Seit ich wieder im Semi-Journalismus bin - es wäre irgendwie komisch, mich als Chefredakteur eines Parteimediums als Journalist zu bezeichnen -, werde ich immer mal wieder gefragt, wie ich eigentlich an Themen und Recherchen herangehe. Und wenn ich ehrlich bin, tu ich mir verdammt schwer, diese Frage zu beantworten.
Ich gehe da nämlich gar nicht systematisch ran. Es ist mehr so ein Gefühl. Und in letzter Zeit habe ich wieder so ein Gefühl, dass etwas ein Thema ist, an dem ich dran bleiben sollte, ohne dass ich genau festmachen könnte, was jetzt der konkrete Auslöser ist, was die konkrete Forderung dahinter sein müsste.
Momentan beschäftigt mich jedenfalls die Frage, was das zweitwichtigste Thema unserer Zeit ist.
Das zweitwichtigste, weil das wichtigste für mich geklärt ist, nämlich die Klimakrise. Denn wenn wir unsere Klimaziele nicht erreichen, ist von 2-6 Grad Erwärmung alles drin.
Im Best-Case-Szenario bedeutet das eine Welt, in der man nicht mehr leben will und in vielen Orten auch nicht mehr kann, und im Worst Case, dass wir aussterben. Uns könnte völlig wurscht sein, ob es eine Pflegereform gibt, wie viel Politiker:innen verdienen und ob sich junge Menschen noch Eigentum leisten können - ohne einen lebenswerten Planeten können wir uns all diese Themen abschminken, sie haben keinerlei Relevanz mehr.
Und danach kommt lange erstmal nichts. Aber dann?
Danach kommt für mich instinktiv ein Meta-Thema. Und ich weiß, dass Meta-Themen mega unspannend sind, das ist “Politik-Politik”, das interessiert die Leute da draußen nicht, niemand geht wegen Meta-Themen wie Transparenz, Demokratiequalität und Medienvertrauen wählen. Aber doch lässt mich der Eindruck nicht in Ruhe, dass wir da etwas verschlafen.
Hier ein Beispiel, das mir mal wieder ein Funny Feeling gegeben hat, kommt aus dieser Grafik: Die Bundesregierung, das Parlament und sogar das Gesundheitswesen haben im Verlauf der Pandemie enorm an Vertrauen verloren.
Mein Meta-Thema, mit dem ich die Frage nach der zweitwichtigsten Frage unserer Zeit beantworten würde, ist Institutionenvertrauen.
Wenn man sich diverse Statistiken dazu ansieht, wie sehr die Menschen ihren Institutionen vertrauen, dann merkt man mehrere Dinge:
Nur wenige Institutionen schaffen es, ihr Vertrauen zu erhalten.
Das Vertrauen in viele Institutionen sinkt.
Es scheint einen Zusammenhang mit Krisen zu geben.
Wenn man sich Daten des Austrian Corona Panel Projects ansieht, merkt man z. B., dass alleine der erste Lockdown, der “Wohlfühl-Lockdown”, das Vertrauen in das Parlament in allen Demographien gesenkt hat.
Ein ähnliches Bild zeichnet der österreichische Demokratie-Monitor: Wenn sich deine Situation während der Pandemie verschlechtert hat, bist du statistisch eher weniger überzeugt von der Demokratie. (Spannend ist, dass der letzte Demokratie-Monitor 2020 veröffentlicht wurde. Wie hat sich das seitdem entwickelt?)
Unsere Unzufriedenheit mit der Demokratie könnte eine tickende Zeitbombe werden.
Ich glaube, dass es für die Demokratie wesentlich ist, dass sich die Bürger:innen wesentlich mit ihr identifizieren können. Das heißt, dass man zumindest ein Grundverständnis vom politischen System hat, versteht, wie Gesetze gemacht werden und vielleicht sogar Verständnis dafür hat, warum das so ist.
Ich meine damit übrigens nicht, dass man mit allem einverstanden sein muss. Aber es ist ein Unterschied, ob ich in diesem Newsletter inhaltlich die Regierung kritisiere, oder ob ich einem großen Teil der Spitzenpolitik unterstelle, es handle sich um bösartige Menschen.
Alleine diese Grafik sollte schockierend sein - nur noch fünf Politiker:innen in Österreich genießen netto Vertrauen.
Mein Gefühl ist, dass da in den letzten Jahren etwas zerbrochen ist. Viele in der Gesellschaft fühlen sich von niemandem abgeholt, werden weiterhin nicht wählen gehen und vertrauen weder ihren Politiker:innen noch anderen Institutionen. Das alles ist im Einzelfall zwar traurig, aber relativ unbedenklich. Aber wenn zu viele Menschen sich so fühlen, hat das politische System an sich ein Problem.
Das gilt nicht einmal nur für die Politik, sondern für all unsere Institutionen. Und auch, wenn nicht alle Institutionen in der Statistik verlieren, glaube ich, dass wir diese Erosion des Vertrauens nicht ignorieren sollten.
Was sollten wir also tun?
Es ist wie immer mit komplexen Meta-Problemen: Ich weiß es nicht, aber ich fühle mich schon relativ gut damit, dass ich das Thema überhaupt am Schirm habe.
Ich glaube aber, dass die Lösung irgendwas damit zu tun hat, als Staatsbürger:in etwas zu tun und die Demokratie zu verteidigen. Ob das am klassischen Wirtshaus-Stammtisch ist, in den Social-Media-Kommentarspalten, in der politischen Arena, am Arbeitsplatz, wo auch immer. Zwischendurch muss man einfach wieder ordentlich miteinander über Inhalte streiten. Darüber, wie das Land aussehen sollte und darüber, wie man das in unserem politischen System hinbekommt.
Mir als Politschädel ist das nie wirklich schwer gefallen. Aber es gibt genug Leute, die ein so pessimistisches Weltbild haben, dass sie nur schwer für diesen demokratischen Prozess zu erreichen sind. Vielleicht sollten wir gerade mit ihnen wieder ein bisschen mehr streiten und nicht nur die Diskussion scheuen, weil es mühsam ist. Aber schon beim Schreiben dieses Satzes merke ich: Nach zwei Jahren Corona-Kulturkampf ist das wirklich viel verlangt.
Insofern verbleibe ich wieder mal ohne Lösung und Anleitung und möchte nur darauf hinweisen: Wenn wir kein grundlegendes Vertrauen mehr in unser politisches System und in unsere Institutionen haben, dann können wir uns alle anderen drittwichtigsten Themen in die Haare schmieren.
Noch mehr Lesestoff
🏛 Apropos Sorge um die Demokratie. Wir haben eh alle im Schirm, dass sich die Republikaner gerade bei Viktor Orbán Tipps holen? Okay, gut.
⛽️ Wir bleiben in Ungarn. Die haben eine Preisobergrenze ausprobiert, die bei uns z. B. von der SPÖ gefordert wird. Es hat ungefähr so gut funktioniert, wie man sich denken konnte.
💡 Wir müssen darüber reden, wie gut AI wird. Das ist zumindest die These der New York Times. Ich probiere auch viel mit AI-Tools rum und will euch nicht vorenthalten, wie cool mein neues Logo für meinen Gamer-Namen “Copykitten” ist - erstellt mit DALL-E.