Lehren aus dem Anschober-Lockdown-Interview
"Können Sie ausschließen, dass ..." muss immer mit "Ja" beantwortet werden
Die Corona-Zahlen in Österreich eskalieren gerade, aber es könnte schlimmer sein. Das dürfte in etwa die Gefühlslage sein, die viele von uns haben. In Frankreich gibt es bereits mehr als 30.000 Neuinfektionen am Tag und es werden Ausgangssperren diskutiert. Aber das macht die Leben der über 1000 Infizierten pro Tag auch nicht besser. Über 1000 pro Tag.
Insofern ist es nicht überraschend, dass zuletzt immer wieder das böse Wort “Lockdown” ins Spiel gebracht wird. Norbert Hofer will schon lange gewusst haben, dass der zweite Lockdown nach der Wien-Wahl geplant ist. Im ZIB2-Interview sagt Gesundheitsminister Anschober etwas Anderes: Momentan ist ein Lockdown nicht geplant, aber das könne sich natürlich schnell ändern, wenn die Maßnahmen nicht greifen und die Zahlen weiter stark ansteigen. Das Interview gibt’s auch in der TVThek, aber weil der ORF gesetzlich nur sieben Tage lang seinen Journalismus ins Internet stellen darf, hier das YouTube-Video dazu:
“Können Sie ausschließen, dass …?”
Die Frage “Können Sie ausschließen, dass …” ist ein Klassiker in jedem Medientraining. Und die Antwort hat immer gleich zu lauten: Ja. Das beweist das Beispiel Rudi Anschober wieder mal eindeutig.
Journalisten fragen nicht, ob man etwas ausschließen kann, weil es so positiv wäre. “Können Sie ausschließen, dass die Steuern gesenkt werden?” ist keine Frage, weil der Spin ein ganz anderer wäre: “Wann werden die Steuern denn endlich gesenkt?”. Wer also gefragt wird, ob man etwas ausschließen kann, hat immer Ja zu sagen, sonst droht ein Imageschaden. So, wie es eben Anschober passiert ist - zum Beispiel durch diesen Tweet von FALTER-Chefredakteur Florian Klenk, der das hier mit seinen 259.779 Twitter-Followern teilt:
Gleichzeitig gibt Anschober natürlich eine intellektuell redliche Antwort. Zum jetzigen Zeitpunkt ist ein Lockdown nicht geplant. Aber wenn die Zahlen weitersteigen, muss man eben darüber nachdenken. Nachvollziehbar. Aber die Außenwirkung dieser Maßnahmen ist nicht nur von Intellektuellen abhängig. Und darum muss auch der Gesundheitsminister eine Grundregel beachten.
Die Antwort lautet immer “Ja”
Auch wenn ich ihm in der Sache widerspreche, mit einem hat Klenk Recht: So kommuniziert man nicht. Denn “Anschober schließt Lockdown nicht aus” wird im Titel auf orf.at schnell zu “Neue CoV-Maßnahmen demnächst möglich” - und das bedeutet so viel wie “Der nächste Lockdown kommt”. Die Unsicherheit ist durch diese Aussage enorm gestiegen.
Insofern gibt es kommunikationstechnisch nur eins, was Anschober hätte sagen sollen: Ja. “Aber nur jetzt im Moment”, wäre dann die Nachfrage, und die Antwort darauf wäre wiederum “Ja, wir reden ja jetzt im Moment”. Wer gefragt wird, ob man etwas ausschließen kann, sollte jetzt im Moment immer bereit sein, es auszuschließen. Und wenn dann doch der nächste Lockdown kommt, hat sich eben die Ausgangslage geändert. Wir kennen das von Politikern.
Trotz aller Kritik: Nehmt das ernst
Trotz dieser nicht ganz gelungenen Übung in Krisenkommunikation hat Anschober in seinem Interview natürlich nicht Unrecht. Die Corona-Zahlen steigen dramatisch und man merkt, dass ein maßgeblicher Teil der Ausbreitung auf Leute zurückzuführen ist, die die Maßnahmen nicht ernst nehmen. Das ist Fakt. Und Anschober hat nun mal auch Recht damit, wenn er die Menschen in Österreich dazu ermahnt, wieder zusammenzuhalten.
2020 ist für mich das Jahr, in dem die Biopolitik zurückgekehrt ist. Nach den Geschichten aus Italien, wo Ärzte entscheiden mussten, wer leben darf und wer nicht, haben wir alle verstanden, dass wir selbst relativ unwichtig sind und aufeinander schauen müssen. Dieser Zusammenhalt ist relativ schnell einer Mischung aus Verschwörungstheorien, Verharmlosung und Egoismus gewichen - und wenn das so weitergeht, könnte dieser Winter noch richtig brutal werden.
Ich für meinen Teil habe eine Geburtstagsfeier abgesagt, während ich diesen Text schreibe. Einfach, weil es wichtig wäre, dass sich jeder ein bisschen zurücknimmt. Es bleibt zu hoffen, dass von Anschobers Interview nicht nur die Ankündigung eines Lockdowns bleibt, die so nicht gefallen ist. Sondern dass sich einige auch seine Worte zu Herzen nehmen und wieder vermehrt darauf schauen, was wirklich notwendig ist.
Übrigens: Falls du Corona auch ernst nimmst und informiert bleiben willst, empfehle ich die Seite corona-ampel.org. Meine früheren Kollegen Markus Hametner und Gerald Gartner, die bei Addendum richtig coolen Datenjournalismus gemacht haben, informieren trotz dem Ende von Addendum weiter über die Entwicklung der Zahlen in ganz Österreich. Ich hab mich schon für ihr Update zu der Wien-Ampel angemeldet - ist aber für jede andere Gemeinde möglich. Schau vorbei und sag es weiter: Corona-Ampel.org
Ansonsten: Wenn dich Texte zu Politik und Kommunikation generell interessieren, kannst du mein Update hier kostenlos abonnieren oder mir auf Facebook, Twitter und Instagram folgen.