Das falsche Narrativ von Klimaschutz als Verzicht
Den Planeten zu retten heißt nicht, dass du nicht mehr fahren darfst
Mein letzter Newsletter zu Klimaschutz und zum Verhältnis der ÖVP zu dem Thema hat mir einige Nachrichten gebracht. Einige waren positiv und zustimmend, andere haben Sebastian Kurz verteidigt - denn der “Steinzeit”-Sager, der die letzten Wochen immer wieder diskutiert wurde, sei ja nicht so falsch. Wir könnten nicht nur mit Verzicht aus der Klimakrise kommen.
Ja und nein. Mit der Aussage, dass uns Verzicht nicht retten wird, bin ich gerne einverstanden. Mein Problem ist, dass ranghohe Politiker:innen immer wieder so tun, als hieße Klimaschutz, dass wir einfach unseren Lebensstandard zurückschrauben müssten. Dabei sprechen die allermeisten Klimaschützer:innen nicht davon, sondern haben meist konkrete Forderungen und Ideen, wie man echten Verzicht - z. B. auf fossile Brennstoffe, die den Planeten kaputt machen - kompensieren könnte.
Schauen wir uns kurz das Zitat von Kurz an - so wird er in der PRESSE zitiert:
„Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte“, betonte Kurz. Er halte „weder etwas von der Politik des ständig erhobenen Zeigefingers noch von Fantasien, dass man irgendwie leben könnte wie im vergangenen Jahrhundert“, untermauerte er seinen Standpunkt.
Der erste Teil ist polemisch, aber von mir aus. Niemand will in der Steinzeit leben. Das wäre auch irgendwie mühsam, auf alles zu verzichten, was Menschen erfunden haben. Aber im zweiten Teil tut Sebastian Kurz so, als wäre Klimaschutz synonym mit der Idee, “wie im vergangenen Jahrhundert” zu leben - ein Jahrhundert übrigens, das die Zerstörung der Umwelt überhaupt erst erfunden hat.
Verzichtsfantasien, die nur so klingen
Echter Klimaschutz sieht anders aus. Niemand will zurück ins 20. Jahrhundert. Und es will auch niemand Autos verbieten. Mir ist Klimaschutz sehr wichtig, aber ich habe kein Interesse daran, Menschen vorzuschreiben, wie sie ihren täglichen Weg zur Arbeit absolvieren. Wichtig ist mir nur, dass er den Planeten nicht zerstört - und da Elektro-Autos (oder von mir aus auch E-Fuels) existieren, heißt das nicht, dass man einfach nicht mehr Auto fahren darf. Wir müssen einfach schnellstmöglich so weit kommen, dass alle, die den Individualverkehr bevorzugen, auch klimaneutral fahren können.
Und ja, das bedeutet auch, dass da die Politik gefragt ist. Ohne entsprechenden Ausbau der Ladestationen für Elektro-Autos und einen starken Ausbau des öffentlichen Verkehrs bis aufs Land wird das nicht gelingen. Wenn Klimaschützer:innen über eine Zukunft ohne die bösen Verbrenner von heute reden, heißt das also nicht, dass genau du jetzt sofort dein Auto weggeben musst. Sondern dass wir als Gesamtgesellschaft möglichst schnell so weit kommen müssen, dass wir klimaneutral fahren können, eben ohne auf etwas zu verzichten.
Ähnlich ist es mit vielen anderen Themen. Ein anderes Beispiel: Ich finde nicht, dass wir aufhören müssen, Fleisch zu essen, solange wir die Transportwege in den Griff bekommen - aber wenn künstlicher Fleischersatz endlich so schmeckt wie echtes Fleisch, bin ich gerne der erste, der umsteigt. Ohne es anderen dadurch zu verbieten. Wieder: Wir müssen einfach daran arbeiten, dass es für alle möglichst schnell einfach wird, ihren Lebensstandard zu halten, ohne auf etwas zu verzichten, aber auch ohne das Klima zu schädigen. Und in den allermeisten Bereichen gibt es da Abstufungen.
Eines ist aber wissenschaftlich zu 100 % klar und steht nicht mehr zur Diskussion: Der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen. Wenn wir auf Dauer weiter Öl verheizen, sind unsere restlichen Anstrengungen egal.
Die neuen Strategien der Klimasünder
71 % des globalen CO2-Ausstoßes wird von 100 Unternehmen verursacht. Und die sind die üblichen Verdächtigen im Fossil-Fuel-Bereich. Es sind die, die schon Anfang des letzten Jahrhunderts über den Effekt ihrer Produkte auf das Klima Bescheid wussten und die Ergebnisse möglichst lang vertuschten, dann die Klimaleugner-Fraktion finanzierten und jetzt auf neue Strategien umschalten - Strategien, die wir auch in der heimischen Politik vorfinden.
Céline Keller hat eine Studie dazu als Comic dargestellt und die wichtigsten Strategien kurz zusammengefasst. Die neue Taktik sei nicht mehr, den Klimawandel zu leugnen - die Wissenschaft ist zu einig, und die Effekte sind im Leben der Menschen schon zu deutlich spürbar -, sondern Gründe zu finden, trotzdem nichts zu ändern. Ein kleiner Auszug:
All Talk, Little Action: Man setzt sich hohe Ziele in die (aus demokratischer Sicht) ferne Zukunft und redet sich darauf aus, dass man diese Ziele ausgerufen hat. Wenn es um die Erfüllung geht, passiert in jeder Legislaturperiode aber nur das absolute Minimum - und am Ende haben wir sie wieder nicht erreicht. (Erinnert sich noch jemand an das Kyoto-Protokoll?)
Whataboutismus: Ach, unsere Emissionen sind schlimm? Schau dir ein größeres Land an! Die stoßen mehr aus als wir! Unsere Autos sind nicht grün genug? Vergleich sie mal mit dem Ausstoß eines Flugzeuges! Aber wer redet über Flugzeuge? Die machen nur 2 % des globalen Ausstoßes aus!
Die “Free Rider”-Ausrede: Das Argument, das jeder kennt: Wenn wir unsere ohnehin schon hohen Standards noch weiter erhöhen, schwächen wir unsere Industrie (oder sonstige Bereiche, je nach Thema) und die Leute kaufen im Ausland ein. Das können wir nicht wollen!
Teil der Lösung: Öl ist Teil der Lösung! Immerhin brauchen wir Energie, und da aktuell noch nicht 100 % des Weltmarktes mit Erneuerbaren betrieben wird, ist das generell unmöglich. Daher werden fossile Brennstoffe oft als “Brückentechnologie” beschrieben, die es braucht, bis man in der schönen Zukunft ankommt. Leider haben wir dafür keine Zeit mehr.
Strategien wie diese sind Greenwashing durch die Hintertür, weil sie rechtfertigen, trotz eindeutig bewiesenem Handlungsbedarf, jetzt sofort … genau nichts zu tun. Und ob die Welt untergeht, weil Verschwörungstheoretiker nicht an den Klimawandel glauben oder weil wir alle uns einig sind, aber einfach trotzdem nichts tun, ist im Endeffekt völlig egal.
Darum ärgert es mich auch, wenn ein Bundeskanzler so tut, als würde Klimaschutz den Sprung ins letzte Jahrhundert bedeuten und deswegen einfach nicht gehen. Gerade weil ich weiß, dass Sebastian Kurz es besser kann. Während der Pandemie, nach dem Ibiza-Skandal, aber auch in Wahlkämpfen hat er schon oft ein Geschick dafür bewiesen, die richtigen Worte zu wählen - aber bei diesem Thema bröckelt es gewaltig in der ÖVP. Genau bei der Partei, die es braucht, um große Anliegen in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Und genau darum war meine These ja auch: Eine echte Volkspartei braucht Klimaschutz.
Ich jedenfalls bin überzeugt, dass Klimaschutz mehr bedeuten kann als asketische Verbotsfantasien und eine Welt, in der niemand mehr alleine fahren oder mit dem Flugzeug die Welt anschauen kann. Und so sehr ich auch auf starke Technologien hoffe, die uns ganz leicht aus dem Schlamassel bringen - solange wir die nicht haben, ist es angebracht, so zu handeln, als würde es nie eine geben. Das heißt: Fossile Brennstoffe abdrehen, Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel oder E-Autos fördern, die Industrie an der Hand nehmen und Veränderungen subventionieren, usw. Aber es kann nicht heißen, bitte einfach nichts zu machen, weil gerade andere Dinge wichtig sind. Denn nichts ist wichtiger, als die Klimakrise zu bekämpfen.