Wir leben in den letzten Tagen, in denen Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten ist. Aber irgendwie fühlt es sich nicht so an. Denn im Gegensatz zum Großteil seines Wahlkampfes und seiner Amtszeit reden wir nicht mehr gefühlt jeden Tag über seine rassistischen Äußerungen, seine Aufrufe zur Gewalt, seine offensichtlichen Lügen und seinen Krieg gegen die Realität.
Denn Trump wurde “de-platformt”. Das heißt, er wurde von allen großen Social-Media-Plattformen gesperrt.
Ich finde, dass es schon lange an der Zeit war, Trump aus den sozialen Medien rauszuwerfen. Schon nach “when the looting starts, the shooting starts” hätte es so kommen müssen. Vor allem auf Twitter hat er nicht nur mehrmals die Stimmung aufgeheizt und für Gewalt gesorgt - viel schlimmer finde ich, dass er seit Jahren ein Megaphon für alles war, was nicht stimmen konnte. Wer Trump folgt, glaubt, dass Covid-19 eine Erfindung oder eine Grippe ist, dass Joe Biden eindeutig die US-Wahl verloren hat und nur durch Manipulation gewinnt, dass Black Lives Matter eine gewalttätige Antifa-Splittergruppe ist und dass die Terroristen, die das Kapitol gestürmt haben, brave Patrioten sind. Kurz: Trump hat durch Social Media enormen Schaden angerichtet.
Schauen wir uns kurz an, wie also dieses “Deplatforming” ausschaut. Falls ihr noch nicht überzeugt seid: Mehr dazu, warum das wahrscheinlich eine gute Entscheidung war, lest ihr hier und hier von Autoren, die das besser erklären können als ich. Aber jetzt mal dazu, was eigentlich passiert ist.
Facebook war relativ schnell und sperrte Trump auf unbegrenzte Zeit - auf jeden Fall aber bis zur Angelobung von Joe Biden als nächsten Präsidenten. In einem Posting gibt Konzernchef Mark Zuckerberg zu, dass auch kontroverse Statements bislang immer stehen bleiben sollten - aber jetzt ginge es um eine “violent insurrection against a democratically elected government”.
YouTube ist etwas vorsichtiger und sperrt Trumps Account nur vorerst. Er kann keine neuen Videos hochladen oder kommentieren, aber sein Konto existiert noch und zeigt alle alten Uploads. Fun Fact: Wenn man auf YouTube nach “Donald Trump” sucht findet man vieles, aber nicht seinen Account. Ich frag mich nur, ob das am Ban liegt oder ob der Algorithmus mich gut genug kennt, um zu wissen, dass ich ihm nicht folgen will.
Twitter, Trumps Lieblingsplattform, zog nach und sperrte den Account @realdonaldtrump ebenfalls ohne zeitliches Limit. Da Twitter immer Trumps Hauptkanal war und die letzten Jahre für Konzernchef Jack Dorsey hauptsächlich durch die permanenten Falschinformationen des US-Präsidenten turbulent waren, dürfte das auch so bleiben - eine enorme Befriedigung für Twitter und all seine Angestellten, die sich damit beschäftigen mussten.
Snapchat - ein soziales Netzwerk, das wir gerne vergessen, weil wir keine Amerikaner sind und bei uns noch niemand damit Wahlkampf macht - hat Trumps Account ebenfalls gesperrt: “In the interest of public safety, and based on his attempts to spread misinformation, hate speech, and incite violence, which are clear violations of our guidelines, we have made the decision to permanently terminate his account.”
TikTok ist eine Plattform, die Trump am liebsten verbieten wollte. Jetzt spielen sie die Reverse-Card: Personen, die Hashtags wie #stormthecapitol oder #patriotparty verwenden, kommen jetzt automatisch auf die Community-Richtlinien von TikTok.
Andere Services, auf denen Trump gesperrt ist: Die Gaming-Plattform Discord, Amazons Streaming-Plattform Twitch, die Bezahl-Plattform Stripe. Und sogar Pinterest hat ihn auf die eigene Art und Weise gesperrt: Hashtags wie #StopTheSteal werden eingeschränkt. (Echt jetzt - wer postet antidemokratische Fake News auf PINTEREST?!)
Diese Praxis, wichtige Persönlichkeiten für ihre Äußerungen zu sperren, ist umstritten. Zurecht. Denn Konzerne wie Facebook (als Mutterkonzern der blauen App, Instagram und WhatsApp) und Google (als Mutterkonzern von YouTube) haben eine absurde Machtposition darüber, wer im Internet gehört werden kann. Man darf und soll darüber diskutieren, wie weit diese Macht gehen darf, ob diese Plattformen nicht längst zu mächtig sind und welche Limits die freie Meinungsäußerung verträgt.
Weil das eben ein schwieriges Thema ist, gab es bislang auch wenig Präzedenzfälle dafür - aber die, die es gibt, zeigen, dass Deplatforming wirkt. Viele (vor allem rechte) Social-Media-Persönlichkeiten wurden nach ihren Äußerungen von ihren Lieblingsseiten gesperrt und gaben dann auf alternativen Kanälen zu, dass es für sie unmöglich sei, von ihrem Publikum zu leben:
Ein ähnliches Szenario droht Trump wahrscheinlich nicht. Er hat die Ressourcen, um alleine von den rechten Medien der USA zu leben oder sogar selbst eines zu gründen. Er kann eine Pressekonferenz ankündigen und davon ausgehen, dass Leute hingehen werden. Aber letzten Endes war es bei ihm eine Ultima Ratio: Man musste den Präsidenten der Vereinigten Staaten sperren, weil sonst ein weiterer gewaltsamer Umsturzversuch gegen eine gewählte Regierung droht. Let that sink in for a moment.
Deplatforming in Österreich
Aber es wäre keine politische Geschichte, wenn wir nicht auch in Österreich ein Äquivalent für Donald Trump hätten: FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl.
Kickl wurde zwar nicht “deplatformt” und hat noch immer zahlreiche Follower auf Facebook, Twitter und Instagram. Aber er stellt sich in eine Reihe mit Trump und wittert in einer Presseaussendung den “nächsten Anschlag auf die parlamentarische Redefreiheit”. Der Grund: YouTube hat sein Video gesperrt, in dem er gemeingefährliche Corona-Desinformation betreibt. Ich will nicht alles wiedergeben und schon lange nicht verlinken, aber unter anderem behauptet Kickl in seiner Rede:
Kinder spielen für das Infektionsgeschehen “gar keine Rolle”
Es wird eine Impfpflicht geben
Schon jetzt gibt es durch Massentests “Test-Apartheid”
Menschen werden durch Impfungen zu “Versuchskaninchen”
Das sei eine Aussage von Zulassungsbehörden
Ich sehe einen Politiker, der seinen Fans seit Monaten erzählt, dass sie sich nicht testen oder impfen lassen sollen. Der falsche Informationen verbreitet und dafür nachvollziehbar gesperrt wird. Aber Herbert Kickl bedient weiterhin den Mythos vom anti-konservativen Bias der bösen Silicon-Valley-Firmen. Statt offener Fehlersuche, einer sachlichen Einschätzung oder einer Kursumkehr in Richtung “weniger gemeingefährliche Fakten” versucht er es also mit dieser Strategie:
Mehr dazu, warum “anti-konservativer Bias” nicht nur eine Erfindung, sondern eine Verdrehung der Tatsachen ist, lest ihr hier. Kurzfassung: Wenn Social-Media-Seiten irgendjemanden bevorzugen, dann sind es die, die sich nicht an die Regeln halten. Und das sind erfahrungsgemäß nicht Liberale.
Die FPÖ-Nationalratsabgeordnete Susanne Fürst äußert sich in der gleichen Aussendung, in der Kickl aus einer nachvollziehbaren Sperre eine totalitäre Zensurmaßnahme macht, folgendermaßen dazu:
Die Richtlinie ist an sich bereits ein unglaublicher Akt der Zensur, denn sie erklärt die ‚medizinischen Informationen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder lokaler Gesundheitsbehörden‘ zur alleine gültigen Wahrheit, an der offenbar keinerlei Kritik geduldet wird. Völlig ungeheuerlich ist es, dass sich ein amerikanischer Medienkonzern dazu aufschwingt, die Verbreitung parlamentarischer Reden zu verbieten. Dies stellt eine massive Einmischung in die österreichische Politik dar und ist nicht hinzunehmen.
Und hier sehen wir schon das Problem: FPÖ-Politiker sehen nicht ein, warum es diese Richtlinie gibt. Es geht nämlich nicht darum, dass sich ein Konzern in die Politik einmischt - sondern dass er Regeln hat. Zum Beispiel, dass man in einer Pandemie keine Falschinformationen verbreiten sollte, die nachweislich die Gesundheit und das Leben vieler Menschen gefährden können. Das kann man kontrovers finden, aber ich halte diese Regel für nachvollziehbar und einen Mindeststandard, der mit keiner nationalen Rechtsordnung in Konflikt stehen sollte.
Aber es ist nun mal die FPÖ. Und genau wie Trump ist diese Partei im Krieg mit der Realität. Die Informationen der WHO sind nicht die “alleine gültige Wahrheit” - es gibt auch genug YouTube-Videos mit Thesen zu Corona - hier ein Tipp -, die stehen bleiben, ohne dogmatisch die WHO-Ansichten wiederzugeben. Aber es gibt Dinge, die eindeutig, wissenschaftlich überprüfbar falsch sind. Dieses Prinzip der Wissenschaft ist im blauen Parlamentsklub nie angekommen.
Die Fakten sehen jedenfalls anders aus: Eine private Plattform hat sich entschieden, jemanden zu sperren, der gegen die Richtlinien verstößt. Diese wurden im Vorfeld akzeptiert und sind transparent. Es gibt kein Grundrecht auf einen YouTube-Kanal. Und Websites sind nicht verpflichtet, Herbert Kickl ein Mikrofon für seine falsche Interpretation von Fakten zu geben.
Was Kickls Geplerre impliziert
An und für sich könnte uns aber eigentlich wurscht sein, ob eine komplett wahnsinnige Rede von Herbert Kickl gesperrt wird oder nicht. Wichtig ist aber, was wir aus dieser Diskussion machen. Denn in seiner Aussendung fordert Kickl auch ein “Bundesgesetz zum Schutz vor mittelbarer Zensur einzuführen, das sicherstellt, dass die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von geäußerten Inhalten und Meinungen ausschließlich den Gerichten obliegt”.
Kurz: Kickl will, dass Social-Media-Plattformen nicht mehr selbst entscheiden können, was sie stehen lassen wollen.
So funktionieren soziale Medien nicht. Plattformen wie Facebook oder YouTube müssen sich längst an hunderte nationale Rechtsordnungen halten, ohne sich anhand von Landesgrenzen orientieren zu können. Für mich gilt nicht ausschließlich die österreichische Rechtsordnung, weil ich von einer österreichischen IP-Adresse eingeloggt bin - ich könnte meine IP-Adresse auch ändern (heiße Empfehlung: Gönnt euch ein VPN) und unterläge immer noch sowohl meiner nationalen Rechtsordnung als auch den Community-Richtlinien der Seiten, auf denen ich mich bewege. Diese Richtlinien sind “Catch-All-Regeln”, die in jeder liberalen Demokratie Platz haben. Tödliche Falschinformationen löschen zu dürfen ist eindeutig erlaubt.
Der autoritäre Reflex ist aber, YouTube dazu zu zwingen, die eigenen Inhalte stehenzulassen. Auch, wenn sie nachweislich falsch sind und eine Gefahr für andere sind. Eine bessere Lösung wäre, gesetzlich zu definieren, was Plattformen zu löschen haben - dafür gibt es auch schon einige Präzedenzfälle. So würde man Content-Moderation fördern und dafür sorgen, dass nur Dinge gelöscht werden, die wirklich gelöscht gehören. Aber Kickl weiß, dass er keine sachliche Argumentation hat, warum seine Rede stehen bleiben sollte. Er will einfach nur ein Grundrecht darauf, einen YouTube-Account zu haben.
Wie ich Deplatforming sehe
Früher hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass soziale Medien eine Art “Marktplatz der Ideen” sind und man daher nicht einfach eingreifen sollte, welche Meinung nun “besser” sei als andere. Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute wehrt sich die FPÖ gegen die Wirklichkeit und fordert immer noch: Keine Maßnahmen, kein Lockdown, keine Tests, keine Impfungen. Würden wir ihr folgen und das glauben, hätten wir ein Massensterben nie dagewesenen Ausmaßes in Österreich - und das ist eben keine “Meinungssache”, sondern verantwortungslos und schäbig.
Wenn die letzten Jahre irgendetwas gezeigt haben, dann, dass es anders oft nicht geht. Wir hatten die Fact Checks, wir hatten die Warnhinweise, wir hatten das subtile Nudging, dass man einen Beitrag doch bitte lesen sollte, bevor man ihn teile. Das alles hat nichts gebracht - und Millionen von Trump-Supportern und Corona-Leugnern sind jetzt so tief in ihrem Rabbit Hole, dass sie einen Regierungsumsturz livestreamen oder andere mit ihrer Ignoranz gefährden, indem sie nach wie vor Masken ablehnen.
Das Gute ist, dass diese Erkenntnis jetzt auch bei den Social-Media-Plattformen ankommt, die in vielerlei Hinsicht davon profitiert haben, dass wir so geworden sind. Ich meine, es hat einen bewaffneten Putschversuch gebraucht - aber es gibt offensichtlich ein Limit, wie weit man gehen kann. Mit der Sperre von Trump geben Facebook und Co. zu, dass sie sich den Problemen ihrer Plattformen bewusst sind. Und diese Debatte wird in den nächsten Jahren sicher nicht weniger spannend. Wir müssen nur aufpassen, dass sie nicht in die Richtung geht, dass jeder ein Grundrecht auf einen YouTube-Account hat. Schon gar nicht Menschen, die sich so aufführen wie Trump oder Kickl.