Wer diesen Newsletter länger liest, weiß zumindest ungefähr, wie ich die sozialen Medien aktuell einschätze. Long story short: Wir müssen uns irgendwie über die Post-Facebook-Zukunft Gedanken machen, weil der de facto Monopolist im Social-Media-Bereich zu dominant geworden ist und offensichtlich weder einen Plan noch die Motivation hat, um seine Probleme zu lösen. Hier habe ich schon einmal mehr zu “Peak Facebook” geschrieben.
Aber wie ich den Konzern sehe, der moderne soziale Medien erfunden hat - das hat sich in letzter Zeit erneut gedreht. Nicht, dass ich plötzlich ein großer Fan davon wäre. Würde ich nicht beruflich damit zu tun haben, würde ich es vermutlich gar nicht mehr verwenden. Für mich ist Social Media eher Kreativität und Spaß (also TikTok) oder Diskurs (also Twitter). Trotzdem glaube ich, endlich mal wieder zu verstehen, worauf Facebook hinarbeitet. Und es wird keine schöne Antwort.
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Warum es bei Facebook nicht läuft
Kurz nochmal zusammengefasst: Facebook kämpft mit vielen Problemen. Content-Moderation bleibt die wichtigste Baustelle, aber es gibt offensichtlich zu viele Inhalte, als dass man alle manuell freigeben und bewerten könnte. Die Bewertung von politischen Inhalten ist ein Minenfeld, das der Konzern je nach PR-Value und innenpolitischer Lage in jedem Land anders bewertet, und der Trend zeigt deutlich in die Richtung “mehr Zensur”, was nicht nur schlecht sein muss. Und das größte Problem von allen: Leute melden sich von Facebook ab, die jüngeren Zielgruppen nutzen es kaum mehr, und auch die stärkere Marke Instagram schwächelt.
Und das hat Gründe. “Facebook ist tot” hat sich als Floskel dauerhaft etabliert, und trotzdem haben die allermeisten immer noch einen Account. Es mag zwar praktisch sein, um Events auszurichten. Und ja, die Targeting-Tools sind ungeschlagen. Aber irgendwie können wir uns alle darauf einigen, dass Facebook einfach langweilig geworden ist, oder? Hier nur ein paar Gründe dafür:
Was also tun?
Es gibt viele Vorschläge dazu, z. B. die Einbeziehung unabhängiger Wissenschaftler, einen “freien Markt für Algorithmen”, mehr Transparenz und bessere Arbeitsbedingungen für die armen Seelen, die Facebooks gemeldete Beiträge moderieren müssen.
Aber ich glaube, der Konzern geht in eine andere Richtung. Vielleicht geht es gar nicht mehr in die Richtung, die sozialen Netzwerke besser zu machen und dafür zu sorgen, dass Facebook wieder so enjoyable wird wie, sagen wir, 2012. Und auf den Gedanken bin ich gekommen, als ich dieses Bild gesehen habe:
Was wir hier sehen: So stellt sich Facebook die Funktionen von Geräten vor, an denen es gerade arbeitet.
Ich hab schon einmal über Facebooks “Next Big Thing” geschrieben und auf die Ambitionen von Zuckerberg im Bereich Augmented und Virtual Reality aufmerksam gemacht. Seitdem hat sich einiges getan: Mittlerweile arbeitet jeder fünfte Mitarbeiter von Facebook an AR und VR, die Oculus Quest 2 wurde bereits 5x so oft verkauft wie das Vorgängermodell, und Mark Zuckerberg selbst erklärt immer wieder, dass er in diesem Bereich die Zukunft sieht.
Das Beispiel im Bild zeigt aber deutlicher, worum es gehen wird: Wir sehen dabei User eines Facebook-Gerätes, die Geräte in ihrer Umgebung steuern. Setzt das zusammen mit den Funktionen der Facebook-Brille, die bereits in Arbeit ist, und es gibt unzählige Möglichkeiten.
Und das Beste? Bereits jetzt ist es bereits so, dass man alle Oculus-Inhalte verliert, wenn man sein Facebook-Konto löscht. Um im VR-Bereich zu interagieren, braucht man also entweder andere Anbieter - die mit weniger Geld im Hintergrund (mutmaßlich) nur geringere Qualität bieten können -, oder einen Facebook-Account.
Facebooks Ziel? Die Herrschaft im Internet of Things
Facebook arbeitet daran, das Internet of Things exklusiv an sich zu binden. Für jedes Gerät, das man über das Internet mittels AR steuern kann, soll es eine Möglichkeit geben, das über Facebook zu erledigen. So steuert man das Licht im Wohnzimmer, die Klimaanlage in der Arbeit, die Navigations-Anzeigen der eigenen AR-Brille und die Kaffeemaschine ganz einfach mit Handbewegungen. Egal, wo man ist.
Diese Richtung ergibt für den Konzern aus mehreren Gründen Sinn.
Facebook braucht neues Wachstum. Mit mehreren Milliarden Usern und als erfolgreichstes Social Network überhaupt ist der Weltmarkt irgendwann leergefischt. Um in diesem Bereich weiterzuwachsen, fördert Facebook selbst mittlerweile den Internetausbau in Ländern, in denen noch nicht jeder verbunden ist. Mit Geräten gibt es nicht nur einen neuen Anreiz, sich auf Facebook zu registrieren, sondern auch einen ganz neuen Markt, den der Konzern bespielen kann.
Spaß wird irrelevant. Und damit auch alle Probleme, die Zuckerberg momentan hat. Es ist völlig egal, ob mein News Feed für mich relevant ist, wenn ich Facebook sowieso verwenden muss, um meine Wohnung zu steuern. Wenn ich ohne einen Account nicht mehr die besten Apps verwenden kann, habe ich auch ein Konto, ohne jemals Beiträge posten zu müssen. Kurz: Es ist egal, ob der Betreiber langweilig ist, solange er funktioniert.
Flucht nach vorne. Wie bereits angesprochen kämpft Facebook mit Vorwürfen des Monopolstatus im Social-Media-Bereich. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass Facebook demnächst in irgendeiner Form zerschlagen oder zumindest reguliert wird. Zuckerbergs Ansatz ist längst: “Ja, bitte!” - Facebook wirbt sogar in der NEW YORK TIMES für mehr Regulierung von Technologie-Konzernen. Sollen sie doch vorschreiben, was wir moderieren würden und was nicht. Denn wir sind eh bald ganz woanders.
Stellen wir uns vor, dass diese Zukunft möglich sein kann - wäre es nicht dumm von Facebook, sich weiterhin um seine Kernprodukte zu kümmern? Die blaue Seite ist längst voll mit Fake News, politischer Propaganda, viel zu oft schlecht gemachter Werbung und - etwas breiter gefasst - schlechten Nachrichten, mit denen sich doch niemand mehr beschäftigen will. Aber engagement-basierte Algorithmen sind eben die Cash Cow und ermöglichen billiges Targeting bei einer großen Menge Leute, die permanent online ist. Also why bother?
Facebook hat etwas Besseres entdeckt. Die Kernprodukte Facebook und Instagram - und WhatsApp, das ja auch in Richtung Monetarisierung geht -, sind nur noch da, um einen langfristigen Turn zu finanzieren. Ja, wir werden vermutlich noch lange Instagram Stories posten (WhatsApp Status? Not so much) und es wird immer noch Leute geben, die einfach damit aufgewachsen sind, jeden Gedanken als Facebook-Status offiziell mit hochglanzpoliertem Profil zu posten. Aber der Kurs ändert sich. Und das ist Grund für so viele Schwierigkeiten, die User, Werbetreibende und einfache Bürger von Demokratien gerade mit diesem Riesen-Konzern haben.
Kurzer Einwurf
In diesem Licht ergibt übrigens auch der Streit zwischen Facebook und Apple Sinn. Denn auch Apple arbeitet stark am Bereich VR und ist mit der Apple Watch aktuell ganz klar an der Spitze im Bereich der Wearables. Man fragt sich leicht, warum ein soziales Netzwerk mit einer Hardware-Firma Streit anfängt - aber der Grund liegt sicher auch darin, dass Zuckerberg in diesen Bereich vordringen will. Und die wertvollste Firma der Welt wird kein einfacher Gegner sein.
(Die Apple Watch hat übrigens auch die einzige Werbung, die mich je direkt zu einem Produktkauf bewogen hat.)
Empire Business
Wahrscheinlich muss ich nicht betonen, was für eine Dystopie eine Welt wäre, in der Facebook der alleinige Anbieter für das Internet of Things und Augmented Reality wird. Black-Mirror-Folgen werden dagegen optimistische Zukunftsvisionen sein. Mit realistischen Avataren werden wir uns in VR austauschen und mit AR werden wir unser “Real Life” steuern können - beides powered by Facebook.
Es ist übrigens nicht nur Facebook, das sich ins Empire Business vorwagt. Ähnlich, wie Facebook zum digitalen Pass für dein Leben im Internet werden will, arbeitet Google am Monopol auf Informationen oder Amazon am Monopol auf Shopping. Microsoft und Apple, die Soft- und Hardware produzieren, sind nicht ganz in dieser Monopolstellung, aber schneiden in fast jedem Bereich unseres Lebens mit. Und einer der wichtigsten Wachstumsbereiche der Zukunft hat schon zwei starke Player: Im Bereich Weltraumbesiedlung spielt Elon Musk gerade gegen Jeff Bezos.
Ich bin jedenfalls gespannt, wie stark der Wettbewerbsvorteil ist, den sich Facebook gerade sichert. Ein Fünftel des Personals ist ein starkes Commitment - gerade, wenn man das momentane Kerngeschäft so offensichtlich vernachlässigt. Persönlich würde ich mir ein Facebook-Gerät zur Steuerung von anderen Devices nur dann holen, wenn es keine gute Alternative gibt. Und da zähle ich ganz stark auf Apple. Wir sollten auf jeden Fall erwarten, dass Facebook in nächster Zeit etwas Großes im AR/VR-Bereich veröffentlicht. Und das erklärt uns über Umwege auch, warum unser News Feed so langweilig geworden ist.
Bis sich das ändert, findet ihr mich eher auf Twitter.