Türkis-Grün, Abschiebungen und ein dreckiges Geschäft
Die Grünen kommen in der politischen Realität an. Wir auch?
Dieser Tage beobachten wir wieder eine der besonderen Absurditäten, die sich in der österreichischen Politik immer wieder wiederholen.
Dem Koalitionspartner der ÖVP wird die Politik der ÖVP vorgeworfen.
Dieser Tage geht es um die Abschiebung von Schülerinnen und ihren Familienangehörigen nach Georgien und Armenien. Besonders die Abschiebung eines Mädchens namens Tina polarisiert. Sie wurde in Österreich geboren, ist hier zur Schule gegangen, hat Freunde und Familie und spricht natürlich auch Deutsch. Nur zwei Jahre verbrachte sie mit ihrer Mutter in Georgien.
Ich wollte nicht sofort einen Text dazu schreiben, weil “schnelle Takes” zwar gut klicken, aber oft nichts sagen. Und das wird jetzt nicht nur ein “Gegen Abschiebungen”-Text. Ich verstehe, dass das nicht nur ein politisches, sondern auch ein moralisches und auch ein juristisches Thema ist und dass es irrsinnig schwierig ist, mit Zeitungswissen eine so komplexe Entscheidung allgemeingültig zu beantworten. Bevor ich zum eigentlichen Punkt komme, will ich aber nur eine Grundannahme festhalten: Dass man integrierte Kinder abschiebt, die Deutsch sprechen, hier geboren und aufgewachsen sind und niemandem etwas getan haben - das versteht so gut wie niemand.
Parteipolitik mit Abschiebungen
Wer sich in Österreich aber ein bisschen mit Politik befasst hat, ist schon zynisch genug, um hier die offensichtliche Parteipolitik zu sehen. Die ÖVP arbeitet seit Jahren daran, zu einer Art FPÖ ohne Nazi-Problem zu werden und übernimmt in Migrationsfragen konsequent ihre Linie. (Man mag anmerken, dass sie in anderen Bereichen gemäßigt ist - richtig. Aber sie übernimmt das wichtigste Thema einer Single-Issue-Partei komplett.)
Und die Grünen haben auch ihre Interessen. Aber leider sind sie nicht in der Lage, diese durchzusetzen. Diese Regierung schiebt Kinder ab, lässt Menschen in dreckigen Lagern in Moria frieren, stellt sich in einer Pandemie vor die Seilbahnen … manchmal kann man sich zurecht die Frage stellen, ob die Grünen überhaupt mitbekommen haben, dass sie auch dabei sind.
Aber eines darf man nicht vergessen: Der Kompromiss dieser Koalition war von Anfang an klar: „Gebt uns dieses Klimaticket, und ihr dürft machen, was ihr wollt.“
Und angesichts der Machtverhältnisse in der Koalition - die ÖVP liegt bei fast 40 Prozent, die Grünen bei fast 14 -, kann man zumindest realpolitisch behaupten, dass dieser Kompromiss fair ist.
Die Frustration rührt nicht nur daher, dass in Österreich politische Maßnahmen getroffen werden, die eine Mehrheit der Menschen sicher nicht versteht. Sondern auch darin, dass es eine Partei in der Regierung gibt, die eigentlich das Gegenteil wollte. Zu wissen, dass Werner Kogler, Rudi Anschober und Nina Tomaselli schlecht schlafen, aber nichts tun, um diese Kinder zu retten, ist wirklich schwer zu ertragen. Sie sind an der Macht. Warum tun sie nichts?
Das dreckige Geschäft
Aber das Grundproblem geht weit darüber hinaus. Es geht nicht wirklich darum, wie sich die Grünen in regierungsinternen Debatten durchsetzen oder wie mutig sie sich gegen die ÖVP positioniert. Das sind alles vordergründige Debatten, die uns von der kalten, unschönen Realität dessen ablenken sollen, wie Politik in Österreich funktioniert.
Politik ist ein schirches Geschäft. Da geht es um Machtspiele, um Umfragewerte und um die “winning coalition” am Wahlabend. Und das größte Problem ist dabei nicht, dass eine Regierung mit grüner Beteiligung Kinder in Länder abschiebt, deren Sprache sie nicht mächtig sind. Das größte Problem ist, dass irgendjemand annimmt, dass es diese Bilder braucht, um eine Wahl zu gewinnen.
Das ganze Leben dieser Kinder wird fundamental auf den Kopf gestellt. Und das, obwohl es viele gibt, die das nicht wollen. Wahrscheinlich eine Mehrheit. Einige davon sitzen sogar in der Regierung. Und das alles, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort geboren wurden und im Lauf der Geschichte eine ungünstige Rolle einnehmen. Weil politische Akteure glauben, davon eben am meisten zu profitieren.
Etwas Ähnliches beschreibt Barack Obama auch in seinem Buch “A Promised Land”, das seine politische Biografie bis zur Hälfte seiner ersten Amtszeit als Präsident umfasst. Er hatte das gleiche Gefühl. “Yes, we can” war eine Zusammenfassung dieses Gefühls, dass es eine fundamentale Änderung dessen brauchte, wie Politik in den USA funktioniert. Und auf dieser Welle ist er dann auch ins Amt geritten - leider konnte er nicht alle strukturellen Probleme lösen.
Die harte politische Realität
Aber wir in Österreich sind da nochmal weiter hinten. Wir hatten keinen Obama. Wir haben uns noch gar nicht erlaubt, solche Fragen zu stellen. Wie kann es sein, dass eine Partei 34 Jahre in der Regierung ist? Und das ist die ÖVP, wenn man die Übergangsregierung Bierlein mit einer starken Volkspartei im Nationalrat ausnimmt. Wie kann es sein, dass solche Grausligkeiten immer noch passieren, ohne dass man das Offensichtliche sieht und ausspricht?
Wie kann es sein, dass ein Politiker in einer Partei Kanzler wird, die länger in der Regierung ist, als er zurückdenken kann?
Und dann die gleichen Forderungen aufstellt, die damals aufgestellt wurden?
Warum wird die Abschaffung der Kalten Progression immer versprochen, aber nie erfüllt?
Warum wird vor Wahlen von Transparenz geredet, ohne sie jemals zu ermöglichen?
Wir kennen die Antworten. Aber sie sind so furchtbar unangenehm, dass wir sie nicht aussprechen wollen. Leichter ist es, auf andere Themen zu schauen. Warum zwingt die 14-Prozent-Partei den Kurz nicht einfach, eine Abschiebung abzusagen? Können die der konservativen Rechtspartei nicht schnell die Fakten erklären, weils ja wirklich einfach zu verstehen wäre? Die ÖVP mag zwar das Mächtespiel in Österreich perfektioniert haben, aber wie schwer kann das schon sein?
Insofern muss ich hier den unangenehmen Teil übernehmen und eine Lanze für die Grünen brechen. Politik ist ein schmutziges Geschäft, und die Grünen sind darin jetzt angekommen. Und sie scheitern an der ÖVP, die dieses Spiel besser spielt und einen Vorsprung von Jahrzehnten hat. Daran sind auch die SPÖ und die FPÖ gescheitert, wenn es um Punkte ging, die Kurz und seine Vorgänger nicht selbst zulassen wollten. Und daran werden auch noch andere scheitern.
Es gibt keine einfachen Antworten und keinen Masterplan, wie man mal eben eine der dominantesten Volksparteien Europas von heute auf morgen ändert. Das ist die traurige Realität.
Ein kleiner Funken Hoffnung
Das heißt übrigens nicht, dass die Lage aussichtslos ist. Wir können zum Beispiel wählen. Und uns merken, welche Regierung welche Maßnahmen getroffen hat. Welche Regierungsmitglieder das verteidigt haben und welche sich zumindest wehren wollten. Das ist eine Hoffnung, die wir alle paar Jahre haben.
Dazu kommt noch das Agenda-Setting. Wenn jemand in der Regierung glaubt, dass man mit Abschiebungen von Kindern gewinnen kann, dann muss man ihnen eben das Gegenteil beweisen. Und so blöd das klingt, das heißt auch, auf Social Media zu posten. Ich bin kein großer Anhänger der Theorie, dass man nur mit Postings die Welt verändert - aber die Politik muss trotzdem wissen, dass es andere Meinungen gibt und wen sie damit verliert.
Darum finde ich auch gut, dass Bundespräsident Van der Bellen sich zu Wort gemeldet hat. Als grüner Präsident, der anfangs umstritten war und als Kommunist verunglimpft wurde, braucht er ein besonders gutes Gespür dafür, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist und wo er zu sehr polarisieren würde. Aber er hat Recht damit, sich dagegen auszusprechen. Weil die Mehrheit der Österreicher nicht einsieht, dass integrierte Kinder abgeschoben werden. Die SPÖ nicht, die Grünen nicht, die NEOS nicht. Die anständigen ÖVPler nicht. Die Christlich-Sozialen nicht, die Unpolitischen nicht, die ganz normalen guten Menschen nicht. Wahrscheinlich sogar einige FPÖler nicht.
Insofern mein Fazit: Ja, Politik ist ein dreckiges Geschäft. Und es tut weh, den Grünen dabei zuzusehen, wie sie von Idealisten zu Realisten werden. Ich hätte auch gerne, dass Werner Kogler die Notbremse ziehen kann oder dass man Sebastian Kurz einfach nur die Welt erklären muss. Aber was wir nicht tun sollten, ist, den Grünen die Schuld dafür zu geben und weiterzugehen, als wär nichts passiert. Wir sollten uns merken, dass ÖVP-Politik schon prinzipiell noch ein ÖVP-Problem ist. Und auch trotz allem Zynismus nicht aufhören, darüber zu reden und zu sagen, dass wir nicht damit einverstanden sind.