Wer mich schon länger liest, kennt meine These: Dadurch, dass die Rechten Jahre vor allen anderen stark auf diesen neuen Kanälen waren, hat sich die Gesellschaft stark verändert. Während klassische FPÖ-Themen wie Ausländerfeindlichkeit früher zurecht am Rand der Gesellschaft waren, sind sie heute wieder Mainstream - weil die lautesten Idioten auf Facebook gezielt aufgebaut wurden. Und heute die Kommentarspalten dominieren.
Weil Medien in Österreich personell ausgedünnt sind und sich oft nicht für Social Media interessieren - das sind ja Kanäle, mit denen sie angeblich in Konkurrenz stehen -, gibt es auch kein Community Management. Verantwortungsvolle Medien würden Kommentare löschen oder zumindest moderieren, wenn sie in eine brutale Richtung gehen. Aber hier gilt Meinungsfreiheit noch besonders weit. Und weil österreichische Medien da eben nicht eingreifen, muss das eben oft ich machen.
Das zeigt sich auch am Thema Corona. Um das zu demonstrieren und nicht nur zu beschreiben, hab ich für diesen Artikel einfach mal wieder die Facebook-Seiten großer österreichischer Medien geöffnet und geschaut, was sich in den Kommentaren so tut. Und wenig überraschend: Unter jedem Artikel sind Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und - und die nerven mich fast am meisten - die Halbschlauen, die mit Hörensagen-Wissen auftrumpfen wollen.
Und weil ich meine freien Tage während Corona eben gerne damit verbringe, gegen Windmühlen zu kämpfen, dachte ich, ich fasse euch mal zusammen, was in diesen Abgründen so los ist. Hier sind mehrere Arten von Vollidioten, die man unter jedem News-Artikel zu Corona finden kann.
#1: Die vergessenen Experten
Unter dem Artikel Allzeithoch: 3614 Neuinfektionen in Österreich kommentiert Carmen Grasberger, dass 95 % der Infektionen symptomfrei ablaufen würden. Ich zensiere den Namen übrigens bewusst nicht, weil sie das alles öffentlich postet. Eine Quelle gibt sie nicht an, aber in den Kommentaren sagt sie, dass das ja nicht von ihr komme, sondern von den Behörden. (Als ich sie gefragt habe, ob sie mir diese Aussage beweisen kann, kam natürlich nichts mehr.)
In ihrem Profilbild schreibt Carmen “Gegen Masken für Kinder”, auf ihrem Profil postet sie alles öffentlich. Viele der Beiträge sind von Facebook ausgegraut, da sie von Fact Checkern als Falschinformation beurteilt wurden. Carmen ist das egal - die Zahl hat sie vermutlich einmal von WhatsApp oder InfoWars gehört, und da kann man sich schon mal gegen sämtliche Wissenschaftler, Ärzte und andere Experten öffentlich zum Clown machen.
Menschen wie Carmen ist egal, wie die Fakten wirklich aussehen. Laut einem Artikel in der WIENER ZEITUNG ist etwa ein Fünftel aller Fälle symptomfrei, die NEW YORK TIMES bezieht sich auf Daten aus Südkorea und spricht von 30 Prozent. Aber Carmen hat 95 % gehört. Vermutlich im Februar, vermutlich durch WhatsApp-Bilder von gleich uninformierten Freunden oder von Verschwörungs-Nachrichten wie InfoWars. Und seitdem ist das die Wirklichkeit - und keine Mehrheit an Expertenstimmen, egal wie groß und egal wie deutlich, wird sie wieder umstimmen.
#2: Die Fake-News-Schreier
Unter diesem Posting von PULS24 schreibt Helly, dass die Wahrheit auf SERVUS TV läuft. Als jemand, der selbst mal bei einem Mateschitz-Medium gearbeitet hat, ist es wirklich traurig, das mitanzusehen - aber Servus wird gerade zum Hauptmedium der Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und kurz aller, die sich hartnäckig gegen die Realität wehren. Im Posting kommt nicht mal etwas dazu vor, ob jemand infiziert oder erkrankt ist - aber das ist ja egal, man kann auch Dinge angreifen, die nie gesagt wurden.
Diese Gruppe baut ihre Beiträge immer gleich auf:
“Ihr berichtet falsch” - in Bezug auf Dinge, die entweder faktisch korrekt sind oder nie behauptet wurden.
“Ihr tut das, weil Verschwörung” - von der Regierung gezahlt, Illuminaten, Bill Gates, Echsenmenschen aus dem Weltraum, alles dabei.
“Ihr solltet mehr so sein wie Falschmeldungen” - meine lustigen Bilder von WhatsApp, dieser Beitrag eines Fake Accounts, Servus TV und FPÖ-nahe Medien sind da natürlich die wesentlich bessere Anlaufstelle.
Und am besten sind die, die in dieser Blase so involviert sind, dass sie gleich auf ihr eigenes Profil verweisen. Covidioten-Influencer quasi.
#3: Die stolzen Medienverweigerer
Der Artikel lautet 777? 970? Totales Chaos um Corona-Zahlen in Wien und ist in der HEUTE erschienen. Und dass wir richtige Zahlen haben, ist natürlich ein extrem wichtiges Thema. Aber Ruza steigt mit einer besonders intelligenten Äußerung in die Debatte ein: Sie glaubt dem ORF nicht. Unter der HEUTE. Ist klar.
Auch das ist so ein Auswuchs der rechten Hegemonie in den Facebook-Kommentaren: Elitenfeindlichkeit und Faktenresistenz sind in gewissen Kreisen einfach schick geworden. Wenn Politiker, Journalisten, Experten, Wissenschaftler, Ärzte und jeder, der sich mit einem Thema mehr auskennt als ich, etwas sagen? Dann kann es gar nicht stimmen.
Der Kommentar hat natürlich weder mit dem Artikel noch mit der HEUTE etwas zu tun, aber er ist ein deutlicher, disqualifizierender Beitrag: “Ich glaube einfach gar nichts. Ihr könnt mir nichts mehr beweisen, ich schotte mich von Medien ab und denke nur noch, was ich will.” Das sind die gleichen, die im Februar 2020 gehört haben, dass Corona nur eine Grippe sei und das seitdem weiterverbreiten, weil mit einer Falschmeldung im Jahr genug gelesen wurde. Und das sind genau die Leute, denen wir den aktuellen Anstieg der Zahlen verdanken.
#4: Die Gossip Girls (x Boys)
Unter dem Artikel Anschober ist Parteipolitik “Sowas von egal” in der PRESSE kommentiert Renate ein “brisantes Gerücht” und zeigt damit gleich, dass sie entweder ein Bot ist oder etwas von WhatsApp kopiert. Diese Leute “hören” von Nachrichten, aber lesen sie nicht. Einem großen Teil der Gesellschaft ist Journalismus nicht mehr als Faktenquelle wichtig, sondern nur noch als Plattform für ihre eigene Parallelrealität - die Kommentarsektion ist da quasi das wichtigere Medium.
Es wäre fast lustig und wurscht, wenn das nicht 1) viele Leute und 2) auch wichtige Leute so machen würden. Norbert Hofer hat z. B. vor der Wien-Wahl angekündigt, dass am 23. Oktober der neue Lockdown drohe - war halt falsch, aber was kümmert das einen Politiker, der stolz “Corona ist nicht gefährlich” sagt?
Und was das alles noch absurder macht, ist, dass die Regierung bei aller Kritik zumindest zum Thema Lockdown relativ transparent ist. Im letzten ZIB2-Interview mit Gesundheitsminister Anschober konnte der einen Lockdown eben nicht ausschließen - unter gewissen Umständen, die er auch ausführte, müsse man darüber nachdenken, aber momentan eher nicht. Aber manche glauben, dass da sowohl die Fragestellerin als auch der antwortende Minister böswillig lügen - es sind die Blogs ohne Impressum und die WhatsApp-Virals, in denen sich die Wahrheit versteckt!
#5: Die Corona-Diktatur-Spinner
Wir haben in Österreich Maßnahmen, die verhindern sollen, dass eine potentiell tödliche Krankheit das Gesundheitssystem überlastet. Klingt sinnvoll, oder? Aber nicht für Manuel - denn wenn er drinnen eine Maske tragen soll, ist das Panikmache und damit quasi genau gleich wie im Dritten Reich.
Immer wieder liest man diese besonders dummen Kommentare - diesen hier unter dem Artikel Slowenien stuft fast ganz Österreich als Risikogebiet ein auf oe24. Aber die slowenische Entscheidung ist sicher nur wieder Panikmache von Anschober, meint Manuel. Zustimmung bekommt er von Spinnern, die sich rund um Attila Hildmann und Xavier Naidoo auf Telegram versammeln, wo die Maskenpflicht so diskutiert wird, als wäre sie der nächste Holocaust.
Wenn man sich solche Kommentare ansieht fragt man sich: Wie oft muss man im Leben falsch abgebogen sein, um so zu denken? Und die Antwort ist: Oft. Aber diese Gelegenheiten gab es ja oft genug. In den Early Years of Social Media hatten lange Zeit FPÖ-nahe Websites wie Unzensuriert die Themenhoheit - weil etablierte Medien und Politiker im besseren Teil des politischen Spektrums Facebook verschlafen haben. Das sind die Leute, die seit Jahren glauben, dass in Wien Straßenschlachten vor Minaretten an der Tagesordnung stehen, während sie in Hüttschlag mit ihrem 25 kb/s-Modem das Internet bedienen. Und für die ist es nach jahrelanger Indoktrination eben kein großer Schritt, bis man ganz entspannt sowas ins Netz stellt:
#6: Die Whataboutismer
Okay. Diese Art von Kommentaren ist nicht demokratiegefährdend, sondern einfach nur dumm. Was will uns Irmi sagen mit ihrem Beitrag unter Coronavirus: Impfstofftests eher rar, Wien aber “interessant” im KURIER?
Hungertote sind schlimmer als Corona, also bevor wir nicht jeden Menschen mit Essen versorgen darf man nicht impfen?
Man muss sich für alle Menschen gleich interessieren, egal woran sie sterben, also bitte ignorieren wir beides?
Menschen, die Husten und Atemnot haben, verhungern immerhin nicht, also ist alles gut?
Ganz ehrlich, ich bin oft so verwirrt nach solchen Kommentaren. Dieses “Haben wir keine anderen Probleme” ist eines der faulsten und dümmsten Argumente, die man in irgendeiner Diskussion bringen kann - und was soll es denn wirklich aussagen? Ich glaube, das ist einfach nur ein Versuch, intelligent zu wirken, obwohl man nichts zu sagen hat. Dass Irmi damit das Gegenteil erreicht, müsste ihr mal jemand sagen.
Das ist natürlich keine vollständige Liste. Aber dass unter jedem Nachrichten-Artikel, in dem eines der wichtigsten Themen unserer Zeit besprochen werden, so viele Idioten unterwegs sind, zeigt, dass wir ein Problem haben. Denn die Zielgruppe dieser Kommentare sind nicht die Medien, unter denen sie stehen, und nicht wir, die halbwegs medienkompetent sind. Sondern die, die Fakt und Fiktion nicht mehr unterscheiden können und schnell in einen Strudel geraten. Die ein-zwei Jahre entfernt sind von den Kategorien, die ich hier aufgezählt habe.
Da hilft keine Klarnamen-Pflicht und kein Rückzug auf Twitter, weil dort ja alles angeblich viel zivilisierter ist - man muss einfach zurückschreiben. Bullshit sollte man nie unwidersprochen stehen lassen. Und insofern empfehle ich euch, zumindest ab und zu einen Kommentar da zu lassen, wenn ihr sowas lest. Gerade in einer Pandemie kann es echt sein, dass sowas Leute davor rettet, krank zu werden - und vielleicht sogar ein Leben rettet.
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