Eine echte Volkspartei braucht Klimaschutz
Wieso es die ÖVP auch bei diesem Thema brauchen wird
Hello! Ich melde mich nach einem kurzen Urlaub und einem längeren Krankenstand nach etwas längerer Pause zurück mit einer Frage und einer Warnung. Die Warnung: Passt auf, dass ihr auch auf einem Boot nicht zu viel Meerwasser schluckt, auch wenn es euch ins Gesicht peitscht. Und die viel wichtigere Frage, und damit das Thema des heutigen Newsletters: Kommt euch auch manchmal vor, dass die Probleme, die wir in unseren westlichen, europäischen Gesellschaften haben, oft nicht zu unseren Wahlergebnissen passen?
Ich erklär kurz, was ich meine: Das mit Abstand größte Problem unserer Zeit ist die Klimakrise. Die Höhe der Steuern, die wir zahlen, die Anzahl illegaler Flüchtlinge in unseren Ländern, wie man gendern soll - das ist mittelfristig alles nebensächlich verglichen mit der Frage, ob wir den Planeten abfackeln lassen.1 Die meisten Prognosen sehen uns weit hinter den Pariser Klimazielen, die ohnehin ein Kompromiss sind. Wieso wählen wir also … so?
Dazu hat Rico Grimm, Journalist bei KRAUTREPORTER und einer der interessanteren Twitter-Accounts zum Thema Klimakrise einen interessanten Punkt:
Ja, in den meisten europäischen Staaten gewinnen bei Wahlen meist Konservative oder „moderate Sozialdemokrat:innen“, die in der Regel inhaltlich nicht viel von diesen trennt. Aber es sind selten Konservative, die dazugewinnen.
Dieser Trend galt bis vor Kurzem auch noch für die ÖVP. Unter Pröll, Spindelegger und Mitterlehner konnte man beiden Großparteien dabei zuschauen, wie sie Wahl für Wahl gegen die FPÖ Federn ließen. Aber dass das kein Naturgesetz ist, hat Sebastian Kurz gezeigt. Mit einer Ablehnung von all dem, was man an negativen Vorbehalten gegen die Volkspartei haben konnte, hat er die ÖVP wieder zum Wahlsieger gemacht. Vorerst.
Vorerst, weil sich ein Trend abzeichnet. Denn es sind nicht Konservative, die „so stark wie noch nie zuvor“ sind, sondern in der Regel grüne Parteien. Und das ist ein Trend, der sich insbesondere in der Generation Z abzeichnet - und damit bei Wählergruppen, die noch ein paar Jahrzehnte länger auf diesem Planeten leben werden als das Stammklientel der Traditionsparteien. Dieser Trend bedeutet eine tickende Zeitbombe für Konservative, aber auch für Sozialdemokrat:innen - gerade bei Letzteren weiß man nämlich nicht, ob sie nicht einfach ersetzbar sein könnten.
Die Relevanz der Volksparteien
Mittlerweile sind sich alle einig: Die Klimakrise ist real, und wir haben nur noch ein ganz kurzes Zeitfenster, um katastrophale Folgen für den Menschen und alle möglichen Ökosysteme abzuwenden. Das bestätigen längst nicht mehr nur ein paar Ökos, die übertreiben - das zeigen auch Risiko-Analysen von Staaten und große Player wie die Internationale Energieagentur, die historisch sicher keine berühmte Klimaschutz-Institution war. Und mehr und mehr Menschen merken durch die Tropennächte, Rekordfluten und Bilder des brennenden Ozeans, dass es dringend ist - und zwar so dringend, dass man auch entsprechend wählen muss.
Die große Frage ist, ob die Konservativen europa- und weltweit es schaffen werden, rechtzeitig zu reagieren. Oder ob sie das Thema verschlafen und progressive Mehrheiten ermöglichen werden. Mein Instinkt sagt mir, dass der Wille zur Macht groß genug sein müsste, um einen absoluten No-Brainer wie Klimaschutz schnellstmöglich in alle Parteiprogramme zu überführen - aber die Realität und die jüngsten Äußerungen des Bundeskanzlers machen mich da eher skeptisch.2
Konservative gewinnen Wahlen - außer in den Staaten, wo es sie nicht mehr gibt. In Italien zum Beispiel, wo die Christdemokrat:innen in einem Mafia-Skandal im letzten Jahrhundert de facto verschwunden ist. Dieses Vakuum haben mehrere Parteien geführt, die man als rechts der FPÖ bezeichnen kann. Historisch zeigt sich immer wieder, dass konservative Parteien die viel zitierte „Mitte“ bilden, die für den gesamten politischen Prozess enorm wichtig ist und eine Art stabilisierende Funktion innehaben. Daher hoffe ich eigentlich darauf, dass auch in der ÖVP Vernunft einkehrt und der Beißreflex gegen Klimaschutz - das wichtigste Anliegen unserer Zeit - zumindest durch echte Gesprächsbereitschaft abseits von Populismus ersetzt werden kann.
Eine anständige Mitte-Partei, die berechtigte wirtschaftliche Interessen mit Klimaschutz abwägt, ist in unserer Zeit eigentlich ein No-Brainer. Aber diese Abwägung kann nicht bedeuten, sofort zu allem Nein zu sagen, weil jemand etwas mehr zahlen könnte. Dass wir die Welt nicht ändern, ohne Verbrennungsmotoren so schnell wie möglich zu ersetzen, ist unbestritten - und ja, das heißt natürlich auch einen massiven Öffi-Ausbau und der Aufbau der Elektro-Infrastruktur, weil die Menschen nach wie vor von A nach B kommen müssen. Sämtliche Expert:innen zum Thema sind sich einig, dass es 1) an der Zeit und 2) möglich ist - warum also wehrt sich gerade die Partei, die den absoluten Anspruch verfolgen sollte, die gesellschaftliche Mitte zu vertreten?
Wollen wir eine konservative Partei an der Macht, die Klimaschutz - das wichtigste Anliegen unserer Zeit - mit „Zurück in die Steinzeit“ gleichsetzt? Eine Äußerung, so intelligent wie der Vergleich der lästigen Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft mit pädophilen Priestern. Oder wollen wir nicht lieber Parteien eine Chance geben, die Klimaschutz ernst nehmen, während die ÖVP in der Opposition darüber nachdenken kann, was sie falsch gemacht hat? Im Sinne des Klimas und im Sinne einer langfristig vernünftigen Volkspartei: Ich kenne meine Antwort.
Yes, I know, eine sehr privilegierte Meinung. Aber think about it - Steuererhöhungen, die jetzt weh tun, können gut investiert sein, wenn wir dadurch den Pariser Zielen näher kommen. (Dass Österreich das nicht alleine lösen kann, sehe ich ein.)
Und ja, natürlich gibt es auch “Klimaschutz-Konzepte” aus der ÖVP und ÖVP-nahen Bereichen. Die beschränken sich in der Regel auf Buzzwords wie “Chancen schaffen”, “Innovation fördern”, “Zukunft anpacken” etc. Konkrete Maßnahmen vermisse ich.