Ein Plädoyer dafür, auch lustige Spaßpolitiker nicht zu wählen
Ja, das ist definitiv ein von Van der Bellen gesponsertes Hit Piece
Dieser Text ist ein freundlicher Reminder: Dinge ironisch zu tun ist eine Einstiegsdroge darin, sie irgendwann unironisch zu tun.
Mir geht es so meistens im Wortschatz. “Sheesh” war eine ironische Hommage an Money Boy - mittlerweile erwische ich mich dabei, wie ich es im Büro sage. “Ehre”, “Ehre genommen” oder “Premium” sind weitere Beispiele dafür, dass ich wirklich unter Kontrolle kriegen sollte, auf welchen Trend ich ironisch aufspringe. Aber eigentlich erzähle ich das nur, um die Brücke zu einem politischen Thema zu schlagen: Dem ironischen Wählen.
Denn am Sonntag wird der Bundespräsident gewählt. Und einer der großen Sieger der Wahl ist definitiv einer, der sich auf viele ironische Stimmen verlassen kann: Marco Pogo.
Eine satirische Kunstfigur, die Bundespräsident werden will.
Und ja, natürlich heißt der Kandidat Dominik Wlazny und nicht Marco Pogo. Aber ich rede ganz bewusst von der Kunstfigur.
Denn ich glaube nicht, dass der Staatsbürger Dominik Wlazny ernsthaft Bundespräsident werden will oder auch nur glaubt, es werden zu können. Viel eher will der Künstler hinter Marco Pogo eine Plattform gewinnen, um seine Satirepartei weiter aufzubauen - wurscht, ob es ihm dabei um die Sache, um Geld oder um den Witz geht. Mehrfachantworten sind nicht ausgeschlossen. Darum schauen wir uns heute kurz an, was von der Normalisierung der Spaßpartei zu halten ist.
Davor ein kurzer Disclaimer: Ich finde, Satire darf alles. Ich finde die Bierpartei sogar selbst ganz lustig. Ihre Spots im Wien-Wahlkampf haben mich gut unterhalten, und ich hab auch oft den Schmäh übernommen, dass sie eh nicht die größte Spaßpartei ist, wenn FPÖ oder MFG antreten. Ich will also nicht komplett spaßbefreit wirken, aber mich in diesem Beitrag ausnahmsweise kurz mehr oder weniger seriös mit dem Thema auseinandersetzen.
Fangen wir vielleicht bei der naheliegenden Frage an: Wie ist es überhaupt möglich, dass ein Musiker und Arzt, der die “Bierpartei” führt, bei einer Bundespräsidentschaftswahl teilnimmt und aller Voraussicht nach nicht mal Letzter wird? Für ein Erfolgsgeheimnis halte ich den Balanceakt zwischen Satire und Realität.
Marco Pogo profitiert davon, seriös und nicht seriös gleichzeitig zu sein.
Einerseits ist er natürlich unseriös. Denn an und für sich ist völlig egal, was er im Wahlkampf fordert oder sagt, denn er ist Chef der Bierpartei. Man weiß sofort, wofür er steht. Das ist 1) natürlich Bier, aber 2) auch die Motivation, aus Spaß in die Politik zu gehen, weil man es witzig findet.
Mehr muss man eigentlich nicht wissen. Und für jeden, der gerne einen “ernsthaften” Kandidaten in der Hofburg hätte - ich schreibe “ernsthaft” in Anführungszeichen, weil ich dieses Label bei dieser Wahl exakt einem Kandidaten zuschreiben würde - erübrigt sich da jede Diskussion.
Aber andererseits ist er überraschend seriös. Was irgendwie unsinnig klingt, aber auch komplett logisch ist. Denn wenn man im Wien-Wahlkampf noch mit einem Bierbrunnen geworben hat - ein Versprechen, das übrigens gehalten wurde -, wird jede “echte” inhaltliche Forderung, die man macht, automatisch als positive Überraschung wahrgenommen. Die Abweichung von der Satire ist also kalkuliertes Overachievement: “Wow, der von der Bierpartei hat ja echt gute Ideen.”
Pogos bestes Argument ist aber der Kontrast.
Und das wird auch der Grund sein, warum er sich bei dieser Wahl Chancen auf ein gutes Ergebnis ausrechnet. Denn wenn die Konkurrenz aus Tassilo Wallentin, Gerald Grosz, Michael Brunner und dem vierten rechten Kandidaten besteht, an den sich niemand so recht erinnern kann, ist es fast unmöglich, der schlechteste Kandidat zu sein.
Wie will Marco Pogo denn unseriöser sein als eine Gruppe von Impfgegnern und Putin-Verstehern, die glaubt, für das höchste Amt im Staat geeignet zu sein? Er könnte sogar einen Wahlkampf wie in Wien 2020 machen und Freibier für alle zur wichtigsten Frage unserer Zeit hochstilisieren, und er hätte immer noch ein besseres Ergebnis und ein seriöseres Image als die Hälfte der Kandidaten.
Das weiß er auch. Und vielleicht verzichtet er nur darum darauf, einen solchen Wahlkampf zu fahren. Denn wenn Van der Bellen aus strategischen Gründen nicht an TV-Konfrontationen teilnimmt und der einzig andere nicht-rechte Kandidat Heini fucking Staudinger ist, wird in der Mitte der Gesellschaft ein Vakuum frei.
Ein Vakuum, das man sogar einnehmen kann, wenn man bei einer Satirepartei ist.
Daher inszeniert sich Dominik Wlazny diesmal nicht als Marco Pogo, sondern als ein gewöhnlicher Staatsbürger, der echte Themen vertritt. Und als Alternative für die anständige Mitte, die von Van der Bellen enttäuscht ist.
Weil das auch dem Ergebnis des amtierenden Bundespräsidenten schaden wird, hat Kommunikationsberaterin Nina Hoppe zu Beginn des Wahlkampfs im STANDARD geschrieben, es handle sich beim Satireprojekt Marco Pogo um “demokratiegefährdenden Populismus”.
So weit würde ich nicht gehen. Wenn eine Demokratie glaubt, dass der Chef einer Spaßpartei besser ist als Alexander Van der Bellen, dann ist es so, und mein demokratisches Recht überlässt mir, das schlecht zu finden. Aber trotzdem macht es mich nachdenklich, wenn das bisschen Virtue Signalling ausreicht, um ein paar besonders reflektierte Leute aus der Twitter-Bubble zu erreichen.
Denn es ist eigentlich der sehr offensichtliche Zyklus eines Witzes, den man zu lange erzählt. Zuerst ist es ein ehrliches Lachen über einen lustigen Wahlkampf, bei dem alle wissen, dass er nicht ernst gemeint ist. Danach lacht man darüber, dass der Witz weitergeführt wird. Irgendwann denkt man darüber nach: “Wäre es nicht lustig, wenn die Bierpartei gewinnen würde?” Und irgendwann landet man dann bei diesem Take:
Durch diesen inhaltlichen Wahlkampf gibt es also zwei Motivationen, Marco Pogo zu wählen:
Ich finde, er ist ein Satirekandidat, und das finde ich gut.
Ich finde, er ist kein Satirekandidat, und das finde ich gut.
Damit deckt er nicht nur alle ab, die den Witz lustig finden - sondern auch alle, die den Witz eigentlich nicht lustig finden, aber gerne eine Proteststimme machen würden, ohne einen extremen Kandidaten zu finden.
Und warum ist das jetzt alles so furchtbar, Stefan?
Ich schreibe dieses Hit Piece nicht, weil ich ein bezahlter Van-der-Bellen-Agent bin, sondern weil ich eigentlich schon gerne Profis in der Politik hätte. Und ja, der Begriff des “Profis” wird durch Beispiele von Sebastian Kurz bis Christine Aschbacher nicht wirklich besser. Man kann an unserer Politik sehr viel kritisieren, und ich mach das auch regelmäßig - aber ist die Alternative jetzt ernsthaft, ironisch eine Stimme bei der Präsidentschaftswahl abzugeben, um die Bierpartei zu stärken?
Ich meine, im Endeffekt wird es wurscht sein. Ich bin überzeugt, dass Van der Bellen gewinnt, und wahrscheinlich wird der erste Wahlgang reichen. Aber der einzig anständige Kandidat wird geschwächt. Und die Alternative zu ihm ist nicht eine “Wäre das nicht lustig”-Pogo-Präsidentschaft, sondern eine Kulturkampf-Stichwahl gegen einen rechten Kandidaten.
Dann diskutiert das Land bis zum zweiten Wahlgang mit gekünstelter Hochspannung über das Framing der Rechten zu Russland-Sanktionen, Corona-Impfung, EU-Austritt und allen anderen Themen, die man eigentlich wirklich nicht diskutieren muss, wenn man nicht komplett angrennt ist. Von daher kann man sehen, warum Hoppe von “demokratiegefährdend” schreibt - nur gut, dass es dazu nicht kommen wird.
Es ist also ein guter Wahlkampf, aber eine schlechte Entwicklung.
Marco Pogo schafft es, nicht nur die Satire- und Bier-Fans abzuholen, sondern fischt auch im Lager aller Wähler links und in der Mitte, die weder Van der Bellen noch rechts wählen wollen. Strategisch ist das gut gelungen - aber demokratiepolitisch halte ich es zumindest für bedenklich, wenn “Wäre es nicht lustig, wenn …” das überzeugende Argument am Wahltag ist.
Der Witz ist nämlich nur so lange lustig, bis wirklich mal ein Komiker an die Macht kommt, der keine Ahnung vom Amt hat. Beppe Grillo in Italien, aber auch Donald Trump im weiteren Sinne als Reality-TV-Star haben vorgezeigt, dass es in der Regel schon einen Grund gibt, warum Politik in der Regel von Politiker:innen gemacht wird, und nicht von Quereinsteiger:innen, die keine Ahnung davon haben.
Insofern appelliere ich, die Spaßparteien nicht zu sehr zu normalisieren. Denn was man einmal ironisch anfängt, wird sehr schnell Realität. Und die ist dann vielleicht gar nicht mehr so lustig.
Noch mehr Lesestoff
🇳🇱 Können wir bitte ein bisschen mehr wie die Niederlande sein? Das wär super, die haben uns nämlich sehr schnell bei der Energiewende überholt. Ich meine, als Land unter dem Meeresspiegel hat man da klarerweise mehr Motivation, aber trotzdem: Wenn sich die Politik nach dem Beispiel im neuen Materie-Artikel richten könnte, wäre das sehr praktisch für alle Fans eines lebenswerten Planeten.