Willkommen zur ersten Ausgabe von Schetts Update.
Ich weiß, ich hab Österreich-Content versprochen, aber heute geht’s um die USA. Wo sich “die Lage immer weiter zuspitzt”, wie man im Journalismus noch im Anteaser feststellen müsste. Fassen wir kurz die Ereignisse der letzten Wochen zusammen:
In einem Land, in dem viele keinen Zugang zur Krankenversorgung haben, kommt es zu einer Pandemie. Mittlerweile haben sich über 2 Millionen Menschen angesteckt, über 100.000 sind gestorben.
Das nehmen die Republikaner vielerorts zum Anlass, für ihre “Freiheit” zu kämpfen. You know, nicht die Freiheit, eine Krankheit zu überleben, sondern die Freiheit, keine Maske zu tragen und nicht auf andere Rücksicht zu nehmen. U-S-A! U-S-A! In Michigan sind Bürger bewaffnet im Rathaus aufgetaucht - noch so eine Freiheit.
Danach wird - mal wieder, muss man leider sagen - ein Amerikaner schwarzer Hautfarbe anlasslos von einem Polizisten getötet und das #BlackLivesMatter-Movement ist wieder da. In allen US-Bundesstaaten wird demonstriert - was wegen Corona umso riskanter ist -, und mancherorts kommt es zu Plünderungen. (Warum, erklärt Trevor Noah hier wirklich nachvollziehbar.) Die Polizei reagiert darauf oft mit mehr Gewalt.
Schlimm genug also - und was macht jetzt der US-Präsident? Er lässt Menschenmengen mit Tränengas auflösen, um sich mit einer Bibel vor eine Kirche zu stellen, und kümmert sich dann um die wirklich wichtigen Dinge: Seine Wahlkampf-Veranstaltungen.
Trump versteht nur eine Sprache: Umfragewerte
Was viele europäische Beobachter noch immer nicht verstanden haben, ist, dass Trump einfach nicht so funktioniert wie “unsere” Politiker. Für Trump sind 100.000 Tote keine menschliche Tragödie, sondern schlechte Nachrichten für seinen Wahlkampf. Und darum reagiert er so, wie er immer reagiert: Er verfolgt die Folgen seiner Politik - oder seiner Nicht-Politik, wenn es um Themen wie Police Reform geht - im Fernsehen, twittert live seine Gedanken dazu und lässt sein Wahlkampf-Team darüber nachdenken, wie man das jetzt wieder in den Griff bekommt.
Nein, das ist kein normaler US-Präsident. Aber die einzige Strategie, wie man Trump zur Aktion bewegen kann, sind Wahlumfragen. Da ist es auch nur logisch, dass es plötzlich eine partisan issue, also eine Parteifrage ist, wie man zu Social Distancing und Masken steht - die Demokraten müssen alles zu Parteipolitik machen, weil Trump sonst nicht reagiert. Auch die einmaligen Zahlungen an US-Bürger, um die Pandemie zumindest kurz zu überbrücken, waren ein wichtiger Sieg für die Demokraten.
Und so ist es mit vielen Themen. In den USA funktioniert Politik nur über Polarisierung. In einem Zweiparteiensystem bezieht eben ein Lager eine Position - zum Beispiel “Masken schützen uns, also sollten wir sie tragen” -, und das andere Lager nimmt dann eben die übrig gebliebene ein. So kann man sich dann wenigstens die Masken-Gegner abholen, die im eigenen Lager sitzen. Neben den Klimawandel-Leugnern, Impfgegnern und Rassisten. Alles Positionen, die man eben hat, weil die andere Partei sie nicht hat.
Das ist es, was man in der Beobachtung von Politik generell oft lernen muss: Dinge funktionieren nicht “rational”. Als Außenstehender tut man so, als wäre alles sehr leicht und man müsste sich nur idealistisch an den Problemen der Menschen orientieren - aber oft ist das nicht so einfach. Ohne Wiederwahl keine Politik, ohne Geld keine Wiederwahl, ohne Parteifreunde und Seilschaften keine Wiederwahl - Politiker haben es oft mit “Sachzwängen” zu tun, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen. Gepaart mit einer narzisstischen Persönlichkeit erleben wir dann genau das, was wir in den USA haben: Ein unglaublich polarisiertes Land, das aus seinen Problemen nur schwer rauskommt.
Wenn sein Wahlkampf-Team es ihm einflüstert, wird Trump wohl nicht zögern, das Militär einzusetzen. Konzepte wie Vernunft und Anstand sind seit langem ausgesetzt - aber eben nicht (nur), weil der Präsident ein Trottel ist, sondern weil es einfach Kalkül ist. Und das nicht ohne Grund: Noch immer stehen gut 40 % der Amerikaner hinter dem Präsidenten. Er kann es sich also weiter erlauben. Und das heißt, dass der ganze Wahnsinn, den wir aus den Nachrichten mitbekommen, wohl noch eine Zeit lang so weitergeht.
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