Die Creator Economy und der Kampf um die Bildschirme
Wieso Influencer everyone's darling sind und was für Unternehmen in Zukunft wichtig wird
Als PR-Berater muss ich fragen, ob ihr aufgepasst habt: Was war nochmal der Unterschied zwischen Marketing und PR?
Meine Standardantwort ist, dass Marketing etwas verkaufen und PR Meinungen verändern will. Aber man kann auch gerne ein alltagstaugliches Beispiel nehmen. Wer sich noch an lineares Fernsehen erinnern kann, wird sich auch noch an das Konzept des Werbeblocks erinnern. Wie macht man als Unternehmen oder Organisation auf sich aufmerksam, wenn man TV als Medium nutzen will?
Werbung bedeutet, einen Werbespot zu kaufen und dort zu platzieren, wo man eben Werbung sieht: Im Werbeblock. PR bedeutet auch, auf dem Bildschirm vorzukommen - aber nicht in den Pausen, sondern in der Show, die man eigentlich schauen will. PR-Berater feilen also nicht an den genialsten Werbespots, die je hinter Ad-Blockern versteckt wurden. Sie arbeiten daran, etwas zum Gesprächsthema machen, über das aus echtem Interesse gesprochen wird.
Die Zeiten des linearen Fernsehens mögen zwar vorbei sein, aber die Logik bleibt die gleiche: Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit ist vor allem ein Wettbewerb um den Platz und Zeit auf den Bildschirmen. Und auch in den sozialen Medien gilt: Du willst nicht in die Werbepausen, sondern du willst in die Show.
Der War for Talent im Influencer-Bereich
Im Social-Media-Bereich bedeutet das, einen Trend zu nutzen, der in Österreich teilweise nach wie vor belächelt wird: Die Creator Economy. Oder, wie man es hierzulande eher kennt: Influencer.
Influencer sind Menschen, die durch die Zurschaustellung ihres Lebens auf sozialen Medien eine große Reichweite generieren und dadurch ein eigenes Publikum aufbauen. Sie nutzen dominante Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube - noticed how I didn’t say Facebook? - , um ihre eigenen Seiten zu errichten, die sie so gut wie jeden Tag befüllen. Zwischendurch müssen sie sich einen Witz über das Grippevirus anhören, aber dafür verdienen sie Geld damit: Durch Unternehmen und Organisationen, die auf ihren Seiten gerne erwähnt werden würden.
Gesellschaftlich werden Influencer oft noch als eine Art “professioneller Fake” gesehen. Gerade bei Leuten, für die “was G’scheites hackeln” nur mit schwerer, körperlicher Arbeit verbunden ist, die nach acht Stunden aus ist und am nächsten Tag wieder anfängt, wirkt die Vorstellung oft lächerlich, dass man einfach auf sozialen Medien posten und das seinen Job nennen kann. Das kann Influencern allerdings herzlich egal sein - immerhin verdienen sie mit Postings auch hierzulande schnell mal drei- oder vierstellige Beträge.
Ihr glaubt mir nicht? Bei den großen Social-Media-Konzernen ist die Plattform jedenfalls schon längst angekommen:
Facebook ist gerade vermutlich am fleißigsten an der Creator-Front. Während der Konzern stark auf Social Commerce setzt - also e-Commerce über soziale Medien - baut er auch die Möglichkeiten für Influencer aus, Geld zu verdienen. Direkt auf Facebook sollen sich Unternehmen mit Markenbotschaftern verbinden können, die zur Message passen. 5 Millionen US-Dollar sollen an lokale Journalisten in den USA ausgezahlt werden, um local news in Zukunft auf Facebook stattfinden zu lassen.
Instagram war lange die Top-Adresse für Influencer und bemüht sich, diesen Status zu zementieren: TikTok-Stars werden gezielt abgeworben, gleichzeitig werden geteilte TikTok-Beiträge auf Instagram nicht mehr vom Algorithmus beworben. Die Botschaft: Wenn du Hochformat-Videos machen willst, musst du dich entscheiden. Und da Instagram nach wie vor einen Größenvorteil hat, könnte dieses Kalkül aufgehen.
TikTok mag zwar nicht seit Jahren die Homebase der meisten Influencer sein, aber verkörpert momentan Relevanz und Popkultur. Die App macht es nicht nur mit Abstand am einfachsten, professionellen Video-Content zu produzieren, sondern ist perfekt darin geworden, Usern die richtigen Inhalte zu empfehlen. TikTok setzt Trends, bestimmt den Musikgeschmack junger Menschen und ist gerade die Adresse, wenn man quasi “als Influencer anfangen” will: Manche Creator sind in kurzer Zeit so bekannt geworden, dass sie bereits sektenartige Fangruppen haben. (Die sind oft halb-ironisch gemeint - aber ironisch viel Zeit in etwas zu investieren ist bekanntermaßen die Einstiegsdroge dafür, es irgendwann unironisch zu tun. #sheesh)
Twitter baut einige interessante Produkte im Bereich der Creator Economy. Mit einer Art Trinkgeldbox ist es möglich, andere User ganz einfach dafür zu belohnen, wenn sie gute Tweets veröffentlichen. Mit Super Follows soll es eine Möglichkeit geben, einige Inhalte hinter eine Paywall zu stellen. Dazu hat Twitter vor einiger Zeit das Newsletter-Tool Revue gekauft - sehr ähnlich wie Substack, also die Plattform, mit der ich diesen Newsletter schreibe. Und erst letzte Woche hat der Konzern Scroll gekauft, ein Tool, mit dem User gegen Bezahlung Werbung auf Drittseiten ausblenden können.
YouTube macht 100 Millionen US-Dollar als Belohnung für die Top-Influencer mit YouTube Shorts frei, dem TikTok-Klon der Videoplattform. Das Geld fließt aber nur, nachdem die Kurzinhalte veröffentlicht wurden, man kann sich nicht im Voraus bewerben.
Snapchat hat vor einigen Monaten “Spotlight” gestartet, einen TikTok-ähnlichen Feed, mit dem User ihre Inhalte auch öffentlich posten können. Als Belohnung winken jeden Tag eine Million US-Dollar. Jetzt startet auch ein “Creator Marketplace”, der Marken und Influencer verbinden soll.
Clubhouse existiert übrigens auch noch und plant eigene Shows aus den verschiedensten Bereichen. Ob es dafür nicht zu spät ist, wenn Facebook, Twitter, Spotify, Discord und LinkedIn bereits an Alternativen arbeiten?
Ich könnte die Liste beliebig weiterführen, z. B. mit LinkedIn, Twitch oder Discord. Aber das würde den Rahmen sprengen.
Jetzt kann man entweder davon ausgehen, dass all diese Konzerne nur einen Hype verfolgen. Aber ich glaube eher, dass sie die strategisch richtige Entscheidung treffen. Wer eine starke Bindung zu einem Influencer hat, wird ihm in der Regel überall hin folgen und Zeit mit den Inhalten verbringen. Die Frage ist: Auf welchem Kanal finden diese Inhalte statt? Und wie sichert man sich die Pole Position in einem Markt, der relativ schnell so wichtig geworden ist? Ich bin gespannt, wie das in fünf Jahren aussehen wird. (Meine vage Vermutung ist, dass Facebook nicht am interessantesten für Influencer wird.)
Authentisch sein ist das Wichtigste
Alle Plattformen haben also verstanden, dass Influencer zu den wichtigsten Themen der nächsten Jahre gehören. Für normale User, aber vor allem für Menschen, die mit sozialen Medien in irgendeiner Form arbeiten, ist es wichtig, das zu verstehen: Gerade in einer Social-Media-Welt, die anders als in den frühen 10er-Jahren voll mit schlechten, gesponserten Inhalten von Unternehmen ist, gilt es umso mehr, authentisch zu sein und herauszustechen.
Ich glaube, dass die Sehnsucht nach Authentizität und echter, ehrlicher Kommunikation ein Trend in der Kommunikation ist, den wir zwar jetzt schon ganz klar beobachten können, aber der trotzdem noch in den Kinderschuhen steckt. Es ist ähnlich wie beim linearen Fernsehen und der guten alten professionalisierten Unterhaltung: Irgendwann gewöhnen sich die Leute an “Prime Time”, dann an die Logik dramatischer TV-Serien, und Jahrzehnte später ist ein Reality-TV-Star Präsident der Vereinigten Staaten.
Wenn man diese Analogie weiterdenkt, bedeutet das, dass zwangsläufig irgendwann ein Influencer Präsident werden muss. Und obwohl ich nicht glaube, dass das schon bald passiert, ist der Trend der Authentizität längst auch in der Politik angekommen. Das beste Beispiel dafür ist die US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die auf Instagram nicht nur über Politik spricht, sondern auch Schmink-Tipps gibt und Einblicke in ihre Hobbies wie Videospiele gibt. In Österreich geht die EU-Abgeordnete Claudia Gamon in eine ähnliche Richtung.
Was sicher ist: Die Creator Economy ist schon längst Fakt, auch, wenn sie noch von vielen belächelt wird. Die großen Social-Media-Konzerne stecken mitten in einer Schlacht um die größten Influencer-Talente und unsere Aufmerksamkeit - und für Unternehmen wird es die größte Herausforderung sein, nicht nur auf authentischen Kanälen von Influencern vorzukommen, sondern auch selbst authentisch zu wirken. Das ist eine 180-Grad-Wende vom klassischen “Corporate Talk”, der möglichst distanziert ist und keine Angriffsfläche bieten will.
Aber für solche Herausforderungen hat man ja PR-Berater.
Schönen Start in die Woche