In meinem letzten Newsletter habe ich argumentiert, warum ich Wählerbeschimpfung nicht für die Lösung halte und warum ich ein Problem mit der Bubble habe, die regelmäßig nach Wahlen die Fehlersuche verweigert. Heute folgt quasi Teil 2 darauf – eben diese Fehlersuche.
Wieder vorab als Disclaimer: Nein, ich bin immer noch kein Experte für US-Politik, aber ich mach was mit politischer Kommunikation und hab den Wahlkampf einigermaßen verfolgt, wodurch ich glaube, zumindest das ein oder andere Take bieten zu können, das nicht ganz daneben ist.
Und anfangen will ich mit dem Take, das mich schon am Wahlabend selbst zumindest unsicher gemacht hat, wer gewinnen würde.
It’s the Aufmerksamkeit, stupid!
Aus der klassischen Werbung für Unternehmen gibt es ein Konzept, das auch für Parteien gilt: Menschen entscheiden sich für das, was ihnen im Moment des Kaufs positiv in Erinnerung geblieben ist. „Im Moment des Kaufs“ ist dabei das Stichwort. Auf die Politik übersetzt: Die Leute entscheiden sich erst in der Wahlkabine.
Für Kandidaten heißt das, dass vor allem eines zählt: Gekannt und erkannt zu werden. Die Leute müssen nicht nur verstehen, wofür du stehst – sie müssen zuallererst mal wissen, dass es dich gibt. Kann man übrigens auch in den Google-Trends erkennen: „Did Joe Biden drop out“ trendete am Tag der US-Wahl. Nicht auszuschließen, dass irgendwo in Österreich am 29. September jemand FPÖ angekreuzt hat und sich gefragt hat, wo HC Strache auf der Liste ist.
Das ist übrigens auch die Erklärung, wieso Österreich alle paar Jahre mit Wahlplakaten zugepflastert wird, während sich alle fragen, warum man überhaupt Geld dafür ausgibt. Im Dschungel aus Wahlwerbung nicht vorzukommen, kann sich niemand leisten, weil man sonst nicht ausreichend ausfällt. Einseitig aussetzen geht da nicht – man müsste schon die Wahlkampfkostenobergrenze senken, damit alle mit weniger auskommen müssen. (Was NEOS in Wien übrigens umgesetzt hat.)
Um solche Kleinigkeiten muss sich Donald Trump nicht mehr kümmern.
Jeder Mensch in den USA weiß, wer Donald Trump ist. Die allermeisten wissen, wofür er steht. Viele wissen sogar einiges über ihn, positiv wie negativ. Aber vor allem wissen seine Fans, wofür sie ihn wählen: Kompromissloses, aggressives Verhalten, „Make America Great Again“, ohne Kompromisse, gegen das System, das sie so verachten. Man kann viel über Trump sagen, aber nicht, dass er dieses Marketing nicht verkörpert.
Das hat natürlich auch damit zu tun, wer Trump vor seinem Einstieg in die Politik war. Als Fernsehstar hat man es in den USA naturgemäß leichter, Unterhaltung wird dort, aber nicht nur dort, deutlich stärker wahrgenommen als Politik. Das ist was für Nerds, die sich mit Gesetzgebungsprozessen, merkwürdigen juristischen Details und charmanten Wörtern wie „Gebietskörperschaften“ und „Attorney General“ auseinandersetzen. Trump ist Entertainment. Einfache Sprache, Drei-Wort-Sätze. Rhetorisch ist er wohl viel näher die Mitte der US-Gesellschaft, als das einige wahrhaben wollen.
Mit dieser harten Währung der Aufmerksamkeit reitet Trump seit acht Jahren eine Welle. Unterstützt wird er dabei nur von dem, was er gerne „Mainstream-Medien“ nennt – die entweder objektiv berichtenden oder links ausgerichteten Zeitungen und Sender, die jedes seiner Soundbites weitergeben, einordnen und kritisieren. Sie glauben, dass mehr Outrage, mehr Schnappatmung gegen Extremisten hilft. Aber sie wissen nicht, dass das Gegenteil der Fall ist. (An diesem Punkt könnte es in diesem Text auch um Herbert Kickl gehen.)
Es ist auch schwer, sich dieser Dynamik zu entziehen. Als Medium profitierst du natürlich davon, wenn du das schreibst, was deine Leser interessiert. Das Publikum linksliberaler Zeitungen will sich darüber aufregen, was die bösen Rechten schon wieder aufführen, die Rechten wollen wissen, was ihr großer Held ihnen zu sagen hat, und sogar, wenn man es ganz objektiv anlegt – mal vorausgesetzt, dass objektiver Journalismus existiert –, dann muss man immer noch „sagen, was ist“. Und dazu gehört halt auch, über Skandale eines Präsidentschaftskandidaten zu berichten.
Diese Aufmerksamkeitswelle hilft Trump, auch wenn viele glauben, dass sie ihm schadet. Und das wäre auch logisch.
Aber die Gegenfrage ist: Was weiß die US-Bevölkerung über Kamala Harris?
Über Kamala Harris weiß man, wenn überhaupt, dass die Vizepräsidentin unter Joe Biden war. Damit erbt sie das Image eines viel zu alten Kandidaten, den man mit senilem Auftreten assoziiert – und mit einer Inflation, die man in den USA nicht gewohnt ist. Den USA, wo die Wirtschaft und die Großartigkeit des Landes immer noch oberste Prioritäten sind. Kein guter Start für eine Kandidatur, oder?
Eigentlich nicht. Denn wenn wir uns an daran erinnern, war der Wechsel von einem riesigen Hype begleitet. Da die Latte durch Joe Biden unglaublich niedrig war – Hey, sie kann normale Sätze sprechen und weiß, wo sie gerade ist! –, war der Kontrast umso deutlicher. Jetzt gibt es jemanden, der Trump einschenken kann. Plötzlich war er der alte, weiße Mann, der offensichtlich senile Züge annimmt, bei seinen Wahlkampfauftritten merkwürdiges Zeug schwafelt. „Those guys are weird“, wisst ihr noch?
Mein Hot Take ist, dass das größte Problem der Harris-Kampagne war, dieses Momentum nicht richtig zu nutzen. Nach kurzer Zeit wich das „they are weird“, gepaart mit ihrem schrägen, aber irgendwie auch liebenswerten Lächeln, der üblichen Kampagne, mit der die Demokraten schon lange arbeiten: Donald Trump ist gefährlich, er ist ein Verbrecher, eine Gefahr für die Demokratie.
Das Problem ist, dass man mit diesem Wording niemanden mehr überzeugt – und die Chance verpasst, mehr über sich selbst zu reden.
Trump ist ausdefiniert, Harris undefiniert.
Zur Erinnerung: Jeder Mensch in den USA weiß, wer Donald Trump ist. Im Positiven wie im Negativen. Die, die ihn mögen, wissen exakt, was sie an ihm mögen und schätzen – und sie wissen auch viel über die Probleme mit ihm, nehmen die aber nicht als Probleme wahr. „Grab them by the pussy“ ist keine Hürde, wenn du Feminismus scheiße findest, Straftaten sind kein Problem, wenn du nicht verstehst, worum es dabei geht, und one mans Sturm aufs Kapitol is another mans friedliche Demonstration gegen einen offensichtlichen Wahlbetrug. Jeder hat dazu eine Position – man kann sie kaum verändern.
Während man Trump aber kaum demobilisieren kann, weil seine Fans ihn auch wegen seiner Nachteile lieben, verpassen die Demokraten aber die Chance, Menschen für sich zu gewinnen. Wieder schnell gefragt, lieber Polit-Bubble: Was wisst ihr über Harris privat? Was hat sie beruflich gemacht? Was macht sie in ihrer Freizeit? Gibt es etwas, was sie falsch macht, eine schlechte Eigenschaft? Einen Konflikt, der vielleicht sogar in den Medien war?
Ich bin ein Polit-Junkie, und ich könnte nicht alle diese Fragen beantworten. Sie war Staatsanwältin, das weiß ich, aber ist das ein … Pro-Argument? Nur, wenn man Juristen liebt, aber ich glaube, dass das nirgends die entscheidenden Swing Voter sind. Was sie in ihrer bisherigen politischen Karriere getan hat, warum sie sich so entschieden hat, das alles ist für viele nicht präsent, weil es nicht permanent erzählt wird. Wir kennen doch die Videos von anderen Kandidaten, die immer wieder auf ihr Leben zurückblicken, woher sie kommen, was sie geprägt hat. Das ist nicht, weil sie hängen geblieben sind – das ist Strategie, und zwar gute Strategie.
Das sind Brandings, die in der Politik notwendig sind. Silvio Berlusconi war kein korrupter Sex Offender, sondern ein Unternehmer in der Politik – als Gegenpol zu einer politischen Klasse, die nicht an das Beste für Italien denkt. Boris Johnson war kein komischer Clown, sondern ein unkonventioneller Macher, der den Brexit endlich umsetzt – als Gegenpol zu einer politischen Klasse, die nur redet, statt zu machen. Und Sebastian Kurz war auch nicht „Teil des Establishments“, als er die uralte Partei ÖVP übernahm, sondern das Versprechen eines „neuen Stils“.
So geht Politik. Und jetzt, bitte: Was ist Kamala Harris?
Am Ende war sie anscheinend vor allem eines: Eine Projektionsfläche. Wo die Demokraten die Chance verpasst haben, von ihr zu erzählen, sie nahbar zu machen und sie mit einem Versprechen zu verknüpfen, konnten die Republikaner zuschlagen und das tun, was keinem Politiker passieren darf: Fremddefiniert zu werden.
Kamala Harris will Kindern Geschlechtsumwandlungen erlauben. Sie will, dass jedes Kind auf jedes Klo gehen darf, auch in der Schule deines Kindes. Sie ist emotional, instabil, sie hat schwere mentale Probleme. Früher wollte sie Law-and-Order-Politik, heute will sie alle Drogen freigeben. Sie wird im Nahost-Konflikt die Seite unterstützen, die du scheitern sehen willst. Der Iran liebt sie, China liebt sie, Russland liebt sie. Sie ist persönlich dafür verantwortlich, dass Millionen von Migranten über die Grenze zu kommen, es ist ein totales Chaos. In Springfield essen Asylanten aus Haiti die Hunde, der Grund ist Kamala Harris.
So oder so ähnlich könnte die medial vermittelte Meinung zu Kamala Harris sein, wenn man nur die Inhalte von Republikanern sieht. Und die investieren in Social-Media-Werbung, TV-Werbung und ein beeindruckendes Online-Netzwerk. Es sind nicht nur die russischen Bots (aber auch): Es ist Elon Musk, es sind rechte Medien, die sich als normal inszenieren, es ist der Influencer-Zirkel um J.D. Vance, es ist der Joe Rogan Podcast. All das prasselt auf dich ein, dazwischen siehst du drei Videos, in denen Harris vor Trump warnt. Also, lieber Amerikaner: Wofür entscheidest du dich?
Fazit
Unter den unzähligen möglichen Erklärungen dafür, warum Donald Trump es nochmal geschafft hat, halte ich das für die plausibelste, weil ich sie auch schon vor dem Wahltag gespürt habe. Ja, es gibt 100.000 gute Gründe dagegen, ihn zu wählen – aber man weiß immer, woran man ist. Und diese bedingungslose Ehrlichkeit, sogar dann, wenn sie taktisch nach konventionellen Regeln überhaupt keinen Sinn ergeben würde, ist momentan das größte Asset der Rechten.
Denn die Alternativen, die kommen oft verschämt rüber. Der eine will „alle Ausländer raus, sichere Grenzen, mein Land kommt zuerst“. Und die Alternative? Die EU muss eine gemeinsame Lösung finden? Oder doch ein Mix aus rechtsstaatlichen Verfahren (gähn)? Trump will niemandem mehr Geld für Verteidigung zahlen. Was will Harris? Eine funktionierende transatlantische Partnerschaft im beidseitigen Interesse, ich schlafe ein!
Granted: Politik ist komplex, die Welt ist es auch. Aber trotzdem halte ich es für das beste Rezept, radikale Ehrlichkeit und einfache Sprache anzuwenden. Ich will keine „reproduktive Freiheit“, ich will ein Recht auf Abtreibung. Nicht für „Personen mit Uterus“, sondern für Frauen. Ich will kein Proseminar darüber, was subsidiär Schutzberechtigte sind, ich will, dass sich Menschen integrieren. Jo, eh, es ist komplex, ich arbeite für eine Partei in der Stadtregierung, I get it. Aber wir sollten’s doch wenigstens versuchen.
Ob das realistisch ist? In manchen linken Kreisen, die auch jetzt wieder genau wüssten, wie man es doch geschafft hätte – massiver Linksruck und den depperten Hacklern erklären, dass sie gegen ihre Interessen wählen –, da gilt genau das schon als rechte Rhetorik. Wenn die Linken eine weniger schlimme Geschichte hätten würde ich gerne sagen, dass das der schlimmste Trugschluss ist, dem sie je aufgesessen sind.
Bleiben wohl am Ende nur noch die Liberalen, die aus den Fehlern von Kamala Harris lernen können. Und wollen.
Happy Weekend!