Eines meiner Lieblings-Hot Takes, das ich immer wieder auf Twitter wiederhole, ist “Kommentarbattles sind Bürgerpflicht”. Ich glaube, dass der Online-Diskurs, der sich in Facebook- und Instagram-Kommentaren abspielt, mehr Einfluss auf die Gesellschaft hat, als wir glauben. Gerade die traditionellen Medien, die oft noch von Mitgliedern der Generation Print geführt wird, haben diesen Trend oft verschlafen - darum sollte jeder ab und zu mitmachen und online den Spinnern Konter geben.
Dieser Text ist die Anleitung, wie das geht.
Bevor wir anfangen, noch zwei Hauptregeln:
Es geht um die Mitlesenden. Ein Kommentarbattle ist nicht nur dazu da, den anderen zu überzeugen. Gerade mit Verschwörungs-Spinnern ist das extrem unwahrscheinlich. Es geht darum, im öffentlichen Raum abzustecken, was wahr ist und was nicht.
Likes sind eine Währung. Auf Facebook, Twitter, Instagram - überall, wo man Kommentare mit “Gefällt mir” markieren kann, zeigen diese quasi das Stimmgewicht in einer Debatte an.
#1: Benenne Bullshit immer deutlich als Bullshit
Wenn andere User im Internet offensichtliche Falschinformationen verbreiten - z. B., dass Impfen gefährlich, das Coronavirus nur eine Grippe oder der Klimawandel erfunden sei -, ist die erste Regel, dass darunter ein Widerspruch sehen muss. Kommentiert wird nicht nur für die, denen du antwortest, sondern auch für alle, die mitlesen. Und das sind oft auch Menschen, die keine Medien konsumieren und nur die Kommentare lesen. Also stell das klar.
Die Diskussion kann danach noch in alle möglichen Richtungen weitergehen. Aber wichtig ist, dass Mitleser sehen, dass es auch andere Meinungen gibt. Man kann übrigens Bullshit als solchen benennen und trotzdem höflich bleiben. Das bringt uns zum nächsten Punkt.
#2: Appelliere an die Vernunft
Jeder, der schon mal im Internet war, wird sich jetzt zurecht denken, was diese Überschrift soll. Aber ich meine das Ernst. Die meisten Menschen denken nämlich, dass sie vernünftig sind. Der Durchschnittsbürger hält sich selbst für deutlich intelligenter als den Durchschnitt - in seiner eigenen Geschichte ist also so gut wie jeder vernünftig. Unabhängig davon, ob das stimmt: Das kann man in Diskussionen nutzen.
Wenn in einer Diskussion z. B. ein Impfgegner sagt, dass er gegen eine Impfpflicht ist, kann man diesen Punkt ganz einfach re-framen: Fair enough, sei gegen die Pflicht! Aber wir beide wissen doch, dass Impfen an und für sich sinnvoll ist. Du wurdest doch auch schon gegen gefährliche Krankheiten geimpft und es hat dir nicht geschadet. Man muss die Leute ja nicht zwingen, etwas grundsätzlich Sinnvolles zu tun, oder?
Die meisten Menschen mögen, wenn man respektvoll mit ihnen umgeht. Und auch, wenn das mit Spinnern nicht immer möglich ist - oft kann man einfach so tun, als hätten sie eh einen Punkt. Und dann lachen wir gemeinsam über alle, die unseren gemeinsamen Standpunkt ernsthaft in Frage stellen. Wir sind immerhin wesentlich intelligenter als der Durchschnitt.
#3: Verwende ihre Dirty Tricks gegen sie
Verschwörungstheoretiker schreien z. B. gerne: “Cui bono?” Oft können wir aber genau das als Gegenfrage verwenden! Bill Gates will alle Menschen impfen lassen, um Geld zu verdienen? Er muss die Krankheit nicht so tödlich machen, dass schon hunderttausende Kunden weggestorben sind. Will er alle chippen? Smartphones. Der Klimawandel ist nur ein Hoax - also verhindern wir das Artensterben umsonst und haben am Ende ganz ohne Grund bessere Luft zum Atmen? CUI BONO meine Freunde!?
Und wer ganz dreckig spielen will, kann auch die Motive der Gegenseite in Frage stellen. So, wie für Spinner eben jeder Widerspruch bezahlt ist oder durch Brainwashing verursacht wird, kann man das Spiel auch umdrehen.
Wer bezahlt dich für solche Statements?
Bist du ein russischer Bot?
Das hast du sicher von einer seriösen Quelle auf YouTube, oder?
Das ist intellektuell nicht immer der beste Weg, ist aber ein billiger, effektiver Angriff. Ich verwende ihn meist nur, wenn mich die Diskussion zu sehr ermüdet und ich weiß, dass die Argumente ausgetauscht sind.
Mehr über die Dirty Tricks von Verschwörungs-Ideologen: Hier.
#4: Verwende Quellen. Auch, wenn sie niemand liest.
Wie oft ist euch das schon untergekommen, dass jemand eine ganze Diskussion lang ohne einen einzigen Beleg auskommt? Gerade Menschen aus dem QAnon-Lager, also einer besonders abgedrehten Verschwörungstheorie, kommen gerne mit Verweisen auf Google aus. Sie selbst klicken meist nicht auf Links - aber die Mitlesenden tun es vielleicht.
Darum verwende ich persönlich gerne Links, auch im vollen Wissen, dass sie nicht geklickt werden. Denn damit signalisiere ich, dass ich mich mit dem Thema beschäftigt habe und dass auch andere - auch Autoritäten wie Wissenschaftler oder Journalisten - meine Meinung bestätigen. Wenn die andere Seite dann immer noch keine Quellen bietet, ist es ein ungleiches Battle. Das zeigt sich dann oft auch in den Like-Zahlen.
Es lohnt sich also, mit Verweisen auf andere zu arbeiten, um die eigene Seriosität zu beweisen. Sollte die andere Seite das auch machen, reicht meist ein kurzer Quellencheck aus: Seiten wie Unzensuriert.at sind beweisbar parteinahe und können in den Kommentaren auch sachlich kritisiert werden, während Verschwörungs-Ideologen oft sinngemäß behaupten, dass “die alle lügen”. Das beweist dann wiederum, wer sachlicher ist.
Quellen, die ich für solche Diskussionen besonders gerne verwende, sind What’s Warming the World von Bloomberg (als Beweis für den menschengemachten Klimawandel) und Coronavirus is not the flu. It’s worse. von Vox als Beweis für die Gefährlichkeit von Covid-19.
#5: Verstärke positive Kommentare
Unter den allermeisten Beiträgen auf Social Media gibt es nicht nur Spinner. Es gibt auch normale Menschen, die kommentieren. Die sind deine Freunde. Jeder, der die gleiche Meinung vertritt, kann mit einem Like und Kommentar unterstützt werden, um eher als “Top Comment” aufzuscheinen als andere.
Ein Beispiel ist Hildegard, die ich auf Facebook in der Kommentarspalte bestärken wollte. Ein älterer Mensch, der sich impfen lässt, ist vielleicht ein gutes Beispiel für andere Menschen in der Risikogruppe.
Also schreibe ich natürlich was drunter und wir bestärken uns gegenseitig. Verschwörungstheoretiker tun das andauernd - aber der vereinzelte vernünftige Mensch baut meist keine Allianzen in der Kommentarspalte auf. Warum eigentlich? Hildegard und ich geben uns jedenfalls recht. Und es hat niemand mehr widersprochen.
#6: Nutze “Hausverstand”
Es mag paradox klingen, aber oft ist es gar nicht so sinnvoll, Menschen ohne wissenschaftlichen Hintergrund mit wissenschaftlichen Fakten überzeugen zu wollen. Statt “Hier ist eine andere Studie” ist also der Klassiker der hier:
Das sehe ich oft in Kommentarsektionen, und ich glaube es funktioniert. Wir haben bereits festgestellt, dass die wenigsten User die Links wirklich lesen, die man ihnen gibt. Und ohne Quellen “Wissenschaftler sagen was Anderes” zu schreiben ist auch irgendwie unbefriedigend. Aber “Alle Virologen arbeiten daran, aber du weißt es natürlich” - das zieht. Das kann jeder ohne viel Denkaufwand nachvollziehen. Alle Experten glauben etwas, aber irgendwelche Internet Randoms wissen Bescheid? Glaub ich nicht.
“Du glaubst ja nicht wirklich, dass …” oder überspitzte Zuschreibungen zu den Meinungen der anderen Seite - das geht so gut wie immer.
#7: Nutze die eine Schwäche, die jedes Verschwörungs-Weltbild hat
Alle oben aufgezählten Punkte haben eines gemeinsam: Sie basieren auf einem geschlossenen Weltsystem. Versucht man, einem Klimawandel-Leugner Studien zu zeigen, sind die Wissenschaftler “gekauft”. Die profitieren ja von ihrer Arbeit! Arg, dass die mit ihrem Beruf Geld verdienen, oder? Genau. MUSS falsch sein.
Die wenigsten denken diese Theorien aber zu Ende. Denn im Endeffekt läuft sie darauf hinaus, dass alle Politiker der Welt lügen - und so viel kann man mit etwas Erfahrung aus dem eigenen Land noch meistens abdecken -, und alle Wissenschaftler der Welt sie decken. Jeder einzelne Mensch, der daran arbeitet, Antworten zu findet, wird gekauft. Bei Corona betrifft das auch alle Ärzte. Die Wahrheit ist da draußen, sie verbirgt sich in dubiosen Blogs ohne Impressum und YouTube-Videos von Menschen ohne Hintergrundwissen in dem Gebiet - aber alle Ärzte und Wissenschaftler, alle Politiker aller Länder und Parteien, alle Journalisten, alle Geheimdienste und Polizisten, kurzgesagt: alle stecken da mit drin. Und du bist ein Schaf und glaubst ihnen noch!
Wie viele Leute müssen dicht halten, um eine Pandemie zu inszenieren, nur um dir einen Scheiß-Chip einzuimplantieren, obwohl man dich eh einfach mit dem Smartphone orten kann? Und wie viele müssen erst still sein, um den “Klimawandel-Hoax” aufzudecken? Wir haben auch durch die globale Überwachung durch die NSA erfahren, weil es ab einer gewissen Anzahl von Beteiligten einfach immer einen Edward Snowden geben wird. Wo ist der Snowden der Corona-Leugner? Richtig - es gibt keinen Beweis für ihre Behauptungen.
Die meisten werden dann darauf verweisen, dass es “genug Ärzte” gibt, die ihre Thesen “belegen”. Ab da gewinnt die Quellenkritik. Glatzköpfige Ärzte in Pension über 80, die ihre Infowars-Nachrichten auf YouTube widergeben, kann man leicht mit seriösen Quellen und Studien kontern. (Hier zum Beispiel eine dazu, dass Masken wirken.)
Und noch ganz generell: Cool bleiben.
Das ist nicht wirklich eine Strategie, aber doch eine generelle Regel für Diskussionen - online wie offline. Gerade, wenn man selbst einigermaßen sachlich bleibt und noch das ein oder andere Emoji dazugibt, kann das Verschwörungs-Spinner schnell so reizen, dass sie persönlich untergriffig werden. Das Bussi-Emoji 😘 triggert junge Männer, die sehr von ihrem Standpunkt überzeugt sind, besonders hart und ist nur passiv-aggressiv, ich kann es nur empfehlen.
Zur Erinnerung nochmal: Im Endeffekt geht es bei Diskussionen immer um die Mitlesenden. Und wenn man selbst cool bleibt und sich von Trotteln nicht den Tag versauen lässt, ist in dieser Hinsicht schon viel gewonnen. Andere können ihre Nerven gerne wegschmeißen, aber selbst sollte man immer cool bleiben. Und wenn es irgendwann zu dumm oder zu anstrengend wird: Man kann und muss nicht alle retten.
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