Wieso es bei der US-Wahl um die Zukunft von Social geht
Plattform für Republikaner oder drohende Zerschlagung?
Wenn ihr diesen Newsletter lest, muss man euch nicht mehr erklären, dass die US-Präsidentschaftswahl wichtig ist. Wie schnell und wie stark sich die Erde aufheizt, wie viele Amerikaner durch Waffengewalt sterben, wie viele sich mit dem Coronavirus anstecken und ob sie danach ins Krankenhaus dürfen, ohne massive Schulden aufzubauen - das alles fließt in die Entscheidung mit ein, die Amerika heute Nacht treffen wird.
Aber ein Thema geht im öffentlichen Diskurs gerade unter: Dass diese Wahl auch massiv darüber entscheiden dürfte, wie die großen, amerikanischen Tech-Konzerne in Zukunft arbeiten werden. Um zu erklären, warum auch die Regeln privater Firmen bei dieser Wahl ausverhandelt werden, müssen wir kurz ausholen: Zu QAnon.
QAnon und die Zensur-Debatte
Die Debatte um QAnon haben wohl die meisten mitbekommen. Falls nicht, kurz zusammengefasst: Mehr und mehr Leute glauben an eine Verschwörungstheorie, laut der Donald Trump hinter den Kulissen gegen eine mächtige Elite aus Politikern, Wirtschaftsbossen und Hollywood-Stars kämpft, die Kinder entführt, um durch ihr Blut für immer jung zu bleiben. Klingt wahnsinnig? Ihr habt keine Ahnung, wie wahnsinnig.
Schon im US-Wahlkampf 2016 stürmte ein Anhänger von QAnon bewaffnet eine Pizzeria, in deren Keller laut Verschwörungstheorie Kinder eingesperrt wären. Dahinter steckte logischerweise: Hillary Clinton. Mittlerweile gibt es viele Beispiele von “Real World Violence”, die auf QAnon und ähnliche Fringe Movements zurückgehen - klar, dass Facebook und Co. hier was tun müssen, oder?
Was ist eigentlich “Meinungsfreiheit?”
Jein. Denn Mark Zuckerberg hat sich in der Vergangenheit als starker Kämpfer für Meinungsfreiheit positioniert. Das klingt an und für sich ganz nett, wird in den USA aber noch viel weiter verstanden als bei uns: Erst dieses Jahr hat sich Facebook dazu durchgerungen, Holocaust-Leugnung zu verbieten. Was für uns in Europa ein No-Brainer ist, war am anderen Ende des Atlantiks eine echte Debatte. Warum soll man eigentlich nicht seine Meinung sagen dürfen, auch wenn sie falsch ist? Warum soll man nicht Gerüchte verbreiten, die dann zu echten Morden führen, wenn man sie wirklich glaubt? Man muss das nicht verstehen - aber das ist die Ausgangslage, in der sich US-Unternehmen befinden.
Die großen Tech-Konzerne sind in vielen Fällen mächtig genug, sich ihre eigenen Regeln zu machen - nicht zuletzt auch durch Lobbying im US-Kongress. Genau dort aber finden demnächst die neuen Antitrust-Hearings zu Google und Facebook statt. Mehr und mehr amerikanische Politiker sehen die Probleme, die sich durch Giganten wie Facebook, Google, Amazon oder Apple ergeben, und fordern Regulierung. Regulierung, der sich diese Konzerne nicht entziehen könnten, da sie eben US-Konzerne sind.
Und hier kommt die Präsidentschaftswahl ins Spiel: Denn Donald Trump und Joe Biden haben ganz unterschiedliche Ideen, wie Technologiefirmen sein sollten.
So sehen die US-Parteien Big Tech
Donald Trump sieht Plattformen wie Facebook und Twitter als Vehikel für seine eigenen Botschaften. Wenn sie ihm helfen, sind er und Mark Zuckerberg gute Freunde. Wenn Twitter ihn sperrt, weil er gegen die Nutzungsrichtlinien verstößt und zu Gewalt aufruft, ist Jack Dorsey sein Todfeind. Auch andere führende Republikaner positionieren sich klar im “Team Meinungsfreiheit” und behaupten, dass Konservative auf sozialen Medien benachteiligt würden - was nicht mehr als ein blödes Gerücht ist. Die Linie der Trump-Partei lautet also: Gebt uns Reichweite, oder ihr werdet reguliert.
Joe Biden und die Demokraten sehen das etwas differenzierter. Seine Konkurrentin im demokratischen Vorwahlkampf, Elizabeth Warren, wollte Tech-Konzerne aufbrechen, und einige blaue Abgeordnete reden offen darüber, Facebook zu zerschlagen. Das würde bedeuten, dass Facebook, Instagram und WhatsApp wieder eigene Firmen ohne gemeinsames Management wären - was ein Präzedenzfall von nie dagewesenem Ausmaß wäre. Die Demokraten sehen das Problem nicht in potentieller Zensur - auch, wenn sie eher davon betroffen sind als ihre Konkurrenten -, sondern in der unglaublichen Größe dieser Plattformen.
Beide Parteien eint, dass sie den Big Tech-Unternehmen nach einer langen Zeit der Unwissenheit und des Desinteresses zumindest skeptisch gegenüberstehen. Mehr Regulierung steht auf jeden Fall im Raum - egal, wer die Wahl heute gewinnt. Die Frage ist nur, in welche Richtung.
Change is coming
Da die CEOs dieser Unternehmen Opportunisten sind, wollen sie sich immer mit der eigenen Regierung gut stellen. Für Mark Zuckerberg zählen nur wenige Dinge - aber die Meinung des US-Präsidenten und die öffentliche Meinung gehören definitiv dazu. Dadurch erklärt sich auch, dass er in den vergangenen Jahren mehrmals offen zugab, umstrittene Positionen auf Facebook stehen zu lassen - auch, um die Republikaner glücklich zu halten.
Jetzt zeichnet sich aber eine deutliche Niederlage von Donald Trump ab. (Auch, wenn ich nicht überzeugt bin.) Und Tech-Konzerne überlegen, die Seiten zu wechseln. Das sicher stärkste Beispiel für diese Entwicklung ist, dass Facebook und Twitter eine Story in der New York Post über Joe Bidens Sohn Hunter eingeschränkt haben - bis Fact-Checker sie überprüfen, kann sie nicht geteilt werden. Republikaner sehen das als Zensur. Und sie haben Recht.
Beides ist nicht optimal. Twitter sollte keine News Stories zensieren, weil sie einem Kandidaten schaden könnten. Genauso wenig, wie Facebook seinen Algorithmus so bauen sollte, dass Konservative davon profitieren. Diese Plattformen sollten ein ausgeglichenes Spielfeld für den politischen Diskurs bieten und sich nicht vereinnahmen lassen - aber gerade dadurch, dass sich die Republikaner von ihnen benachteiligt fühlen, passiert genau das.
Warum Konservative lügen, wenn sie vom “anti-conservative bias” sprechen, liest du hier.
Richtungsentscheidung für einen der wichtigsten Bereiche unseres Lebens
Für mich ist das einer von 1000 Gründen, warum ich auf Joe Biden hoffe. Denn ich will lieber soziale Medien, die wegen ihrer Marktmacht vom US-Kongress verhört werden als Propagandamaschinen, die konservative Nachrichten aktiv pushen müssen, um diese Regulierung zu vermeiden. Es kann eine Zeit lang dauern, bis wir die Ergebnisse haben - aber zumindest für unser Internet-Verhalten ist es eine enorm wichtige Entscheidung, wer Präsident wird.
Sollen Social Media-Konzerne regeln, was gesagt werden darf und was nicht? Soll es eine nachvollziehbare Basis geben, was “akzeptabel” ist und was nicht? Oder soll ein User alles posten können - egal, zu wie viel Gewalt es führt und egal, welche Konsequenzen es für die Demokratie haben könnte? Diese Fragen werden auch bei der US-Wahl entschieden. Ich bin gespannt, in welchem Internet wir in einem Jahr darauf zurückschauen werden.
Das war’s. Das ist der Text. Ich hab auch lange überlegt, ob ich eine Art “Vorschau” schreiben soll, weil ich ja ganz gerne über Wahlkämpfe schreibe und ich mich auch im Studium damit beschäftige. Aber ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Und ich bin nervös. Ein Teil von mir glaubt noch immer, dass Donald Trump Präsident bleiben kann, obwohl er den Klimawandel leugnet, nichts gegen Waffengewalt tut, das Internationale System anzündet und in der Coronavirus-Krise alles falsch gemacht hat. Ich hab einfach eine schlechte Meinung von Amerikanern.
Aber eines hat mich etwas zuversichtlicher gemacht. Die Umfragen sind noch deutlicher als 2016, als sie sich bei Hillary Clinton geirrt haben. Das bedeutet auch, dass sich die Umfragen genauso deutlich irren könnten - und Biden würde noch immer gewinnen. Texas könnte blau werden. Es sieht wirklich nach einem Biden Landslide aus. Es gibt aber viel g’scheitere Kommentatoren, die euch das erklären können - also schreib ich, sticking to my guts, lieber über die Social-Media-Dimension dazu. Wenn ihr Hoffnung wollt, empfehle ich aber die aktuelle Folge der Ezra Klein Show mit Nate Silver - dem wahrscheinlich besten Datenjournalisten der Welt -, der ganz deutlich erklärt: “2020 isn’t 2016”. Hier auf Spotify.