In den letzten Tagen hatte ich öfters ein mulmiges, ein dystopisches Gefühl. Teilweise fühlt sich Österreich an, als wäre man Beobachter in einer zeitgeschichtlichen Erzählung darüber, wie ein Land sehenden Auges ins Autoritäre rast – aber noch will es keiner wahr haben.
Am Donnerstagabend war ich bei der Verleihung des „Goldenen Brett vorm Kopf“. Das ist ein satirischer Negativpreis für den „größten unwissenschaftlichen Unsinn“. In den letzten Jahren war ich öfter dort und hatte immer eine gute Zeit: Mit einer Laudatio werden dann Menschen „geehrt“, die im Reich der Verschwörungstheorien oder Alternativmedizin angesiedelt sind. Es ist nicht nur ein Wissenschafts-, sondern ein Comedy-Event.
Dieses Jahr aber wurde die Veranstaltung gestört. Eine Gruppe von Verschwörungstheoretikern, ich schätze es werden um die 40 gewesen sein, haben aktiv Stimmung gemacht und immer wieder dazwischengerufen, während jemand auf der Bühne geredet hat. Direkt hinter mir waren ein paar besonders unangenehme Gestalten – einer sah aus wie ein 100-jähriger, den man für die letzte Ehre in seinen mittlerweile viel zu großen Anzug gesteckt hat –, die am Anfang am lautesten waren.
„Es wurde eine Impfpflicht eingeführt!“
Das rief der Nosferatu-Verschnitt, als es um eine Verschwörungstheorie ging, dass die bösartigen Eliten dem eigenen Volk bewusst Schaden zufügen wollten. Spätestens da hatte ich die Lust an dem Abend verloren. Die Pandemie ist jetzt seit über einem Jahr wirklich auf dem Niveau einer normalen Grippe, wie ihr es immer wolltet – und ihr hängt wirklich noch immer an dieser Geschichte?
Offensichtlich Ja. Denn die Leute, die bei der Ankündigung der Ferdinand-Wegscheider-Laudatio „Unser Held! Unser Held!“ riefen, waren nicht nur laut, sondern auch aggressiv. Das zeigt auch ein Video von Martin Moder, der einen ganz argen Spezialisten gefilmt hat. Die Frustration, die Wut, die Verbitterung war extrem spürbar und drückte die Stimmung. Bei meinem zweiten Umdrehen der Leichenmann dann so aggressiv, dass ich mich nicht traute, es ein drittes Mal zu versuchen. Irgendwann bin ich dann frühzeitig gegangen.
Mir kommt vor, es dreht sich gerade etwas.
Denn eigentlich kenne ich sowas nur von den größten Fringe-Gruppen überhaupt auf Telegram. Ich folge ja seit einiger Zeit Martin Rutter, einer Art Chefideologe der Querdenker-Bewegung. Auf seinem Kanal postet er 10-30x am Tag irgendwelche Updates, noch nie hat irgendeines auch nur ansatzweise gestimmt. Und wenn es gerade nichts Aktuelles gibt, dann eben sowas:
Eine ähnliche Rhetorik war auch von den Sitzen hinter mir zu hören. Da wird über den „Mainstream“ und alle anderen geschimpft - alles Lügner, nur die Rechten mit ihren „alternativen“ Medien haben recht.
Jetzt wäre das an und für sich eine Meinung, die man in einer Demokratie schon vertreten kann. Ich behaupte ja auch, dass die rechten Medien alle lügen. Damit habe ich zwar zufällig recht, weil man ihre Meldungen ja prüfen kann und mittlerweile relativ gut belegt ist, dass dafür auch Geld fließt. Man muss sich nur anschauen, wie viele Inserate die FPÖ in diesen Medien schaltet. Oder nachfragen, wo eigentlich der ein oder andere Oligarch in Wien wohnt, und welche Projekte der Inhaber dieser Villa so finanziert.
Aber diese Leute bleiben nicht im demokratischen Grundkonsens, dass man die Gegenmeinung vertreten darf. Wenn eine Veranstaltung mit Humor damit umgeht, dass es Pseudowissenschaft gibt und dass das der Gesellschaft schadet, wird sie gestört. Wenn Journalisten kritisch berichten, werden sie als Lügner und Volksverräter bezeichnet. Das alles nimmt bedenkliche Züge an – und faschistische Rhetorik, wie der Screenshot oben zeigt.
Und das bleibt kein Nischenphänomen.
Wenn das alles nur ein Problem einer kleinen, aber aggressiven Bullshit-Bubble wäre, okay. Aber de facto hat sie einen verlängerten Flügel ins Parlament: Die FPÖ kokettiert immer aggressiver mit den wüstesten Verschwörungstheorien, zitiert in parlamentarischen Anfragen ihre eigenen Quellen – also Rechtsaußen-Medien, die Desinformation verbreiten – und verleiht diesen Ansichten dadurch eine Art von Legitimität. Immerhin
Ganz neu ist das nicht. Immerhin hat Norbert Hofer schon im Jahr 2007 im Parlament nachgefragt, ob in Österreich Chemtrails eingesetzt werden. Ihr wisst schon, diese Kondensstreifen am Himmel, die nicht einfach Flugzeug-Abgase sind, sondern eine geheime Verschwörung der Weltregierung, die alle zusammenhalten, um die Menschen zu vergiften, weil Bevölkerungskontrolle, Bill Gates und Echsenmenschen. Die Verschwörung.
Es ist also nicht nur so, dass viele Menschen an Verschwörungstheorien glauben und sie aktiv weiterverbreiten und dass ihr die FPÖ dabei hilft. Der Glaube daran führt auch mehr und mehr zu einer irrationalen Wut.
Irrational nicht, weil man nicht wütend auf die Politik sein darf – in einer Mischung aus Krieg in Europa, hoher Inflation und den Folgen des Klimawandels darf man da schon mal ang’fressen sein, wenn man den Eindruck hat, die tun alle nichts dagegen. Die Wut ist deswegen irrational, weil sie sich auf Dinge bezieht, die nicht stattfinden. Immerhin glauben die Kickl-Anhänger daran …
dass das World Economic Forum (eine private Initiative ohne jegliche Gesetzgebungsmacht) im Hintergrund die Fäden der Weltpolitik zieht und die Bundesregierung ihren Vorgaben folgt
dass die WHO bereits die nächste angebliche Fake-Pandemie mit Lockdowns vorbereitet, und dass ein „Pandemievertrag“ unsere Grundrechte für immer abschaffen wird
dass der Gedanke der „15-Minuten-Stadt“, bei dem es darum geht, wichtige Infrastruktur überall in der Nähe zu haben, ein verdeckter Plan für den Überwachungsstaat ist
dass die Corona-Impfung nicht wirkt – immerhin gebe es das Virus gar nicht –, sondern der Plan einer geheimen Weltverschwörung ist, um die Bevölkerung zu vergiften
dass die Berichterstattung des ORF von ÖVP und SPÖ kontrolliert wird und nicht objektiv ist – rechte Parteimedien wie FPÖ TV dagegen sehr!
Und was passiert, wenn die Menschen sowas glauben? Sie lassen sich nicht impfen, raten andere von der Impfung ab, stecken andere an – und führen damit mitten in der tödlichsten Welle der Pandemie zu vermeidbaren Todesfällen. Das mag jetzt alles zwar beruhigt sein, weil die Krankenhäuser nicht mehr vor dem Kollaps stehen und die aktuelle Variante wesentlich milder ist. Aber es zeigt sich auch anderswo.
Etwa, wenn aus Wut und Hass gegen den ORF der Satiriker Peter Klien angegriffen wird, wie kürzlich bei einer FPÖ-Parteiveranstaltung aufgenommen wurde:
Und genau deswegen habe ich so ein mulmiges Gefühl.
Denn das, was wir eigentlich aus autoritären Staaten kennen – diese völlige Auflösung der Wahrheit, das Infragestellen selbstverständlicher Fakten, der bedingungslose Angriff auf jede Institution einer liberalen Demokratie – wird immer öfter auch in Österreich sichtbar. Und es wird sogar gebilligt. FALTER-Chefredakteur Florian Klenk schreibt dazu:
Die Attacke auf Klien markiert nun allerdings einen Tabubruch. Denn aus den Worten des Möchtegern-Kanzlers wurden Taten. Schon zu Jörg Haiders Zeiten verachtete die FPÖ die "Systemmedien" und die "Lügenpresse". Sie wollte in den Redaktionsstuben "für Ordnung sorgen". Die Partei errichtete auf Facebook, Youtube und Telegram zudem eigene Kanäle, mit der sie Hunderttausende Fans mit Lügen bespielte und gegen Journalisten hetzte. Die Boulevardmedien reproduzieren den Dreck nur allzu gerne, weil er gut klickt und sich kapitalisieren lässt. Der ORF hingegen ist das einzige reichweitenstarke Bollwerk dagegen.
Die extreme Rechte greift den öffentlich-rechtlichen Rundfund genau deshalb als Staatsfunk an. Doch in Wirklichkeit sind es die Neofaschisten, die einen Staatsfunk errichten wollen. Sie verachten kritischen Journalismus, beißende Satire, offenen Widerspruch, unabhängige Reporter. Sie wollen stattdessen treue Gesinnungsfreunde, die als Mikrofonständer dienen. Das empfinden Leute wie Kickl als "objektiv".
Und ja, es gab betroffene Tweets, Postings und alles. Aber dass da nicht ein Aufschrei durchs Land geht, wenn ein Journalist – noch dazu ein Satiriker! – angegriffen wird, ist für mich wirklich erschreckt. Das „Satiriker“ betone ich deshalb, weil gerade Humor ein Grundpfeiler des öffentlichen Diskurses ist. Man mag ja nicht damit einverstanden sein, was ein Journalist ernsthaft schreibt, ich verstehe das (auch, wenn es keinen Angriff rechtfertigt). Aber dass man nicht mehr lachen darf? Das kennen wir ausschließlich aus autoritären Staaten.
Das ist das System, das die FPÖ will und dass ihre Fans billigen. In Facebook-Kommentaren schreiben sie mit ihrem echten Namen, dass Peter Klien es verdient habe. Sie sind die, die nicht wegschauen oder belächeln, wenn mal wieder eine demokratische Grundsäule niedergerissen wird – sondern die jubeln, weil es endlich wieder in Richtung Faschismus geht. Und die alles tun, um den Teil des öffentlichen Diskurses auszuschalten, den sie selbst nicht mögen. So wie die Spinner, die beim Goldenen Brett gestört haben.
Ich glaube, wir haben nicht auf dem Schirm, wie viele Menschen wir bereits an diese alternative Realität verloren haben. Und ich habe keinen guten Ansatz, wie wir sie wieder zurück in die Demokratie holen können. Die akzeptieren keinerlei Alternative, keinerlei Diskurs, keinerlei Gegenmeinung mehr. Sondern warten nur noch auf den „Volkskanzler“ Herbert Kickl. Denn dann ist endlich Schluss mit dem ganzen Journalismus, der ganzen Vielfalt und dem ganzen Widerspruch.
Dann sind wir wieder in einem autoritär regierten Staat. Und ab dann rutscht der Rest der Demokratie sehr schnell weg.
Noch mehr Lesestoff
🔍 Die ÖVP plant einen U-Ausschuss gegen ihren eigenen Koalitionspartner. Warum das hauptsächlich ihre Nervosität zeigt, hab ich für materie.at aufgeschrieben. Ich bin nicht mal prinzipiell dagegen, dass man auch bei SPÖ und FPÖ nachschauen darf – da passiert genug Medienkorruption, da bin ich mir sicher. (Bei den Grünen bin ich mir weniger sicher, aber soll man ruhig auch nachschauen.) Aber es ist trotzdem ein schweres Foul. Nicht zufällig gab es sehr kurz nach dem versehentlichen Leak durch NEOS ein Informationsfreiheitsgesetz. 😉
Stuff aus dem Internet
Lustiges Zitat des Kollegen Loacker.
Jeder Kassenarztbesuch, der ein bissl länger dauert.
Ein gutes TikTok zu „Burgergate“.
TikTok oder Twitter, ich kann beides nicht mehr gut auf Substack einblenden. Einfach draufklicken.
Hallo Herr Schett, haben Sie vielleicht Lust auf ein Gespräch im Rahmen eines Podcasts? Ich betreibe seit einiger Zeit einen Podcast. Am Anfang handelte ich hauptsächlich die Klassiker der Weltliteratur ab.
Da ich der einzige Akademiker in meiner Familie bin, und sozusagen zwischen den Welten wandle, habe ich mir gedacht, ich versuche den Leuten zu Hause (Bauern, Elektriker, Installateure, Friseure etc.) zu erklären, in welcher Welt die "gebildete Klasse" lebt und wie sie denkt und warum sie zu den schlüssen kommt, zu denen sie kommt.
Es durchzieht eigentlich alle Lebensbereiche. Ein Beispiel: Da wo ich herkomme, verunglückt im Schnitt alle 2 Jahre ein junger Mann (sagen wir unter 50) bei der Arbeit und zwei bis drei Mal im Jahr gibt es schwere Verletzungen. Mein Onkel hatte einen Schlaganfall als er gerade das Dach reparierte und stürzte zu Tode, ein Schulfreund schneidet sich die Finger ab (Tischler), im Sommer kam ein 25 Jähriger im Nachbardorf um, nein Vater zertrümmerte sich den Knöchel, weil der Traktor umkippte (ist mir auch schon passiert, ich hatte aber Glück und mir ist nichts passiert), Elektriker kommen in den Stromkreis, Bauern werden von Stieren niedergetrampelt etc.
Alles das gehört eben dazu, wenn man "Arbeiter" ist. Wer zum Beispiel, wie ich auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, wird mit der Prämisse dass 38 Grad Fieber kein Grund sind nicht zu arbeiten, injiziert.
Anderes Beispiel: Ich hatte in der Schule öfter gebrochene Finger oder Zehen (zum Teil vom Sport, zum Teil weil ich bei der Arbeit verletzt wurde). Meine Eltern sagten mir, dass ein gebrochener Finger oder eine gebrochene Zehe kein Grund sind zum Arzt zu gehen.
Das alles ist recht logisch. Wer auf ein Leben als Landwirt vorbereitet wird, muss lernen, dass man wegen ein bißchen Fieber die Kühe trotzdem nicht verhungern lassen kann und dass wegen eines gebrochenen Fingers, die Ernte nicht liegen gelassen werden darf.
Ich versuche also den Leuten zu Hause zu erklären, wie die "gebildete Klasse" tickt, dass es Leute sind die nie in ihrem Sinne gearbeitet haben und es auch nie werden, dass die "gebildete Klasse" von Ideologien wie "gendern" überzeugt ist, weil es in der Welt der "gebildeten Klasse" wurst ist, ob ein Mann oder eine Frau vor einem Computerbildschrim sitzt, und ihnen die Offenheit fehlt, um zu erkennen, dass es für andere einen massiven Unterschied macht, ob ein 100kilo schwerer Mann versucht einen Holzstamm aus einem Bach zu ziehen oder eine 50kilo schwere Frau, dass sie auf Basis dessen, dass sie sich für gebildet halten, alle anderen Lebensweisen für dumm und minderwertig halten, dass sie sich vor Dingen wie Corona fürchten, weil es in ihren Leben keine echten Gefahren gibt und dass, sie sich eben nicht vorstellen können, dass andere Leute, andere Schichten, andere Millieus zwangsläufig andere Werte entwickeln, als die Ihren.
Aber zurück zu meiner Anfrage: Was ich will ist, ein Gespräch darüber führen, was heute eigentlich links und rechts sein soll. Wieso zum Beispiel alles was mit Begrenzung von Zuwanderung zu tun hat "rechts" sein soll, obwohl Marx als Kernproblem erkannt hat, dass die herrschende Klasse, die Arbeiterklasse nur deshalb unterdrücken kann, weil sie immer für ein Überangebot an Arbeitern sorgt (wenn sie wollen schaue ich ihnen die Seiten im Kapital nach, wo sie das finden.)
Warum "links" sein heute bedeutet, strikte Sprachverbote etc. einzuhalten, während es in meiner Jugend "links" war sich über alles und jedes lustig zu machen (deutlich vor allem an der Musik von Gruppen wie den Ärzten "Männer sind Schweine", "Manchmal haben Frauen ein bißchen Haue gern", Lieder über alles was verboten war) und die bösen rechten setzten alles das auf den Index. Warum ist das heute umgekehrt. Warum sind es fast ausnahmslos reiche Oberschichtler die "links" sind, während die Arbeiterklasse angeblich "rechts" ist.
Mir ist klar, dass diese Diskussion so gut wie alle heißen Eisen beinhaltet, die es gibt aber ich suche trotzdem jemanden mit dem man drüber reden kann. Sind Sie dafür offen genug?