Tages zählt.
Trotzdem muss man natürlich festhalten, dass es eine sehr einfache Lösung gibt, die man von jeder einzelnen Maßnahme seit Pandemie-Beginn erwarten sollte: Es hat gefälligst kontrolliert zu werden. Es kann nicht sein, dass sich manche Gastronom:innen einfach weigern, die 3G-Pflicht zu kontrollieren. Veranstaltungen, bei denen 3G nicht kontrolliert wird, sollten aufgelöst werden, und die Organisator:innen sollten heftigste Strafen zahlen. Das ist ein kompletter No-Brainer - aber in Österreich eine utopische Forderung, eine unrealistische Forderung einer besseren Welt.
Am Ende ist alles, was wir tun können, auf die nächste Wahl zu warten und die dafür zuständigen Politiker:innen - vor allem die, die in letzter Zeit eher mit ihren eigenen selbst geschaffenen Problemen beschäftigt waren - abzustrafen. Und sie ab und an daran zu erinnern, dass es durchaus in ihrer Macht läge, sicherzustellen, dass Gesetze eingehalten werden. Dass sie endlich einsehen könnten, dass sie die Kontrolle verloren haben, dass eine Entschuldigung fällig ist und dass man jetzt “anzahn” sollte.
Aber das ist vermutlich auch nur eine schöne Utopie.
Stay Safe