Bitte keine bedingungslose Grundzeitung
Bablers Idee würde das Grundübel der österreichischen Politik nur verschärfen - here's why.
Medienpolitik und Österreich, das ist für mich immer frustrierend. Nicht nur, weil es um ein politisch wie wirtschaftlich komplett festgefangenes System geht, sondern auch, weil nur selten sinnvolle Vorschläge kommen. Die meisten erkennen nämlich gar nicht das richtige Problem - von daher ist es kein Wunder, dass man nicht zur richtigen Lösung kommt.
Klingt jetzt schon wie ein Rant, und das wird es auch. Denn wie der STANDARD berichtet, plant Andi Babler, Medien noch mehr Geld vom Staat zu schenken - und zwar in Form von öffentlich finanzierten Medienabos:
Neu im Forderungskatalog ist jedoch eine Idee, die der Verbreitung von Fake News Schranken setzen soll. Die SPÖ will jeder Österreicherin und jedem Österreicher von 16 bis 30 Jahren finanziell unter die Arme greifen, die oder der ein journalistisches Medium – sei es Print oder Online – abonniert. Konkret soll der Staat Kosten von bis zu 150 Euro pro Jahr übernehmen. Zum Vergleich: Ein klassisches STANDARD-Abo – Print-Ausgabe plus E-Paper – kostet für Studierende und Menschen in Ausbildung die ersten drei Monate jeweils 21 Euro und in der Folge 40,90 Euro pro Monat. Wer nur das E-Paper will, zahlt für acht Wochen acht Euro und danach 16,90 Euro pro Monat.
Dieser Absatz ist nicht nur bemerkenswert, weil es um eine neue Position der SPÖ geht. Sondern auch, weil der STANDARD direkt einordnet: „Damit ginge sich unsere Zeitung nur fünf Monate aus.“
Jetzt ist nicht verwerflich, dass der STANDARD kurz Upselling für die eigenen Produkte macht. Journalismus ist hart. Aber es ist symptomatisch dafür, wie Medienpolitik in diesem Land von der Branche gesehen wird: Sobald es einen Vorschlag in irgendeine Richtung gibt, wird die Hand aufgehalten - oder kritisiert, dass es viel zu wenig gibt.
Dabei ist jetzt schon nicht wenig Staat im Mediensystem.
8,9 Millionen Euro wurden letztes Jahr an Medienförderung vergeben. Symptomatisch heißt die nach wie vor „Presseförderung“ - denn nur Presse, das heißt gedruckt, gepresst auf Papier, ist Journalismus. DER STANDARD, der zwar auch seine Eigeninteressen hat, aber trotzdem oft gut und ausführlich über Medienpolitik berichtet, hat eine Aufstellung dazu, wohin dieser Summen fließen.
Wenn man bei Medien und Medienmachern nachfragt, wird man natürlich sofort hören, dass das zu wenig ist. Ich würde die Frage aber eher umgekehrt angehen: Wie kommt der Staat überhaupt dazu, Medien zu fördern? Man könnte ja auch ganz naiv davon ausgehen, dass das, was sich am Markt bewährt, gut genug ist, und alles andere nicht.
Jetzt weiß ich schon, dass das in einem Mini-Markt wie Österreich so eine Sache ist mit den „meritorischen Gütern“. Medienvielfalt ist wichtig für eine Demokratie, und sofern man diese Aussage nicht in einer philosophischen Diskussion in Abrede stellt oder sich in Grundsatzdebatten darüber verlieren will, wie „viel“ es für „Vielfalt“ braucht, können wir uns wahrscheinlich darauf einigen, dass ein bisschen Unterstützung von staatlicher Seite für diese Medienvielfalt schon okay ist. Das würde ich auch nicht verneinen. Aber wir sind genau im umgekehrten Extrem der Diskussion.
Nicht nur, dass wir viele Millionen pro Jahr für eine künstlich beatmete Medienlandschaft ausgeben – sie ist nicht mal besonders gut.
Das soll kein billiges Journalisten-Bashing sein. Been there, done that, und ich weiß schon, wie schwierig es ist, mit gefühlt drei Euro am Tag in einer sterbenden Branche zu arbeiten, während sich die Boomer mit ihren Altverträgen aus der Steinzeit noch immer eine goldene Nase verdienen. Aber trotzdem müssen wir doch so ehrlich sein, zu benennen, dass es da auch so etwas wie eine staatliche Kosten-Nutzen-Rechnung gibt. Und die geht, finde ich, momentan einfach nicht auf.
Was leisten diese 8,9 Millionen plus deutlich mehr „inoffizielle“ Presseförderung in Form von Inseraten denn für uns?
Die reichweitenstärksten Medien des Landes sind – bis auf die KLEINE ZEITUNG – Boulevardmedien, die durch Überspitzung, EU-Bashing, wissenschaftsfeindliche Kampagnen und „dem Volk nach dem Mund reden“ auffallen. Nicht unbedingt etwas, das einen mündigen politischen Diskurs fördert.
Genau diese Medien sind es auch, die in Chats von Thomas Schmid und Politikern der ÖVP und FPÖ auftauchen, weil sie es sich richten wollten: Vom bestellten Gesetz für Privatstiftungen bis zu Berichterstattung auf schriftlichen Wunsch. Das ist genau das Gegenteil einer kritischen Medienlandschaft, für den wir die Presseförderung eigentlich haben.
Aber es gibt auch Qualitätsmedien in Österreich. Diese sind aber dafür noch abhängiger von der Presseförderung - also dem Staat. Und: Sie bringen die gleichen APA-Meldungen prominent, weil ihnen die Personaldichte für „aktuell und in die Tiefe gehend“ fehlt. So legen sie Verschwörungstheoretikern den Punkt auf, dass „das System“ existiert: Die schreiben ja alle das Gleiche!
Und gerade medienpolitisch funktioniert dieser Diskurs überhaupt nicht. Wenn eine Debatte gestartet wird, ist der erste Reflex, die eigenen Kennzahlen hoch-, die der Konkurrenz kleinzureden. So kommen nach jeder Media Analyse vier Medien auf die Idee, sich zur Nummer 1 zu küren, indem sie Cherry Picking betreiben. In der Hoffnung, dass die nächste medienpolitische Initiative genau sie belohnt. „Uns geht es gut, alle anderen straucheln!“
Auch medienpolitisch betriebt Österreich also hauptsächlich Realitätsverweigerung.
Ich sage „auch“, weil wir das in der Außen- und Sicherheitspolitik gut kennen und weil ich generell glaube, dass die österreichische Seele irgendwas zwischen gastfreundlichem Image, heimlichem Sudern und dem permanenten Kampf gegen die Realität sein muss. Gerade von einer kritischen Medienlandschaft würde ich mir nicht nur eine Thematisierung dessen erwarten, sondern auch einen selbstkritischen Diskurs über Medienpolitik. Aber das gibt es in Österreich kaum - und wenn, dann nur von denen, die vom jetzigen System ohnehin nichts bekommen, also innovativen, kleinen Projekten.
Genau diese Realitätsverweigerung, die unseren politischen Diskurs so dominiert, wird auch im Medienbereich fortgesetzt. DER STANDARD hat längst aufgegeben, Innenpolitik ernsthaft einzuordnen und sich auf Policy zu fokussieren, dafür gibt es jede Woche drei „Wer kann mit wem koalieren“-Artikel und Horse Race Journalism, weil das gut klickt.
Und auch in Medien, die ich im Bereich der Innenpolitik für verlässlich halte – vor allem die PRESSE und die KLEINE – wird immer wieder das Stammtisch-Sentiment vertreten, dass „die Parteien“ keine Lösungen hätten, zum Beispiel wenn es um die Neutralität geht. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass alte Journalisten immer noch im Zweiparteienstaat leben, oder ob sie NEOS absichtlich vergessen, um das Narrativ zu bedienen. Die Realität wird zurechtgerückt, in ein Narrativ gepackt, das alt und bewährt ist. Echte Veränderung aber braucht einen anderen Diskurs als den, den wir jetzt haben. Das wäre auch Aufgabe der Medien.
Aber ich ärgere mich eh nicht nur bei uns darüber: Die Medienlandschaft ist in alle Richtungen platt. Auch, wenn mir als Liberalem die Erzählung gut passen könnte, dass die SPÖ nicht aus dem Streit herauskommt, muss man ehrlich festhalten, dass sie auch gar keine Chance dazu bekommt: Solange eine Mehrheit der Journalisten bei jedem Interview mit SPÖ-Politikern die Frage stellt, ob Babler der Richtige ist, hat er gar keine Möglichkeit, sich als der Richtige zu etablieren. Hier haben wir einen Diskurs, der im „SPÖ-Richtungsstreit“-Narrativ gefangen ist, weil es die letzten Jahre gut geklickt hat. Und nur, weil mir das strategisch gefällt, will ich nicht so tun, als wäre das nicht der Fall.
Aber nach so viel Medienbeschimpfung, jetzt wieder zurück zum Vorschlag von Babler.
Gratis-Zeitungen für alle: Löst das wirklich irgendein Problem?
Ich glaube nicht. Mir kommt der Vorschlag nicht durchdacht vor. „Journalismus gut“, ja eh, aber welche langfristigen Folgen erhoffen wir uns daraus, und welche Anreize setzen wir damit? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Babler generell selten, wie man auch an seinen wirtschaftspolitischen Forderungen sieht. Aber für mich sprechen jedenfalls mehrere Punkte dagegen:
Denn die Tatsache, dass Medien verfügbar sind, sorgt noch nicht dafür, dass sie konsumiert werden. Viele Menschen in Österreich könnten sich problemlos ein bis zwei Medienabos leisten, auch wenn sie zugegebenermaßen teuer sind. Die Nachfrage scheint einfach nicht da zu sein - und da müssten Medienunternehmen selbstkritisch ansetzen.
Es geht auch darum, welche Medien wir fördern wollen. Denn was ein „Medium“ ist, das ist eine berechtigte Diskussion. Der Exxpress etwa, eine Schleuder für Falschmeldungen und russische Propaganda, die aus dem ÖVP-Klientel finanziert wird, aber hauptsächlich FPÖ-Narrative bedient: Ist das schon ein Medium? Und wenn ja: Dürfen wir MATERIE dann auch fördern? Ist zwar ein Klubmedium, aber faktisch wesentlich korrekter.
Was ist der langfristige Plan? Fördern wir Medien damit einfach für immer, schießen und schießen mehr staatliches Geld zu? Wenn ja, haben die geförderten Unternehmen noch weniger Anreiz, auf Innovation und Digitalisierung zu setzen. Oder fördern wir für, sagen wir, fünf bis zehn Jahre, als eine Art „Transformationsfonds“, den Babler ja auch für die Industrie will? Wenn ja: Viel Glück dabei, die Förderung in Zukunft wieder abzuschaffen. Gegen den Widerstand der gesamten österreichischen Medienlandschaft.
Diese Probleme sind offen. Und wenn man böse sein will, könnte man sogar behaupten, dass das Absicht ist. Denn vielleicht geht es auch gar nicht darum, Journalismus zukunftsfit zu machen, den Pluralismus in der Medienlandschaft zu fördern und staatliches Geld korrekt einzusetzen. Sondern darum, sich mit der erzkonservativen Interessensvertretung der Zeitungen zu arrangieren: Dem Verband Österreichischer Zeitungen.
In der Branche generell ist die Aufbruchstimmung in die „neue“, digitale Welt des Journalismus nicht unbedingt groß. Aber der VÖZ – der nach wie vor „Zeitungen“ im Namen trägt, als wäre Journalismus auf Papier beschränkt – ist, wie so viele Interessensvertretungen, noch weniger weit als die Branche selbst. Seine Aufgabe versteht er im Wesentlichen als einen Abwehrkampf gegen mehr Freiheit für den ORF und dem Kampf um noch mehr staatliches Geld. Scheißegal, wofür das im Endeffekt ausgegeben wird.
Wenn man medienpolitische Vorschläge macht, gibt es also im Wesentlichen die gleichen Möglichkeiten wie in vielen anderen Bereichen:
Entweder man schlägt Reformen vor, die auch bestehende Strukturen verändern würden und sich mit etablierten Stakeholdern anlegen. Dann hat man genau diese Stakeholder zum Feind – namely, den VÖZ.
Oder aber man schlägt vor, einfach mehr Geld in bestehende Systeme zu pumpen, um sich gutzustellen und Kosmetik zu betreiben. Wir kennen diesen Film aus dem Bildungs- und Gesundheitsbereich, und generell scheint sich die österreichische Politik nur mehr darauf zu beschränken, Fördertöpfe zu vergeben. Aber damit macht man sich immerhin Freunde – wieder, den VÖZ.
Machen wir also am Ende einen Alternativvorschlag.
Den gordischen Knoten der österreichischen Medienlandschaft zu lösen, das kann die Politik nicht alleine machen. So ehrlich muss man einfach sein. Solange ein großer Teil der Branche hofft, dass die Digitalisierung wieder weggeht, die Hand für Förderungen aufhält oder darauf hinarbeitet, vor dem großen Mediensterben in Pension zu gehen, ist jede Reform sinnlos, solange es keine Reformbewegung in der Branche selbst gibt.
Trotzdem gibt es einige Ideen, wie man die österreichische Medienpolitik sinnvoll reformieren könnte. Im Wesentlichen gibt es je einen sehr großen Hebel pro Art der Medienförderung:
Durch Reformen in der Inseratenvergabe könnte man öffentliches Geld viel sinnvoller vergeben. Eine Obergrenze für Werbung von Ministerien inklusive nachvollziehbarer Standards würde nicht nur dafür sorgen, dass Inserate kein Körberlgeld für positive Berichterstattung mehr sind - es wäre auch viel mehr Geld frei. Ein Teil davon könnte sogar wirklich in die Medienförderung wandern.
Förderungen selbst gehören aber reformiert und an Qualitätsstandards gebunden. Diese sollten nicht auf den Inhalt der Berichterstattung fokussiert sein - das wäre eine brutale Waffe für kommende autoritäre Regierungen -, sondern auf Merkmale wie die Mitgliedschaft in einem Selbstregulierungsorgan, Diversität in der Redaktion, Kollektivverträge oder z.B. die Frage, ob es ein Wissenschafts-Ressort gibt.
Und eine ganz wilde Idee von mir, die ich aber noch in der Praxis durchdenken müsste: Die oben angeführte Idee eines „Transformationsfonds“ wäre in der Medienlandschaft ja gar nicht so neu. Wenn man Medien schon Geld gibt, dann doch bitte für echte Transformation. Und das bedeutet nicht, einen Fernsehsender aufzumachen, der dann nur Stock Photos mit bestehenden Podcasts sendet - sondern einen Aus- und Umbau der Redaktion, um in Zukunft am Markt bestehen zu können.
Das wäre auch ein gesichtswahrender Weg für die Medienlandschaft, sich endlich zu reformieren: Mit dem Narrativ „Liebe Medien, der Staat hat hier die falschen Anreize gesetzt - hier habt ihr eine Ausgleichszahlung, um euch umzustellen“. Danach haben Medien, Hausnummer, zehn Jahre Zeit, um sich auf eigene Beine zu stellen, bis dahin zahlt der Staat eine wesentlich fettere (und besser gestaltete) Medienförderung aus. Danach gilt: Wer überlebt, überlebt, wer stirbt, stirbt. Eine verzögerte Schocktherapie für den Medienmarkt erscheint mir schwer umsetzbar, aber effektiv.
Klingt radikal, I know. Und wahrscheinlich wird es nie möglich sein, einen ansprechend großen Medienmarkt in Österreich zu erhalten, ohne Steuergeld zuzuschießen. Aber die Abhängigkeit der Medien vom Staat ist für mich das demokratische Grundübel dieses Landes – und jeder Weg, dieses Problem zu lösen, ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Bablers Vorschlag tut aber genau das Gegenteil: Er schlägt einfach nur vor, mehr Geld ins System zu leiten. Damit nimmt der Medien noch mehr den Anreiz, auf eigenen Beinen zu stehen, vertieft die Abhängigkeit – und löst kein einziges Problem. Wenn am Ende einige junge Menschen mehr Zeitung lesen, ist das ein netter Nebeneffekt. Aber was das der Demokratie bringt, verliert sie doppelt und dreifach: Durch eine Verschärfung der strukturellen Abhängigkeit.
Bis zum nächsten dummen Vorschlag
Noch mehr Lesestoff
🕵️♂️ Der Fall Egisto Ott, als Strichmännchen erklärt. Der Journalist Jonas Vogt hat einen lustigen Erkläransatz gefunden. Ich glaube, der Spionagethriller aus der österreichischen Innenpolitik wird dadurch leichter verständlich.
🇸🇰 Die Slowakei geht jetzt Richtung Orbánisierung. Weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk dem neu gewählten Ministerpräsidenten Fico zu kritisch ist, wird er einfach zugesperrt. Ich fürchte, die Slowakei wird das nächste Warnsignal, was passiert, wenn man rechtspopulistische Parteien einfach machen lässt. Die FPÖ legt sich ja schon seit Jahren mit dem ORF an, weil sie dort (zurecht) nicht gut genug wegkommt. Wir kennen das ja schon als „Orbán Playbook“. Kleine Eigenwerbung für den MATERIE Podcast dazu:
🃏 Ich hab über einen Troll geschrieben! Und zwar über meinen neuen Lieblings-Troll aus dem Parlament: Andreas Hanger. Der ÖVP-Fraktionsführer im U-Ausschuss hat nämlich meiner Meinung nach den coolsten Job in der österreichischen Innenpolitik: Er sitzt nur deshalb im U-Ausschuss, um andere zu stören, Witze zu machen und mit einer Mischung aus Streit und Schmäh den Diskurs zu lenken. „Der Text hätte genauso gut im Standard stehen können“, meinte ein Kollege dazu - nehm ich.