Facebook vs. Apple - was hinter dem Beef steckt
Apples Neuerungen ergeben Sinn. Zuckerberg sieht das anders.
Was ist eigentlich “Big Tech” und was ein ganz normales Technologie-Unternehmen? Ist die Trading-App Robinhood Big Tech? Zählt Snapchat schon dazu? Wie sieht’s mit Clubhouse aus? Was immer eure Antwort darauf ist, auf eines können wir uns wohl einigen: Dass Facebook und Apple definitiv “Big Tech” sind.
In letzter Zeit haben die zwei Unternehmen jedenfalls Beef. Und oberflächlich betrachtet ergibt das eigentlich keinen Sinn. Facebook ist eine Social-Media-App, die nicht nur Facebook und Instagram, sondern auch den Facebook Messenger und WhatsApp betreibt, um Geld zu verdienen. Nebenbei hat der Zuckerberg-Konzern auch noch Oculus gekauft und will in die Bereiche Augmented und Virtual Reality vordringen.
Apple tut nichts davon. Warum also streiten?
Die Gründe für den unwahrscheinlichen Beef
Hintergrund der öffentlichkeitswirksamen Streits zwischen Facebook und Apple ist eine Änderung des Betriebssystems iOS, mit dem Apple z. B. seine iPhones und iPads betreibt. Mit Anfang des Jahres hat Apple die sogenannten Privacy Nutrition Labels eingeführt. Damit können User im App Store sehen, welche Daten die App erhebt und was an der App für die eigene Privatsphäre relevant wird.
Davon ist vor allem Facebook getroffen. Denn wenn der Konzern für irgendetwas bekannt ist, dann für Privacy-Probleme. Teilweise liegt das an unbegründeten Vorwürfen, da viele User nicht wissen, wie einfach es ist, die Privatsphäre-Einstellungen von Facebook unter Kontrolle zu kriegen. Trotzdem kann sich jeder an mindestens einen PR-Skandal erinnern, als die Daten von Facebook-Usern irgendwo landeten, wo sie nicht sein sollten. (Das betrifft auch WhatsApp - remember this?)
Gleichzeitig setzt Apple auf Tracking-Warnungen und erlaubt iOS-Usern, Tracking von gewissen Apps einfach zu verbieten. Mit einfachen Aufforderungen werden User darauf hingewiesen, wenn Anbieter Daten sammeln wollen. Und das einfach auszuschalten ist easy.
Als jemand, der selbst viel mit dem Facebook Ad Manager arbeitet, kann ich bestätigen, dass das ein Riesenproblem für Facebook sein könnte. Tracking ist wichtig, um zu prüfen, ob die eigene Werbestrategie Sinn macht. Mit Onlinewerbung kann ich jederzeit die Zielgruppe ändern und überprüfen, wer womit am besten interagiert. Das sind Möglichkeiten, die ich in traditionelleren Werbemethoden - Zeitungs-, Fernseh- oder Radiowerbung - nicht habe, und die den Appeal von Facebook als Werbeplattform ausmachen. Jede Einschränkung dazu, welche Daten ich dazu habe, macht meine Arbeit schwieriger.
Trotzdem muss man das auch aus Sicht einer Privatperson sehen. Und als User finde ich diese Änderungen von Apple an und für sich sehr sympathisch. Apple-Chef Tim Cook tut sich auch leicht damit, Kritik daran abzuwehren, indem er einfach die Entscheidung an die User weitergibt: Soll doch jeder selbst entscheiden, ob man sich tracken lassen will. Und rational ist es schwierig, Argumente dagegen zu bringen.
Die NEW YORK TIMES bringt das in einer Analyse auf den Punkt:
At the heart of the fight is how Facebook and Apple are diametrically opposed on how they make money — and which company wins out is likely to help shape the internet for years to come. Apple prefers that consumers pay for their internet experience, leaving less need for advertisers, while Facebook favors making the internet free for the public, with the bill footed by companies that pay to show people ads.
Für Apple geht es dabei natürlich nicht nur um PR, sondern auch ums Geschäft. Apple ist der relevanteste Smartphone-Hersteller und die einzige Alternative zum Android-Betriebssystem von Google, mit dem Handys von Samsung, Huawei usw. laufen. Zusätzlich zur besseren Qualität der Handys (und ja, ich bin ein iPhone-Nutzer) arbeitet Apple auch seit Jahren am Mehrwert der Privatsphäre. Wer ein iPhone kauft, zahlt mehr als für ein Samsung-Handy - aber er bekommt eine bessere User Experience, ein schöneres Handy, bessere (teilweise auch exklusivere) Apps und die Kontrolle über seine Daten. Das ist schon ein großes Verkaufsargument.
Hintergrund: Der WhatsApp-Exodus
Facebook kennt das Problem - und setzt es durch das Apple-Update auch verstärkt auf die Agenda. Aber das iOS-Update sorgt für kurzfristige Probleme. Vor allem für den Messenger WhatsApp, der von Facebook gekauft wurde und lange Zeit einen USP hatte: Die App verknüpft eine sehr sichere Kommunikation - Ende-zu-Ende-Verschlüsselung - mit einer angenehmen, einfachen Useroberfläche. Dadurch, dass die App eine der ersten richtig populären Messaging-Apps war, genießt sie auch große Bekanntheit und wurde groß, bevor Facebook sie auf dem Schirm hatte.
Durch die Privacy Nutrition Labels weist Apple allerdings darauf hin, welche Daten von WhatsApp gesammelt werden. Dabei wird unter anderem angeführt, dass die App auf den eigenen Standort, die Kontakte, finanzielle Infos und Einkäufe, den Inhalt des eigenen Handys und noch mehr zugreifen kann. Das ist nicht überraschend und auch mit Bedingungen verbunden - die App muss Zugriff auf deine Fotogalerie bekommen, wenn du ein Foto schicken willst. Aber es liest sich trotzdem wie eine weitere Überwachungsmaschine aus dem Hause Zuckerberg.
Noch schlimmer wird die Geschichte für Facebook dadurch, dass durch das neue WhatsApp-Update Millionen von Usern die App verlassen haben. Da Facebook die eigenen Apps zusammenlegt - also Facebook, Instagram und WhatsApp zu einem Konto zusammenführen will -, wird auch der Datenaustausch mit Facebook ermöglicht. Das Update an sich änderte wenig, für User in der Europäischen Union sogar gar nichts.
Aber der Schaden ist angerichtet. User wechseln in Scharen zu Telegram und Signal. Sowohl die Disclaimer im App Store von Apple als auch die Berichterstattung über das neue Update haben unzählige Menschen davon überzeugt, sich Alternativen zu suchen - was nicht nur ein finanzieller, sondern auch ein massiver Reputationsschaden für Facebook ist.
Facebook gibt sich aber nicht geschlagen, sondern legt es auf eine PR-Schlacht mit Apple an. Und wehrt sich folgendermaßen:
Auf der Website von WhatsApp wird relativ nüchtern erklärt, wieso die Privacy Nutrition Labels von Apple irreführend seien und welche Daten die App wirklich erhebe und warum. Das liest sich zugegebenermaßen sehr beruhigend - und es ist sicher die beste Entscheidung, das nicht über die Marke Facebook zu kommunizieren, sondern über WhatsApp.
Apple erklärt die aktuellen Änderungen damit, dass User selbst die Entscheidung treffen sollten, ob sie getrackt werden wollen oder nicht. Zuckerberg stellt nun die Gegenfrage: Gelten diese Regeln nicht auch für Apple? Denn im Gegensatz zu WhatsApp sei die iPhone-eigene “Messages”-App - also die Anwendung für SMS - nicht nur vorinstalliert, sondern würde auch in den Privacy Nutrition Labels besser dargestellt. Nutzt hier Apple seine Monopolmacht?
Gleichzeitig startet Facebook eine massive Kampagne gegen Apple. Der Konzern sammelt Stimmen aus der Wirtschaft, die massiv auf Facebook-Werbung angewiesen sind und durch die Änderungen auf iOS negativ betroffen sein könnten. Das Narrativ: Wer Werbemöglichkeiten einschränkt, tötet vor allem kleine Unternehmen. Dass es Facebook da ums eigene Geschäft geht, versteht sich von selbst - wird aber nicht ausgesprochen.
Zusammenfassung und Ausblick
Facebook setzt also massiv auf Angriff und kämpft an mehreren Fronten gleichzeitig. Einerseits will man die User davon überzeugen, dass WhatsApp in Sachen Privatsphäre einwandfrei läuft, dass die Privacy Nutrition Labels übertreiben und dass man schnell wieder von Signal oder Telegram zurückkommen soll. Andererseits nehmen sie Apple ins Visier und wollen genau die Monopol-Karte spielen, mit der sie selbst immer wieder konfrontiert werden. Facebook ist durch den Kauf von Instagram und WhatsApp selbst äußerst umstritten, was Marktmacht angeht - das könnte also leicht backfiren. Die US-Behörden prüfen eine Zerschlagung.
Gleichzeitig muss Facebook aber seine eigene Plattform in den Griff kriegen. Die blaue App wird immer öfter als “tot” bezeichnet und hat ein Problem mit Verschwörungstheorien, Fake News, polarisierendem politischen Content und Werbung von Betrügern. Instagram lief lange besser, wird jetzt aber durch den TikTok-Klon mehr und mehr überlaufen und kämpft mit ähnlichen Problemen. Und da sprechen wir noch gar nicht von politischen Problemen wie dem Deplatforming von Donald Trump.
Apple wird die eigenen Änderungen jedenfalls sicher nicht zurücknehmen. Eher muss Facebook sich umorientieren und überlegen, wie es in Zukunft die eigene Werbeplattform betreiben kann, ohne sich mit Firmen wie Apple oder Google anzulegen. Da Privatsphäre auch immer stärker nachgefragt wird - und durch Messenger-Dienste wie Signal auch mittlerweile sehr einfach zu haben ist -, gibt es da für Facebook kein Zurück mehr.
Update, 14. Februar 2021: Neuen Berichten zufolge arbeitet Facebook an einer eigenen Smartwatch. Das würde dann noch besser erklären, warum Apple so ein Feindbild für Zuckerberg geworden ist. Die Apple Watch ist das beste Angebot am Markt.
Und nebenbei - wie würde Facebook seine Uhr nennen? “Facebook Watch” ist ja schon vergeben für den eigenen YouTube-Konkurrenten.