Letztes Wochenende habe ich das erste Mal seit langem einen Long Read geschrieben, mit einem Gedankenexperiment als “Weekend Reading”. Euer Feedback sagt mir, ihr mögt Gedankenexperimente. Wenn das so ist, dann ist heute euer Tag. (Und wenn nicht, ich mag
Denn heute geht’s um einen ernsten Vorschlag, der eigentlich aus einem Meme entstanden ist: Fully Automated Luxury Communism. Aber wartet kurz, es ist nicht ganz so verrückt wie es klingt. Ich muss wieder ausholen.
Diese Woche habe ich mir meine ersten Aktien gekauft. Also, “Aktien” wäre übertrieben - die einzige vollständige Aktie, die ich gekauft habe, ist eine einzige Twitter-Aktie. (Die Debatte führen wir ein andermal.)
Der Rest sind kleinere Anteile, weil ich nicht sofort vierstellig einsteigen will, ohne zu wissen, was ich da genau tue. Nur bei einem Kauf war ich mir absolut sicher, dass er mir langfristig Gewinn bringen wird: Amazon.
Amazon ist für mich so eine Art Meta-Unternehmen. Während die meisten Firmen eine Branche haben, ein Produkt oder eine Art von Service, auf die sie sich spezialisieren, ist Amazon prinzipiell überall tätig. Amazons Geschäftsmodell ist längst nicht mehr nur, alles zu verkaufen - dieses Ziel haben sie ja schon erreicht -, sondern längst, immer mehr wirtschaftliche Bereiche aufzufressen. Davon kann man auf einer moralischen Ebene halten, was man will, aber für größere Aktienbesitzer als mich kann das nicht so falsch sein.
Amazons Game Plan
Vor Kurzem habe ich in einer der mittlerweile oft hier zitierten Late-Night-Diskussionen™ zum ersten Mal seit langem nachgedacht, was das Geschäftsmodell von Amazon “on the long run” bedeutet. Die offensichtlichste Stärke des Konzerns ist, dass genug Geld da ist, um alle anderen zu übertreffen: Bis 2040 wird Amazon klimaneutral werden und ja, das bedeutet auch, dass die Emissionen durch den Schiffverkehr der Produkte mit Offset-Mechanismen ausgeglichen werden. Dazu kommen mehr und mehr fulfillment centers, von denen aus Amazon in alle Welt liefern kann.
Der Game Plan von Amazon ist also klar: Am Ende soll es für jeden Konsumenten möglich sein, alles von Amazon zu kaufen und dabei nicht nur schnell und günstig sein Produkt zu bekommen, sondern auch noch die Umwelt zu schonen. Zumindest im Vergleich zum lokalen Händler, der das Produkt vielleicht erst bestellen müsste und dann vielleicht eine Woche später auch noch mit dem Benziner vorbeibringt. Es ist logisch, dass in diesem Szenario unzählige Arbeitsplätze im Handel verloren gehen. Aber jetzt wird es provokant: Wenn es für Konsumenten und die Umwelt besser ist - ist das dann ein Problem?
Die Antwort ist offensichtlich zuerst mal Ja, weil Arbeitslosigkeit. Die Frage ist, ob dann nicht die Arbeitsplätze, die im lokalen, “nicht-amazon-wettbewerbsfähigen” Handel wegfallen, dann nicht einfach für Amazon arbeiten oder andere Jobs annehmen. Historisch gab es immer wieder Jobs, die durch technologischen Fortschritt weggefallen sind - und nichts anderes ist eCommerce. Wenn es die Menschen besser finden, mit einem Klick einzukaufen als extra irgendwo hinzufahren, fällt das historisch in die gleiche Kategorie wie der Downfall des Hufschmids. (Hier noch ein paar Beispiele von Jobs, die es früher gab und die wir eher nicht zurückwollen.)
Aber Hufschmiede gibt es auch heute noch. Und nur weil Jobs wegfallen heißt das nicht, dass die, die sie hatten, für immer arbeitslos bleiben. Viele können dort anfangen, wo mehr Arbeit zu tun ist - bei Amazon zum Beispiel. Aber geschichtlich zeigt sich, dass es laufend Jobs gibt, die wegfallen - vom Hufschmid damals bis zum Kassierer heute - und Jobs, die dazukommen - KFZ-Jobs damals und Social-Media-Manager heute. Dass wir einen Teil der Wirtschaft nicht mehr gleich wertschätzen wie früher, heißt nicht, dass es keine neuen Bereiche geben wird.
Das heißt übrigens nicht, dass ich aktiv “gegen den Handel” bin oder dafür bin, dass Amazon einfach alles übernimmt. Monopolen sollte man skeptisch gegenüberstehen und ich traue mir nicht zu, da mit “der Markt soll regeln” eine perfekte Lösung zu haben. Wie gesagt, es ist ein Gedankenexperiment. Denn wir werden diese “Handel nur noch über Amazon”-Zukunft vielleicht nie sehen. Aber wir werden uns definitiv annähern, und in diesem Artikel geht es eben um den Game Plan von Amazon, laut dem das etwas Gutes ist.
Ein guter Ausblick auf die Zukunft
Was hat das jetzt mit meiner Aktie zu tun, oder mit automatisiertem Kommunismus? Ich glaube, dass Amazon viele Trends dazu richtig antizipiert. Wer sagt, dass es jedes Produkt einmal im stationären Handel und einmal online geben muss? Es wird der Punkt kommen, an dem es den meisten von uns reichen wird, online zu kaufen. Wer sagt, dass genau der Prozentsatz einer Volkswirtschaft im Handel arbeiten muss, der es jetzt tut? Niemand - darum wird der Handel zwar nicht wegfallen, aber definitiv etwas an Gewicht verlieren. Und neue Jobs werden nachkommen, damit eine gesellschaftliche Katastrophe vermieden wird. (Die Alternative wäre eine “autarke Ab-Hof-Gesellschaft”, wie wir sie uns in Österreich gerne vorstellen. Ich halte die Amazon-Zukunft für realistischer.)
Und wer sagt überhaupt, dass die Zukunft in der klassischen 40-Tage-Woche liegt? Erste Gehversuche zeigen, dass die Produktivität nach einer Arbeitszeitverkürzung nicht abnimmt - und jeder, der an der achten Stunde im Office schon mal versucht hat, kreativ zu sein, weiß, dass da etwas dran ist. Viele Jobs, gerade im Bereich knowledge work, können auch mit weniger Stunden erledigt werden. Und warum fangen genau die erfolgreichsten Konzerne der Welt damit an, keine Urlaubs-Policy mehr festzuschreiben und flexible Arbeitszeiten zum Standard zu machen? Weil da was dran ist.
Worauf ich hinaus will: Es wird eine Zukunft geben - und ich rede von einer Zukunft gegen Ende meines Lebens, also gegen Ende des Jahrhunderts -, in der wir uns nicht mehr daran orientieren müssen, dass jeder 40 Stunden arbeiten muss. Wir können unsere gesellschaftlichen Grundbedürfnisse auch befriedigen, wenn jeder nur 30 Stunden macht. Oder manche 40, dafür andere 20. Es klingt abgedroschen, aber genau so etwas kann der Markt eben doch am besten Regeln. Und vieles, was wir aktuell in der Welt erleben, zeigt uns, dass der Trend in genau diese Richtung geht.
Gleichzeitig werden der technologische Fortschritt und die Dekarbonisierung der Wirtschaft (und damit quasi unendliche Produktionsmöglichkeiten) uns ein Level an Wohlstand ermöglichen, in dem es kein Problem ist, dass einige Jobs wegfallen. Dann wird die eigene Leistung und der eigene Stellenwert im Unternehmen bezahlt - und nicht einfach jede einzelne Stunde, zu der man anwesend war.
Nennt mich naiv - aber für mich klingt das nicht nur on the long run realistisch, sondern auch ziemlich stark nach dem Meme, das ich eingangs beschrieben habe. Fully Automated Luxury Communism kam zwar als Witz ins Leben - und wird definitiv ein Rebranding brauchen, wenn daraus jemals eine politische Vision etabliert wird, weil Kommunismus doch eher scheiße war -, aber wird irgendwann Realität sein. Eine Zukunft, in der wir nicht mehr arbeiten wie heute, und in der Unternehmen wie Amazon niemanden mehr verdrängen müssen, weil sie schon heute angefangen haben, diese Zukunft zu sehen.
Das heißt nicht, dass wir einfach jetzt schon alles bei Amazon kaufen sollten und uns schon mal darauf einstellen dürfen. Aber ich glaube, Jeff Bezos hat erkannt, dass ein stationärer Handel als Konkurrenz kein Naturgesetz ist - genauso wenig wie der Rest unseres heutigen Lifestyles. Und darum bin ich mir auch so sicher, dass diese Aktie kein Fehlkauf sein wird.
In ein paar Jahren könnt ihr mich damit zitieren, und ich weiß, dass das auch wirklich schlecht altern kann. Wir werden sehen. Bis dahin: Schönes Wochenende.