Die Reiter der Anti-Welle
Vier neue Parteien stehen auf dem Stimmzettel. Hat irgendeine davon Substanz?
Wenn wir am 29. September 2024 wählen gehen, werden wir auf dem Stimmzettel neun Listen sehen. Neun Parteien, die mit neun Visionen antreten – zumindest theoretisch.
Denn de facto sind nicht alle Parteien gleich viel „Partei“. Die KPÖ, die Österreich mitbegründet hat, ist ganz anders zu beurteilen als die Bierpartei oder die Liste Madeleine Petrovic, die beide neu auf dem Stimmzettel stehen. Und wie vor jeder Wahl geht es auch vor dieser für viele um Grundsatzfragen: Taktisch wählen, um das Schlimmste zu verhindern? Oder das wählen, was mir am besten zusagt, und eine verlorene Stimme riskieren?
Heute werfen wir also einen Blick auf die vier neuen Listen, die zusätzlich zu den bestehenden fünf Parlamentsparteien in den Nationalrat einziehen könnten.
Linke Programmatik und pseudolinker Hype
Fangen wir an mit der KPÖ. Ich bin alles andere als ein Fan von linker oder extremer Politik, und die Kombination ist für mich natürlich besonders schlimm. Ich bin gegen Kollektivismus, Verstaatlichungen und die generelle Idee, dass der Staat für uns alles zu lösen hat, und wer so tut, als könnte man ohne Konsequenzen immer mehr Geld drucken, hat für mich schon verloren. Ganz abgesehen davon, was für eine grausame Geschichte hinter dem „K“ der KPÖ steht.
Aber ja, Stalinisten sind sie wohl nicht, zumindest die bekannteren Namen der KPÖ. Sie hat, und das ist bei Kleinparteien nicht immer selbstverständlich, programmatische Punkte, und mit dem Wohnthema zumindest eines gefunden, bei dem ihr Glaubwürdigkeit zugesprochen wird und das in der Realität existiert. Keine hohen Standards, I know. Darum muss man sagen, dass die KPÖ wahrscheinlich die realistischsten Chancen hat, in den Nationalrat einzuziehen – und das nicht ganz zu unrecht.
Denn auch, wenn ich verurteilen mag, was sie sagen (Stichwort Russland), so finde ich doch, dass im politischen Spektrum Platz für ein linkes Gegenstück zum Extrem der FPÖ ist. Konkurrenz von links könnte auch der SPÖ dabei helfen, sich besser in der Mitte zu verorten. Und dass linke Wähler immer nur deprimiert zur Wahl gehen dürfen, halte ich auch für keinen erstrebenswerten Dauerzustand.
Die Bierpartei ist aus dem Hype des Präsidentschaftskandidaten Dominik Wlazny entstanden. Es wäre mittlerweile ein bisschen unfair, zu behaupten, dass sie kein Programm hat, aber eben auch nur ein bisschen – denn die Punkte, die von der Bierpartei vorgeschlagen werden, zeugen vor allem von der Unkenntnis des politischen Systems Österreichs:
Für Politiker soll es einen „Eignungstest“ geben, der quasi objektive Kriterien dafür festlegt, was ein „guter“ Politiker können und wissen muss. Viel Spaß beim Ausformulieren dieser Standards in einem System, das auf Meinungspluralismus und Diversität in den Anforderungen ausgelegt ist.
Ministerien sollen nicht mehr von demokratisch legitimierten Volksvertretern, sondern von Experten á la McKinsey bestimmt werden, damit die „richtigen“ Leute in die Politik kommen. Meine Frage wäre nur: Warum sollen wir dann eigentlich noch zur Wahl gehen?
Eine Plakat-Obergrenze von 2.093 pro Wahlkampf muss ausreichen, sagt die Bierpartei, immerhin gebe es so viele Gemeinden. Für die Stadt Wien mit zwei Millionen Einwohnern gäbe es dann ein Plakat – viel Spaß beim Aussuchen des richtigen Standorts.
Und der „beste“ Vorschlag: Durch einen „Superwahltag“ sollen Nationalrat, Landtage usw. alle gleichzeitig gewählt werden. Das ist, freundlich ausgedrückt, einer der schlechtesten politischen Vorschläge, die ich jemals gehört habe. Nicht nur, dass man damit das taktische Wählen komplett zur Norm machen würde – „Die SPÖ führt in Wien und in Kärnten, also muss ich fast sie wählen, weil meine Leute ja nie eine Mehrheit haben“ –, es hätte auch ganz einfach keinen Vorteil. Dafür aber endgültige Verwirrung, was auf welcher Ebene belohnt oder bestraft wird, wer welche Aufgaben hat. Und dann fünf Jahre „Supermehrheiten“, die man auf keiner einzigen Ebene korrigieren kann. Die Idee klingt, als hätte sie ein Kindergartenkind erfunden.
Ihr merkt anhand meines Urteils zur KPÖ, dass das Ziel dieses Newsletters nicht ist, andere Parteien prinzipiell zu shit-talken. Ich bin sogar generell dafür, dass wir mehr Vielfalt im Parlament haben, um neue und sogar thematisch flexible Mehrheiten zu ermöglichen. Aber ich glaube nach wie vor, dass die Bierpartei nur ein guter Schmäh ist, um mehr Bier zu verkaufen. Auch, wenn Wlazny selbst das mittlerweile vielleicht vergessen hat. Die Halbwertszeit des Team Stronach wäre ein Positivszenario, und ich glaube, so lost war eine Stimme noch nie.
Grüne Impfgegnerin und linke Schmähpartie
Dann gibt’s noch die Liste Madeleine Petrovic. Und ich glaube, das ist auch schon alles, was man wissen muss. Die Halbwertszeit von Namenslisten ist bekannt – ob wir beim Team Stronach, bei der Liste Pilz oder bei der LSKDNVP (Liste Sebastian Kurz Die Neue Volkspartei): Wer von einem Namen abhängt, wird sofort untergehen, wenn der Name nicht mehr zieht.
Mal abgesehen davon ist Petrovic weder charismatisch noch besonders spannend – sie ist einfach eine grüne Impfgegnerin. Was völlig okay ist, weil mir absolut recht sein soll, wenn Stimmen von der FPÖ zu anderen Impfgegnern wandern: Das ist die wesentlich schadlosere Variante, die eigenen Rachegelüste bei der Wahl zu äußern. Und sie ermöglicht auch den Grünen, sich endlich von den eigenen Schwurblern zu distanzieren. Das gilt übrigens nicht nur für die Bill-Gates-will-uns-chippen-Fraktion, sondern auch für die Globuli-auf-Krankenkasse-Fraktion.
Und dann gibt’s da noch den Wandel, aka Keine von denen. Ein simpler Namenstrick, von Peter Filzmaier geklaut. Wer den Wandel nicht kennt: Erstens, gratuliere zu eurem stabilen Medienkonsum, ihr habt bis jetzt nichts verpasst. Und zweitens: Er ist eine seit Jahren bestehende Kleinpartei, die man irgendwo zwischen KPÖ und Yanis Varoufakis einordnen kann. Für mich ein Nischenprogramm, das es in Österreich auch ohne Konkurrenz durch die KPÖ schon schwer hat. Ihre wirklich einzige Hoffnung ist, dass die Leute nicht checken, was hinter dem Namen steckt.
So sehr ich auch meine, dass es eine Existenzberechtigung für weitere Parteien mit Inhalt im Parlament gibt – und die gestehe ich wie der KPÖ auch dem Wandel zu –, so bin ich doch der Meinung, dass dieser Wahlkampf-Schmäh der Demokratie keinen Dienst erweist. Wenn man auf die Plakate sinngemäß schreibt, dass keine Partei die Interessen der Menschen vertritt und dass keine Partei nicht korrupt sei, fühle ich mich nicht nur als Mitglied einer Transparenz-Partei verarscht. Ich frage mich auch, ob diese Leute überhaupt checken, welche Vorurteile sie damit befeuern.
Ich traue mich jedenfalls zu wetten: Der Wandel kommt nicht rein, der Witz geht nicht auf, aber der rhetorische Schaden ist etwas größer geworden. Und ich hoffe, dass es in dieser Fraktion Stimmen gibt, die ansprechen, dass man da alle in den gleichen Sumpf zieht, ohne selbst auch nur irgendwas besser gemacht zu haben.
Für mich gibt es eben zwei Arten von neuen Parteien. Die einen, die alles haben, was ein Parlamentsklub braucht: Inhalte, Werte und Visionen. Von den Parteien, die dieses Jahr neu dazukommen, kann man das maximal der KPÖ zusprechen, und die finde ich aus inhaltlichen Gründen schwierig.
Die anderen aber sind im Wesentlichen ein Vehikel, um die Ablehnung gegen „die Politik“ geltend zu machen.
Die Bierpartei erzählt die Geschichte, dass etwas „etwas Neues“ braucht und deutet ihren Namen BIER zu „Bin in einer Reformbewegung“ um – um dann 10 naive Forderungen zu stellen. Die ganze Kampagne zielt darauf ab, dass man irgendeinen neuen Input im politischen System braucht. Dass das ganze „Bierpartei“ heißt, wird wahrscheinlich zu wenigen als offensichtliche Red Flag auffallen.
Madeleine Petrovic spricht ähnlich wie Herbert Kickl gerne von einem „System“ und fokussiert sich auf Twitter vor allem auf Themen wie die RKI-Protokolle. Pandemie-Aufarbeitung schön und gut, wir wissen mittlerweile alle, dass da Fehler gemacht wurden (auch von mir übrigens), aber: Für eine grüne Impfgegner-Liste gibt es nach der einen „Corona-Rachewahl“, die wir jetzt im September haben, keine Existenzberechtigung mehr.
Und der Wandel, aka „Keine von denen“, spricht einfach prinzipiell allen Parteien ab, irgendeine gute Absicht zu haben. Sie deutet alle zu einer Einheitsfront um – wieder ein schönes Kickl-Narrativ –, die komplett unwählbar sind, und deshalb muss man im Ausschlussprinzip zu einer jahrelang irrelevanten, linken Kleinpartei gehen, die sich hinter dem Anti-Politik-Sentiment versteckt.
Diese Kandidaturen sind nicht hilfreich. Ja, sie bringen vielleicht die ein oder andere Person zur Wahl, die sonst nicht gewählt hätte – aber sie profitieren davon, dass dem politischen System keine Lösungskompetenz mehr zugetraut wird. Wenn alle nur noch damit antreten, dass alles furchtbar ist und man in Österreich nichts bewegen kann, steigt im Endeffekt nur der Zynismus. Und ob das wirklich im Sinne der Demokratie ist, bezweifle ich stark.
Insgesamt bin also ich zwiegespalten über die hohe Zahl der Parteien am Stimmzettel. Einerseits würde ich mir mehr Pluralismus wünschen, andererseits muss er aber Inhalte haben. Und die attestiere ich nur der KPÖ und zu einem sehr begrenzten Ausmaß dem Wandel, dem ich aber alleine für das „hihi alle korrupt“ Sentiment minus eine Stimme gönne.
Aber wenn man schon über mehr Vielfalt im Parlament reden will, sag ich vielleicht auch dazu, wo ich das echte Potenzial sehen würde:
Eine Partei links der SPÖ, die keine Single-Issue-Partei wie die Grünen ist, halte ich für demokratiepolitisch sinnvoll. Damit wäre die Sozialdemokratie klar als Mitte-Links-Partei positioniert, die sich schwer tun würde, in marxistische Experimente abzugleiten, weil diese Stelle im politischen System schon besetzt ist. Das würde nicht nur der Qualität der Debatte gut tun, sondern auch der Klarheit für Wähler links der Mitte.
Und dann gibt’s da noch die ÖVP, die durch ihre Bünde eigentlich nur noch aus sechs Parteien in einem Trenchcoat besteht. Okay, den wirtschaftsliberalen Flügel braucht man nicht neu gründen, der kann einfach zu NEOS wechseln und sich anschauen, wie das wirklich geht – aber christliche Soziallehre, reaktionärer Konservatismus und die Klientelpartei für Bauern müssen nicht per Naturgesetz eine Partei sein. Dass diese Fraktionen zusammenarbeiten, ist Macht und Geschichte geschuldet, aber keine Selbstverständlichkeit.
Und weil Wahlkampf ist, auch die taktische Frage: Würde das nicht alles meiner Partei schaden? Ich glaube wenn, dann nur kurzfristig. Langfristig wird eine Demokratie besser, indem sie mehr Alternativen hat, und von Zuständen anderer europäischer Staaten, in denen 20+ Parteien um Konstellationen kämpfen, sind wir weit entfernt. Die einzige Warnung, die mir seriös einfällt: Wenn mehrere Parteien knapp an der 4-Prozent-Hürde scheitern, werden die Mandate für andere „billiger“. Und dann wird eine blau-schwarze Neuauflage wahrscheinlicher.
Außerdem glaube ich, dass das Angebot der Liberalen kaum in Bedrängnis geraten kann: Wirtschaftspolitisch können wir vermutlich mit der ÖVP besser als mit der SPÖ, gesellschaftspolitisch gibt es mit der SPÖ oder Grünen mehr Überschneidungen. Unter Druck kommt man als Mitte-Partei von nur einer Seite – aber genau die Überlappung sinnvoller Positionen von (vermeintlich) linker und rechter Hälfte des Landes ist der USP, den sich viele wünschen. Da bin ich also entspannt, darüber offen zu reden.
In diesem Sinne würde ich auch gar nicht mit der taktisch sinnvollen Aussage schließen, vor dem „Lost Vote“ zu warnen. Ja, die Bierpartei ist aus inhaltlicher Beliebigkeit eine verschwendete Stimme, und Petrovic ist maximal taktisch sinnvoll – aber am Ende sollten wir alle wählen, was uns am besten taugt. Und wenn das Marco Pogo ist, dann ist es eben der.
Ich kämpfe dafür, dass die richtige Wahl für möglichst viele NEOS bedeutet, wie ihr hier noch 1-2x bis zum Wahltag lesen werdet. Aber ich glaube auch, dass Konkurrenz gut für das Geschäft ist, und dass man sich weder vor Pluralismus noch vor den Reitern der Anti-Welle fürchten muss. Denn selbst, wenn die reinkommen: Der Schaden für das Land wäre wohl begrenzt.
Noch mehr Lesestoff
🇻🇪 Diesmal wurde die Wahl wirklich gestohlen. Und zwar in Venezuela. Du weißt, dass dein Land eine Diktatur ist, wenn man unabhängig die Zahlen nachverfolgen kann und sich das Wahlergebnis des Diktators nicht ausgeht. Und spätestens dann, wenn sich Oppositionelle aus Angst um ihr Leben verstecken müssen, kannst du nichts mehr leugnen.
🧑💻 What we’re currently working on. Rund um das Thema „Gewalt in Wien“ hatte ich meinen Einstieg in der Kommunikation von NEOS Wien. Als erstes Projekt durfte ich einen 5-Punkte-Plan gegen Gewalt begleiten, der es in die ZIB2 geschafft hat und auch bei den Puls4-Sommergesprächen diskutiert wurde. Zeigt, dass die Vorschläge gut angenommen werden. Hier könnt ihr sie nachlesen.
📰 Kennt ihr schon Veit Dengler? Die PRESSE hat ein Portrait über einen Mitgründer von NEOS geschrieben, der jetzt wieder in den Nationalrat einziehen will. Vor allem der Steiermark-Crowd unter euch empfohlen: Dort führt er nämlich die Landesliste an.