5 Szenarien, wie Trump noch gewinnen könnte
Warum Joe Biden noch nicht fix ist und wie der Wahnsinn noch vier Jahre weitergehen könnte
Aktuell sieht es aus Sicht eines Europäers ganz gut für die USA aus. Joe Biden hat in den meisten Umfragen einen klaren Vorsprung gegenüber Amtsinhaber Donald Trump, und es gibt genug Gründe, die das nahelegen. Aber das hat auch 2016 so ausgesehen. Ich glaube nicht, dass man Trump schon abkanzeln sollte. Hier ein paar Gründe dafür.
#1: Wer mag eigentlich Joe Biden?
Ja, Joe Biden führt in den Umfragen. Aber nein, das ist kein fixes Zeichen für einen Sieg. Denn am Wahltag geht es vor allem um Mobilisierung - vor allem in einem Land, das traditionell eine sehr niedrige Wahlbeteiligung hat.
Hier hat Trump einen entscheidenden Vorteil: Die Wähler, die sich noch offen zu Trump bekennen, sind immer noch begeistert von ihm. Aber wer ist eigentlich enthusiastisch, wenn es um Joe Biden geht? Er hat sich im Vorwahlkampf der Demokraten aus wahltaktischen Gründen als “moderater” Kandidat umgesetzt und verspricht wenige der großen Änderungen, die die Demokraten anzubieten hätten. Kurz: Joe Biden ist die richtige Wahl - aber er kann niemanden wirklich für sich begeistern. Genau das könnte am Wahltag den Unterschied ausmachen.
Besser (und lustiger) zusammengefasst hat das die DAILY SHOW:
#2: ”It’s the economy, stupid”
Eines der wichtigsten Argumente für Trump-Wähler und Republikaner generell ist die ökonomische Performance der USA. Und als größte und relevanteste Volkswirtschaft der Welt ist dieses Thema immer aktuell und liefert beeindruckende Kennzahlen. Diese gehen derzeit eher in die negative Richtung: Die Wirtschaftskrise, die durch das Coronavirus verursacht wurde, trifft die Vereinigten Staaten besonders hart, es ist die größte Rezession seit den 20er-Jahren.
Warum die Wirtschaft trotzdem für Trump spricht? Weil er behaupten kann, dass vorher - also unter “normalen” Bedingungen, pre-corona - die Wirtschaft dank ihm einen Boom erlebt hat. Niemand kann beweisen, ob ein demokratischer Präsident die Krise besser gemanagt hätte als Trump, und er muss den Wahrheitsbeweis auch nicht antreten. Die geplanten - vermutlich etwas übereiligen - Öffnungen von Schulen sowie die zaghaften Lockdowns und schnellen Re-Openings in den Bundesstaaten dienen Trump als Argument, dass er alles versucht, um die Wirtschaft der USA zu retten. Und in einem Land, in dem Jobs traditionell eines der wichtigsten Themen sind und wo Republikanern in der Regel mehr Wirtschaftskompetenz zugesprochen wird, kann das ein wichtiges Argument sein.
#3: Pulling a Nixon
Wie die NEW YORK TIMES in einem hörenswerten Podcast darlegt, gibt es einige Gemeinsamkeiten zwischen dem Jahr 1968 und dem Jahr 2020. In beiden Präsidentschaftswahlen kommt es zu Unruhen und medial vermittelten Protesten. Und in beiden Jahren gibt es einen Kandidaten, der auf “Law and Order” setzt.
Wie damals Richard Nixon stellt sich Donald Trump konsequent auf die Seite der Polizei, des “War on Crime”. Und versteht mich nicht falsch, ich bin nicht “Anti-Polizei”, sondern “Anti-Polizeigewalt” - aber nach den vielen dokumentierten Ermordungen schwarzer Menschen durch die Polizei kann es eigentlich keine zwei Meinungen geben: Etwas muss sich ändern. (Dass das nicht “Riot & Looting” bedeutet, ist klar.)
Vor allem Amerikanern in den “Suburbs” (also Vorstädten) wählen oft auf Basis einer Angst, dass es bei ihnen “genauso” wird wie in den Städten, von denen sie hören. Viele republikanisch geneigte Wähler haben ein Bild von demokratischen Städten als Unruheherde, in denen Gewalt und Verbrechen an der Tagesordnung stehen. Was auch stimmen kann - aber eben auch, weil es ein gesellschaftliches Phänomen ist, nicht ein parteipolitisches. Sein “tough on crime”-Wahlkampf könnte Trump entscheidende Stimmen bringen, wenn Wähler glauben, dass Joe Biden zu weich ist. Und daran arbeitet Trump mit Attack Ads wie dieser hier:
#4: Trumps “Turn to the Blacks”
Das Thema Identitätspolitik hat auch die 2016er-Wahl schon bestimmt. Es gilt als allgemein akzeptierte Geste, dass Trump vor allem durch seine starke Performance bei Weißen, insbesondere in den gewonnen hat. Aber bei der Republican National Convention letzte Woche zeigte sich, dass sich das Narrativ der Trump-Republikaner ändert. Mehrere schwarze Speaker äußerten sich negativ zu den Demokraten und bauten die Erzählung auf, dass Joe Biden sie als selbstverständlich sehen. Insbesondere hervorzuheben ist hier die Kampagne von Kimberly Klacik, die für die Republikaner Baltimore zurückgewinnen will.
Dazu kommt noch, dass die Kandidatur von Kanye West an manchen Orten wiederum schwarze Wähler, die tendenziell Demokraten wählen würden, abwerben könnte. People of Color, also zum Beispiel Schwarze, Latinos und Asiaten, sind eine enorm wichtige Wählergruppe für die Demokraten - wenn Trump es schafft, hier zu performen, könnte er wieder gefährlich werden.
#5: Der ganz normale Wahnsinn des Culture War
Viele Argumente, die in den USA die Wahl entscheiden könnten, sind für uns unverständlich. Aber es gibt nun mal den Trend, dass es in einem Zweiparteiensystem tendenziell immer zwei Meinungen gibt, anhand derer sich die Parteien orientieren. Pro oder contra Abtreibung ist ein Klassiker, oder die nie endende Debatte um Waffengesetze. Mittlerweile ist es aber eher so, dass die Wähler ihre Überzeugung nach Parteien ändern, und nicht mehr umgekehrt.
Lies hier mehr dazu, wieso die USA so verrückt wirken.
Und ja, es ist ein “beide Seiten”-Problem, aber es trifft die Republikaner deutlich härter. Beide Parteien polarisieren und beziehen ihre Positionen bewusst, um dem Gegner wahltaktisch zu schaden - aber die Republikaner stehen konsequent auf der falschen Seite der Geschichte. Bei zwei Meinungen wählen die Republikaner “Gegen Waffenregulierung, für Klimawandel-Leugnung und gegen Masken im Kampf gegen das Coronavirus”. Hier sind Fakten längst irrelevant geworden - und daher wird die Debatte um wichtige Themen, die im wahrsten Sinne des Wortes Leben kosten können, hauptsächlich anhand ideologischer Trennlinien geführt. Das macht vieles möglich - zum Beispiel eine zweite Amtszeit von Trump.
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