Wenn ich mich entscheiden müsste, welche Zeit die beste war, um soziale Medien zu nutzen, würde ich die Jahre rund um 2013 wählen.
Facebook war diese junge, coole Plattform, auf der man mit anderen jungen Menschen austauschen konnte, was man gerade macht, was einen beschäftigt, was man cool findet. Twitter war in Österreich zwar kein richtiges Mainstream-Medium, war aber international eine der wichtigsten Plattformen für Trends und Popkultur. Instagram war noch relativ jung und ermöglichte es jedem, mit damals noch schlechten Smartphone-Kameras ästhetische Bilder zu machen - ganz ohne Links und ohne die Probleme, die uns auf anderen Plattformen heute überall beschäftigen.
Ein Beispiel dafür, wie entspannt diese Zeiten waren? Donald Trump war auf Social Media noch nicht damit beschäftigt, den Glauben in die Demokratie zu untergraben. Sondern mit der Ice Bucket Challenge, einem von vielen viralen Trends der frühen 10er-Jahre.
Heute sind diese Seiten nicht wiederzuerkennen. Facebook ist neben “Was machst du gerade?” ein Anbieter für Livestreams, Gaming, Virtual Reality, Privatchats, Online-Shops und sogar Dating geworden. Währenddessen besteht der Feed hauptsächlich aus Dingen, mit denen User am öftesten interagieren: Impfgegner-Diskussionen, Verschwörungstheorien und natürlich Werbung. Instagram teilt das gleiche Schicksal - daher findet sich da, wo früher der “Post”-Button war, heute ein Shop-Button. (Und ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber natürlich ist das Absicht.)
Und natürlich ist nicht alles an Social Media schlecht. Aber als Millennial ist der Status Quo doch etwas deprimierend. Die Plattformen, auf denen ich von Anfang an war, werden immer mehr zum Opfer der Wachstumsziele von Mark Zuckerberg.
Als PR-Berater mit Schwerpunkt auf digitale Kommunikation ist der Facebook-Konzern für mich unverzichtbar: Nirgends sonst sind die Kosten so günstig, nirgends sonst habe ich so viel Kontrolle über meine Kennzahlen und mein Budget, nirgends sonst so viele Optionen, wen ich ansprechen will. Aber als User muss man schon festhalten: Die Plattform wird langsam wirklich öde.
Peak Facebook?
Das heißt natürlich nicht, dass “Facebook bald tot” ist. Das haben schon viele vermeintliche Kommunikationsexperten gesagt, und es hat sich nie belegt. Genauso wenig, wie Snapchat tot ist, obwohl alles dafür spricht. Im Publizistik-Studium habe ich diese Regel als Riepl’sches Gesetz kennengelernt: Medien verschwinden nicht einfach, sie werden nur verdrängt oder verändern sich. (Das Gesetz wurde 1913 geschrieben, Myspace ist also ein relativ spätes Gegenargument.)
Und trotzdem kann man die Probleme von Facebook nicht leugnen. Die Plattform ist voll mit Hass, Aufrufen zur Gewalt, Nazis, Fake News, politischer Propaganda, Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern, Spam, Betrügern und rassistischen Familienmitgliedern, die man nur über die Feiertage sieht, falls sie keine Masken ablehnen. Und bei allen positiven Funktionen der Plattform: Auf Dauer muss man lässt sich das nicht mehr wegignorieren.
Und ich weiß, es ist ermüdend. Oft kommt diese politische Kritik zum wiederholten Male mit einem erhobenen Zeigefinger, dass man doch bitte sein Facebook-Konto löschen sollte. Darauf will ich nicht hinaus. Aber für einen Ausblick müssen wir ungefähr die Dynamik an Problemen verstehen, zwischen denen der Konzern navigiert.
Politische Akteure weltweit setzen auf Desinformation und nutzen Facebooks Plattformen als wichtigstes Medium. Dass die Trump-Kampagne Facebook besser genutzt hat als Hillary Clinton ist klar, aber es gibt auch andere Beispiele. Der rechtsextreme Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, nutzte in seinem Wahlkampf WhatsApp Virals - also Bilder, die man auf der privaten Messenger-Plattform des Facebook-Konzerns weiterschicken soll -, um mit Falschinformationen Stimmung zu machen.
Gleichzeitig kämpft der Konzern mit dem Dogma, dass das User-Wachstum ungebrochen weitergehen muss. Das ist Zuckerbergs großes Versprechen an seine Stakeholder, und es konnte sich fast immer bewahrheiten. Im Q3 dieses Jahres sanken die User-Zahlen im Kernmarkt Nordamerika. Und auch konzernintern ist die Statistik besorgniserregend: Während Instagram und WhatsApp noch wachsen, ist die blaue App - Mark Zuckerbergs Baby - zum Sorgenkind geworden.
Ein weiteres großes Problem klingt als Staatsbürger etwas lächerlich im Vergleich mit dem Krieg gegen die Wahrheit. Aber Facebook ist eben auch voll mit Spam. Mittlerweile ist auch die Generation 65+ auf der Seite angekommen und hat keine Ahnung, wie man sie nutzt. Das führt auch dazu, dass genau diese Gruppen getargetet werden - mit Spam-Seiten, Betrugsmaschen, Pyramidensystemen und allem, was man im Internet eben nicht sehen will.
An und für sich wären das alles lösbare Probleme. Facebooks Dilemma ist nur: Gerade diese sorgen für das größte Wachstum. Und Wachstum ist alles, wenn man Mark Zuckerberg fragt. Wenn man nur auf die Kennzahlen schaut, könnte einem doch egal sein, wie User ihre Zeit auf Social Media verbringen. Sie konnten bis vor Kurzem den Holocaust leugnen und es wäre time well spent gewesen. Heute können sie Corona als Grippe bezeichnen, Lügen zu Impfungen verbreiten, Verschwörungstheorien in die Kommentare schreiben, Menschen abzocken oder zur Gewalt aufrufen - alles kein Problem. Das ist alles Reichweite, Interaktion und verbrachte Zeit. Und das ist, worum es geht.
Wer wird also das “nächste Facebook” - und kann es eines geben?
Gleichzeitig gibt es auch spannende Alternativen zu Facebook. Hier bin ich wieder in einer paradoxen Doppel-Situation. Als Werbetreibender könnte es mir recht sein, wenn der Facebook-Konzern zum allmächtigen Monopol in Sachen Online-Werbung wird und für immer so weitermacht wie bisher. Die Kennzahlen stimmen ja, und die Ergebnisse in laufender Betreuung und Kampagnen sind hervorragend. Trotzdem wünsche ich mir als Mediennutzer irgendwie doch, dass da bald mal etwas passiert.
Twitter war in den frühen 10er-Jahren immer als Rivale von Facebook im Gespräch. “Facebook und Twitter” war synonym für Social Media. Nachdem sich Instagram für Mark Zuckerberg entschieden hat - und nicht für Jack Dorsey, der auch großes Interesse an der Plattform hatte - ging diese Rivalität aber irgendwann verloren. Twitter ist groß, aber nicht groß genug, um ernsthaft zum “neuen Facebook” zu werden. Und da es nicht ansatzweise genug Daten sammelt und genug Werbemöglichkeiten bietet, liegt es auch in Sachen Wachstum und Monetarisierung zurück. Obwohl ich Twitter wesentlich mehr genieße als Facebook, wird das wohl nichts mehr.
Snapchat war einige Zeit im Gespräch als das “next big thing”. Und wie man bei Facebook eben solche Probleme angeht, wollte Mark Zuckerberg auch Snapchat kaufen, wie eben Instagram und WhatsApp. Als Snap-Chef Evan Spiegel in einem Anflug von Größenwahn abgesagt hat, klaute Instagram das Kernprodukt der App. Heute stehen die Storys - also Inhalte, die nach 24 Stunden verschwinden - synonym für Instagram, während sie auf Facebook, LinkedIn oder Twitter nicht ganz zünden wollen. Snapchat stirbt nicht, aber beschränkt sich im Wesentlichen auf eine sehr junge Zielgruppe und private Kommunikation. In Sachen Monetarisierung wird das auch schwieriger.
Tik Tok wäre der nächste logische Nachfolger. Die App ist auch 2020 die beliebteste und meist-heruntergeladene im App Store und verkörpert das, was Facebook und Instagram einmal waren: Kanäle, auf denen man echt, authentisch und verrückt sein kann. Und die Spaß machen. Instagram selbst sagt, dass Tik Tok der größte Konkurrent ist, den es je gab. Spannend werden da allerdings auch politische Fragen: Donald Trump wollte Tik Tok in den USA verbieten lassen, und auch datenschutzmäßig dürften da noch viele Fragen aufkommen - vor allem in Europa. Gleichzeitig hat Instagram das Kernformat von Tik Tok erneut kopiert. Ob diese Rechnung aufgeht, wird sich erst zeigen.
Mark Zuckerberg hat also Recht, wenn er behauptet, dass Facebook kein Monopol im Social-Media-Bereich ist. Gleichzeitig gibt es gute Gründe, die Gegenseite zu verstehen: Facebook ist ein Konzern, der eben nicht nur die blaue App besitzt, sondern auch den größten Mitbewerber aufgekauft hat, als er nur 13 Mitarbeiter hatte. Der nicht nur eine eigene Messenger-Plattform betreibt, sondern die größte Alternative gekauft hat. Der im Virtual-Reality-Bereich, im Bereich Arbeitsplatz-Software und im Fernseh-Bereich tätig ist. Und der nebenbei an der Zukunft der Währung arbeitet.
Diese Erkenntnis kommt langsam auch in der Politik an. In den USA sehen beide Parteien ein, dass große Technologie-Konzerne zu viel Macht besitzen. Europa hat längst angefangen, zum weltweiten Leader im Bereich Datenschutz zu werden - und gibt bei der Regulierung weltweit den Ton an. In Deutschland läuft ein Wettbewerbsverfahren dazu, ob der Kauf von Instagram und WhatsApp Facebook zu einem Monopol gemacht hat. Und die amerikanische Federal Trade Commission sowie mehrere Bundesstaaten äußern sich dazu, dass man Facebook “aufbrechen” oder “zerschlagen” müsse.
Eigentlich könnten das gute Nachrichten sein. Wenn die Politik das Situation versteht und der Markt gleichzeitig die Konkurrenz beflügelt - was ist das Problem? Das Problem ist, dass Facebook gleichzeitig immer wieder auch zu Unrecht in der Kritik steht. Zum Beispiel, wenn Printmedien so tun, als wären sie in einem direkten Konkurrenzverhältnis zu Facebook. Da auch viele Angriffe auf Facebook ungerechtfertigt sind, verschwimmt die Message. Was bei aktiven Usern, die sich nicht für Big Tech interessieren, hängen bleibt? “Jemand beschwert sich über Social Media”. OK Boomer.
Ausblick auf 2021
Obwohl Facebook immer noch dominant ist, steht es mit dem Rücken zur Wand. Während die Konkurrenz mit neuen Apps oder neuen Funktionen positive Medienberichterstattung genießt und damit Aufmerksamkeit von Facebook-Apps wegnimmt, sind in der Öffentlichkeit alle Augen auf Facebook gerichtet. Denn die Funktionen, die noch am verlässlichsten für Wachstum sorgen, ermöglichen gleichzeitig die größten gesellschaftlichen Probleme. Und während auch intern der Widerstand gegen Facebooks Ausrichtung wächst, hat Mark Zuckerberg klar gemacht: Es geht um Wachstum um jeden Preis.
Das Frustrierende ist: Wir können es ihm nicht vorwerfen. Er ist der Chef einer Firma, die eine ganze Industrie definiert und erschaffen hat. Und als CEO ist er hauptsächlich dafür verantwortlich, den Wert der Firma zu steigern. Das Problem ist eigentlich eher gesellschaftlich: Wenn Facebook falsche Entscheidungen trifft, warum kommen sie damit davon?
Die Antwort ist leider auch einfach: Weil die Strategie funktioniert. Instagram mag voll mit Verschwörungstheorien sein, ist aber gleichzeitig immer noch der beste Kanal für persönliche Kommunikation über Stories. Und auch wenn Facebook voll mit Fake News ist, die teilweise zu Todesopfern führen: Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten. Mit dem Verein machen wir Events - wo sonst sollen wir die bewerben? Oder soll ich meinen Kunden einfach raten, auf Snap zu werben, weil die Firma verantwortlicher ist? Und viele mögen Facebook ja immer noch, eben genau weil sie dort Inhalte finden, die sie interessieren. Und wenn das 15 FPÖ-Parteimedien sind und alle Menschen, die gleich wie ich denken, so be it!
Leider gibt es keine einfache Antwort auf die Frage, wie wir da rauskommen. Fest steht, dass Facebook einige Probleme hat, die 2021 spannend werden. Besonders interessant wird, ob die FTC zu einer Zerschlagung von Facebook beiträgt und unter welchen Umständen Apps wie Instagram oder WhatsApp sich überhaupt von Mark Zuckerberg trennen lassen. Und natürlich auch, wie effizient alle Social-Media-Plattformen mit diesen zerstörerischen Trends umgehen werden. Twitter hat da schon besser vorgelegt als Facebook - aber alleine dadurch gewinnt man den Wettbewerb um Aufmerksamkeit nicht.
Ich glaube jedenfalls, dass es ein spannendes Jahr wird, wenn es um die Zukunft von Big Tech geht. Und obwohl ich weiterhin sowohl privat als auch beruflich Facebook nutzen werde: Als Mediennutzer und Staatsbürger würde ich mir wünschen, dass einfach irgendwas passieren muss, um Social Media wieder besser zu machen. Wenn sich was tut, könnt ihr sicher sein, dass ich wieder darüber schreiben werde. Bis dahin hab ich meinen Home Screen neu sortiert, um mehr Zeit auf Twitter oder Tik Tok zu verbringen, um weniger Impfgegner zu sehen. Wenn ihr Ideen dafür habt, wie man in diesem Wahnsinn im politisierten Social Web wieder eine gute Zeit haben kann - antwortet einfach auf diese Mail oder schreibt’s in die Kommentare.
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