Es ist Wahlkampf. Die letzten Sommergespräche laufen in den nächsten Wochen aus, die Termine für die TV-Duelle stehen fest, und das Sommerloch fühlt sich im Vergleich zu den letzten Jahren relativ gut gefüllt an. Wahlkampfjahre haben keine Pause – und man merkt, dass Politik in der Luft liegt. Ich liebe diesen Vibe.
Aber einer fehlt in diesem politischen Debattensommer: Herbert Kickl.
Seit der EU-Wahl ist es erstaunlich still geworden um die FPÖ.
Wenn man sich zurückerinnert, wie dominant die FPÖ im politischen Diskurs war, als es im Mai und Juni in die EU-Wahlen ging, erinnert man sich an eine ganz andere Debatte als heute. Und zwar nicht nur, weil Harald Vilimsky bedauerlicherweise jeden Tag im TV zu sehen war. Sondern auch, weil die Freiheitlichen die Themen gesetzt haben.
Das bestimmende Wort des EU-Wahlkampfs war zum Beispiel „EU-Wahnsinn“, und Platz 2 auf den Themen war (nach der alles überschattenden Causa Lena Schilling) immer der letzte grausige Sager der FPÖ-Spitze. Ob das der Kuss von Zelenskyj und Von der Leyen auf dem Wahlplakat war, Harald Vilimskys Absage an den Green Deal der EU oder Herbert Kickls Branding als „Volkskanzler“ das, Schmäh ohne, von Adolf Hitler selbst geklaut ist.
Und heute? In den letzten Wochen ging es um Integration und Gewalt, auch anlässlich des vereitelten Terroranschlags auf ein Taylor-Swift-Konzert in Wien. Aber abseits davon ziehen die Parteien durchs Land und versuchen, Themen zu setzen.
Andreas Babler und seine Genossen – wer eigentlich die logische Reihe 2 ist, weiß ich nach wie vor nicht – ziehen durchs Land und spielen ihre Greatest Hits von Erbschafts- und Vermögenssteuern ab, garniert mit skurrilen Vorschlägen wie einem „Recht auf analoges Leben“, das im digitalen Vorzeigeland Österreich anscheinend schon wirklich schwer geworden ist. Auch ein Recht auf einen persönlichen Termin bei der Bank ist nett, aber zielt vor allem auf die Pensionisten ab, die wahrscheinlich am ehesten am Donnerstag um 11:00 Uhr irgendwo sein können. Ob das die Nische ist, die das Land bewegt?
Karl Nehammer bastelt weiter am Narrativ einer „Kanzlerwahl“, die es zwar nicht gibt, aber um Fakten geht es in ÖVP-Wahlkämpfen noch nie. Um sich zu positionieren, grenzt er sich einerseits von seinem eigenen Koalitionspartner ab – nach vier Jahren hat Nehammer erkannt, dass es sich bei den Grünen um keine rechtskonservative Autofahrerpartei handelt – und andererseits von der FPÖ, vor der sich seine Partei auch in Niederösterreich und Salzburg abgegrenzt hat, wo man jetzt miteinander regiert. Alles klar.
Aber nebenbei inszeniert sich die ÖVP als eine Art „Sicherheitspartei“. Friendly Reminder: 37 Jahre in der Regierung. Und Wien soll seine Sicherheitsprobleme natürlich selbst lösen, obwohl Sicherheit ausschließlich Sache des Bundes ist. Eine Untersuchung der Geheimdienstarbeit rund um den vereitelten Anschlag lehnt die Partei übrigens auch ab. Sicherheit in guten Händen, mhm.
Und auch beim Thema Integration will die Volkspartei punkten: Die JVP, ihre Jugendpartei (Spitzenkandidatin war übrigens mal: Johanna Mikl-Leitner), spricht sich dafür aus, dass alle Menschen in Österreich Deutsch können müssen. Erstens würde ich das ja auch für viele Österreicher in Frage stellen, die keinen geraden Satz schreiben können, und zweitens … wo wart ihr eigentlich die letzten Jahre? Die ÖVP ist länger in Regierungsverantwortung, als die meisten von euch am Leben sind. Go do something.
Werner Kogler … ich weiß eigentlich nicht genau, was Werner Koglers Plan ist. Im Sommergespräch war der grüne Vizekanzler überrascht, dass seine Partei nach dem Gesundheits-Ressort gefragt wird, für das man immerhin seit fünf Jahren verantwortlich ist. Aber es ist auch wurscht, was Werner Kogler macht. Die Grünen sind eine Single-Issue-Partei, die nach einem heißen Sommer wählt. Ob er im ORF überzeugt, ist da wirklich nebensächlich.
Fehlt eigentlich nur noch Herbert Kickl.
Aber was der so macht, weiß man nicht genau. Als ich nachschauen wollte, hab ich nebenbei herausgefunden, dass der Parteichef mich auf Facebook blockiert hat. (Ja, als geriatric millennial schaut man Dinge auf Facebook nach. Don’t judge, andere nutzen noch Teletext.) Aber als ich in einem anderen Profil nachgeschaut hab, habe ich auch nicht mehr rausgefunden:
Herbert Kickl kritisiert die Regierung.
Er geht ab und zu wandern.
Und regt sich über Flüchtlinge auf.
Das alles ist verpackt in klassischen Polit-Sujets, die eigentlich auch schon letztes Jahr produziert werden konnten. Nichts weißt darauf hin, dass Herbert Kickl gerade in Österreich ist und Politik macht. Wenn das OE24-Sommergespräch nicht wäre – ein klassischer Höhepunkt des polit-medialen Sommers! –, dann müsste man eine Vermisstenanzeige aufgeben.
Es gibt zwei Möglichkeiten, warum man nichts von Kickl hört.
Genauer gesagt drei, aber die eine, die ich für nachvollziehbar halten würde, ist in FPÖ-Kreisen vermutlich nicht ganz so beliebt. Nämlich die, dass man sich intern immer noch damit beschäftigen muss, wie man von über 30 Prozent in Umfragen für die EU-Wahl auf „nur knapp vor der ÖVP mit Reinhold Lopatka“ landen konnte. Liebe FPÖ, falls ihr die Antwort sucht:
Die ÖVP ist wahnsinnig gut im Mobilisieren und wird konstant unterschätzt.
Ihr habt einen der Top 3 unsympathischen Menschen in Österreich zum Spitzenkandidaten gemacht, und Nachwahlbefragungen ergeben, dass er keinerlei positive Rolle in der Wahlentscheidung gespielt hat.
Ich nehme aber an, dass sich die FPÖ wie immer bestätigt fühlen wird und auch dieses Mal nicht auf einen faktenbasierten Kurs, der das „F“ in ihrem Namen rechtfertigen würde, umsteigen wird. Daher gehen wir auf die anderen zwei Möglichkeiten ein.
#1: Die Schweigetaktik.
Es hat schon früher geklappt: Wenn sich zwei streiten, freut sich der dritte. Schlag nach bei CDU/CSU und den Grünen 2021: Aus einem schwarz-grünen Kanzlerduell wurde ein roter Bundeskanzler Scholz. Und das nicht, weil Olaf Scholz ein charismatischer und beliebter Politiker ist, sondern weil man sich nach einer umstrittenen Führungsentscheidung bei den Grünen und der Kandidatur von Armin „Wer?“ Laschet nicht auf Experimente einlassen wollte. Dann landet man eben beim langweiligen Typen, von dem man weiß, was man erwarten darf: Nicht viel.
Möglicherweise ist das auch Kickls Idee. Wenn der Wahlkampf daraus besteht, dass Andreas Babler in einer einsamen Ecke des polit-medialen Diskurses 200x „Mit Herz und Hirn“ sagt und nicht funktionierende Steuern als Wundermittel gegen alle Probleme verkauft, wandern die SPÖ-Wähler automatisch zu Herbert Kickl. Und wenn wir weiter darüber reden, warum Karl Nehammer diesmal vielleicht wirklich eventuell echt nicht mit der FPÖ verhandeln will, ob man unter Umständen möglicherweise doch in eine Regierung geht, wird Kickl auch interessanter. Easy.
Es könnte auch – passend zu meiner ersten Idee – wirklich in der Marktforschung rausgekommen sein, dass radikale Rhetorik nicht hilft, wenn die anderen mit der (berechtigten) Drohkulisse einer autoritären Partei der rechtsextremen Putin-Freunde wahlkämpfen. Daher einfach mal: Nichts sagen. Große Ansagen für den Wahlkampfschluss aufheben. Und unbeschadet durchs Ziel kommen.
#2: Kickl plant einen großen Aufschlag.
In der Politikwissenschaft ist ja immer wieder Thema, wie viel Einfluss so ein Wahlkampf eigentlich hat. Wählen wir das, was zu uns passt, basierend auf Demographie und Vibes? Oder kann man uns dazu bringen, durch eine Mischung aus Information und Unterhaltung unsere Meinung zu ändern? Und wenn ja: Wie macht man das? Ist ein Wahlplakat wirklich so eine gute Idee?
Wenn wir der Meinung sind, dass sich die meisten Menschen nur wenige Tage im Jahr ernsthaft für Politik interessieren und dann basierend auf unvollständiger Information gehen, weil sie ein Gefühl haben – Ich bin übrigens dieser Meinung! –, dann ergäbe es Sinn, sich das Wahlkämpfen für eine möglichst kurze, aber dafür geile Kernzeit aufzusparen. Heißt:
Jetzt gerade wird nichts auf Social Media beworben, oder zumindest nur auf Sparflamme. (Was bei der FPÖ immer noch reichen könnte, um mit Abstand am meisten auszugeben – das ist mehr eine Social-Media-Redaktion als eine Partei.)
Große thematische Aufschläge spart man sich für später auf, wenn die anderen mit ihren Programmen schon draußen sind und man sich schon bald nicht mehr dran erinnert, dass Karl Nehammer was mit Sicherheit zu tun haben will.
Das hätte einen weiteren positiven Effekt: Man gibt der Opposition Research der anderen Parteien möglichst wenig Zeit, um zu recherchieren. Wer kein Wirtschaftsprogramm hat, kann auch nicht dafür kritisiert werden – und dass die FPÖ keines hat, ist keine Überraschung, es gibt keinen Menschen, der sie für Wirtschaft wählt.
Wenn in einer kurzen Wahlkampfphase möglichst viel auf einmal veröffentlicht, um maximalen Aufschlag zu erzielen, folgt auch dem Playbook des Trump-Ideologen Steve Bannon: „Flood the Zone with Shit.“ Wenn überall Information kursiert und man Spin und Gegenspin hintereinander in den Feed kriegt, weiß man auch nicht mehr, was man glauben soll – und entscheidet nach Vibes. Und leider ist die FPÖ gut im Vibes-Game.
Zum Ende also eine kleine Prognose.
Ich tendiere zum Szenario 2. Kickl ist ein viel zu aufgeregter Mensch, um als Schweigekandidat in die Ziellinie zu gehen. Er hat zwar eine betont ruhige rhetorische Art, wenn er statt im Bierzelt zu brüllen mal Interviews gibt, aber das hält er nicht lange aus. Kritische Fragen provozieren ihn, er kann nicht anders, als die Fragesteller und Vertreter anderer Parteien anzugreifen. Das ist sein Naturell, und man wird es nicht mehr ändern.
Außerdem ergibt es nur Sinn, dass die Social-Media-Abteilung der FPÖ (oder anders gesagt: „die FPÖ“) ihre Ressourcen aufspart, um den September zu dominieren. Wenn man der Logik folgt, dass Wahlkampf nicht viel ändert, zählt der letzte Eindruck – und da sind die letzten drei Tage wichtiger als die drei Monate vor dem Wahlmonat. Am Tag vor der Wahl schreit kein Schwein mehr nach einer Geheimdienstreform. Ich glaube, Kickl versteht das. Oder wer immer ein Social-Media-Mastermind ist.
Insofern ist es nicht überraschend, dass die FPÖ gerade auf Tauchstation ist. Denn auch, wenn es unintuitiv wirkt: Sie hat gerade absolut nichts zu verlieren.
Noch mehr Lesestoff
☝️ Friendly Reminder: Preise staatlich zu regeln ist eine schlechte Idee. Sag nicht ich – sagen 98 Prozent der Ökonomen. POLITICO widmet sich der Mietpreisbremse, weil die Demokraten in den USA damit kokettieren. Was unüblich ist für eine Partei, die normalerweise zwar als „links“ gesehen wird (was im US-Spektrum nicht unbedingt links bedeutet), aber wirtschaftspolitisch oft erstaunlich stabil war.
Und kleiner Zusatz. Sag ich doch auch. Wer meine Erklärung dazu lieber lesen will als POLITICO: Erstens, wow, geil! Und zweitens, hier mein Artikel für die MATERIE.
🗳️ Warum Kleinparteien eine Große Koalition erleichtern können. Die PRESSE hat etwas für Wahlrecht-Nerds. Wenn Bierpartei, Madeleine Petrovic etc. nicht reinkommen, aber einige Prozente auf sich vereinen, werden Mandate für alle anderen Parteien „billiger“ – und am Ende müsste eine Neuauflage von SPÖ und ÖVP keine 50 Prozent auf sich vereinen. Ich erinnere an meinen letzten Text über diese Parteien:
Stuff aus dem Internet
Ein Überblick über alle TV-Events im Nationalratswahlkampf.
DieRaffa hat auf Twitter eine praktische Übersicht erstellt. Hier mal nur der Teil zu den TV-Duellen, klickt hier für alle.
Diese Grafik radikalisiert mich jedes Jahr aufs neue.
Im Herbst werden wir wieder die Pensionen erhöhen, ohne dass wir uns das leisten können. Bedeutet: Neue Schulden. Und weniger Geld für alles, was in Zukunft wichtig wird. (Und Fun Fact: Auch für zukünftige Pensionen.)
Eine aktualisierte Version der Russland-Nichtrussland-Karte.
Eine gute Einordnung zum Thema „Ist Wien wirklich so lebenswert?“
Spoiler: Ja. Ich glaube ich verlinke niemanden mehr in diesem Newsletter als Jonas Vogt, aber er haut halt guten Content raus.
So fühle ich mich auch, wenn ich die USA beobachte.
Was in einer gewissen Blase als „smart“ gilt, ist nach europäischen Standards unpackbar. Und während ich das schreibe, merke ich, wie ironisch das in einen Artikel über den möglichen Wahlsieger Herbert Kickl ist.