Happy Lockdown-Rant
Wie die Verharmloser-Rhetorik der Politik den neuen Lockdown verursacht hat
Ladies and Gentlemen, this is Lockdown Number Five. 🎵
Ich glaube, wir sind alle gleichermaßen genervt von der Situation - vor allem die Wiener:innen, bei denen es gerade eigentlich einigermaßen gut läuft und die nicht nur die Probleme ihrer eigenen Impfgegner:innen, sondern vor allem die von Oberösterreich und Salzburg ausbaden. Lasst mich für ganz Salzburg sprechen wenn ich sage: Sorry.
Gut finde ich an der aktuellen Situation nur, dass das Appeasement für Impfgegner:innen endlich aufhört. Es bleibt also die Hoffnung, dass das zumindest der letzte Lockdown wird, weil im nächsten Winter 1) hoffentlich Medikamente zur Verfügung stehen - das von Pfizer scheint schon gute Ergebnisse zu liefern - und 2) ein größerer Anteil der Menschen geimpft sein wird, je nachdem, wie gut die kommenden Gesetze geschrieben sind.
Ich hab schon im August darüber geschrieben, dass die Impfpflicht prinzipiell nicht unbedingt eine gute Lösung ist, aber als Ultima Ratio immer offen bleiben wird - und jetzt ist es soweit.
Damit nicht jeder Winter ein Corona-Winter wird, in dem uns ein Massensterben durch volle Intensivstationen droht, gibt es eben nur zwei Möglichkeiten: Eine halbwegs mündige Gesellschaft, in der der Deppen-Faktor unter einer kritischen Grenze liegt, und die Impfpflicht. Das haben wir also davon.
Aber gehen wir doch der Frage nach, warum wir eigentlich jetzt schon wieder einen Lockdown haben, obwohl gegen Jahresbeginn niemand gedacht hätte, dass das jemals wieder Realität wird:
Wie konnte es (schon wieder) so weit kommen?
Ich glaube, das Grundproblem des österreichischen Pandemiemanagements ist, dass man in Österreich gelernt hat, immer auf Umfragen zu schauen. Das müsste kein großes Problem sein. Immerhin sind Nationalratswahlen alle fünf Jahre, zumindest theoretisch.
Aber in einem kleinen, föderalen Land wie Österreich steht immer irgendwo eine Wahl an, und niemand will sich erlauben, zu diesem Zeitpunkt kurzfristig 1-2 % zu fallen - auch, wenn dieser Malus immer nur kurzfristig ist und sich bis zum eigenen Tag X wieder alles ändern kann.
Daher scheuen Politiker:innen, unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Zum Beispiel einem großen Teil des Wahlvolkes zu sagen, dass es dumm ist, wenn es eine ansteckende, potenziell tödliche Krankheit einer gut erforschten, sicheren Impfung vorzieht, mit der seit Monaten geimpft wird, ohne dass etwas Schlimmes passiert wäre. Das kann man handwerklich verstehen - dem Virus ist allerdings völlig egal, ob wir aus polit-strategisch verstehbaren Gründen die Pandemie anheizen.
Wir hören lieber gute Botschaften. Zum Beispiel, dass die Pandemie vorbei ist. Oder zumindest für Geimpfte vorbei, das wäre mir ja schon genug. Dass es ein “Sommer wie damals” wird, dass es schon bald vorbei sein wird. Die APA hat dazu eine gute Aufstellung gemacht, die zeigt, dass wir diese gute Nachrichten auch immer im richtigen Moment hören:
Das ist schon lange so. Auch bei Politiker:innen, die ich sonst sehr schätze, z. B. Rudi Anschober. Aber in diesem Sommer kamen die Korruptionsvorwürfe dazu und das Überleben der Regierung stand ernsthaft auf dem Spiel - daher hat die Politik in den Modus umgeschalten, sich mit der Pandemie vorerst gar nicht zu befassen.
Sebastian Kurz, der zu Sommerbeginn noch auf dem Cover von NEWS ausgerichtet hat, es komme eine coole Zeit auf uns zu, ist auch dieser Pandemie-Tage eher mit Litigation-PR beschäftigt als mit seinem eigentlichen Job als Klubobmann der wichtigsten und mit Abstand mächtigsten österreichischen Parlamentspartei. Am 14. November, als schon alles und jeder über den notwendigen Lockdown redet, postet er auf Instagram ein umstrittenes Gutachten zu seiner aktuellen Situation.
Und genug andere tun es ihm gleich. Wie man jetzt weiß, wollten die Grünen, vor allem Gesundheitsminister Mückstein, schon länger härtere Maßnahmen, blitzten aber am Willen der ÖVP und ihrer Landeshauptleute ab. (Dazu wie immer sehr lesenswert die Hintergrund-Berichte von Josef Votzi im TREND) Und das sah man auch an den Statements von Politikern wie Wilfried Haslauer, Thomas Stelzer oder auch Gernot Blümel, der wie immer besonders gutes Timing hatte.
Nichts ist dadurch besser geworden.
Das einzige, was diese permanente Beschönigung, dieses “Ruhe bewahren”, das Verzögern von Maßnahmen gebracht hat, sind mehr Neuinfektionen, mehr belegte Intensivbetten und mehr Tote. Ich will mir nicht vorstellen, wie es sein muss, als Mensch in einer Verantwortungsposition in dieser Situation zu schlafen oder jeden Morgen in den Spiegel zu schauen.
Auf der Haben-Seite steht dafür ein mutmaßlich abgewendeter Verlust der ÖVP bei der Landtagswahl in Oberösterreich. Oberösterreich. Was wäre die Alternative gewesen? Ein Erdrutschsieg der SPÖ? Eine linke Regierung, eine Volkspartei mit Wiener Verhältnissen? Natürlich hatte die ÖVP nie wirklich etwas zu befürchten - umso bitterer ist es, dass anscheinend genau wegen dieser Wahl gewartet und beschwichtigt wurde. Frei nach Rudi Anschober: Die nächsten Wochen wären entscheidend gewesen.
Genau diese Rhetorik, die wir sowohl im Sommer 2020 als auch im Sommer 2021 gehört haben, sorgt dafür, dass sich Menschen nicht impfen lassen. Wenn mir meine Politiker:innen sagen, dass die Pandemie vorbei ist, muss ich mich auch nicht mehr dagegen schützen. Noch dazu mischt sich dieser Gedanke mit gefährlichem Halbwissen wie “Ist ja nur eine Grippe” oder “Nur Alte sterben an Corona”. Oder noch schlimmer: Mit alternativen (nicht-wirksamen und gefährlichen) Therapien wie Ivermectin, die Corona-Patient Herbert Kickl vorschlägt.
Dieser wettert übrigens gerade gegen die angeblich ausgebrochene Diktatur, was mich etwas überrascht hat. Findet die FPÖ Diktaturen schlecht? Ich kann mich nämlich an sehr gute Beziehungen zu Russland und den ein oder anderen Nazi erinnern.
Aber das ist der nächste Schaden, den die Verharmloser-Rhetorik der politisch Verantwortlichen angerichtet hat: Wenn die Impfung der Game Changer ist, bedeutet das auch, dass es keine Lockdowns mehr gibt. Das heißt im Umkehrschluss: Wenn der Lockdown kommt, wirkt die Impfung nicht und ich lasse mich erst recht nicht impfen. “Jetzt liegen die Geimpften ja auch auf der Intensivstation!”
Meine große Befürchtung.
Was ich fürchte ist, dass wir als Bürger:innen aber wieder einmal nicht das Gedächtnis haben werden, um dieses Wissen in die nächste Wahl mitzunehmen. Wenn wir davon ausgehen, dass nächstes Jahr gewählt wird - und darauf bereiten sich viele im politischen Bereich vor, die ich kenne -, dann wird es wieder ein Sommerwahlkampf. Und die ÖVP wird wieder verlautbaren, dass die Pandemie vorbei ist und “erfolgreich gemeistert” wurde.
Es wird keinen Grund dazu geben - denn fast jeder, der jetzt auf der Intensivstation stirbt und jedes Unternehmen, das wegen dem Lockdown jetzt für immer schließen wird, ist vermeidbar. Aber am Ende wird wieder nur die gute Nachricht zählen: Dass es jetzt endlich vorbei ist. Diesmal wirklich.
Sebastian Kurz spekuliert übrigens noch darauf, dass er der große Messias sein darf, der nach seiner überstandenen Justiz-Geschichte darauf hinweisen kann, dass es 2020 mit ihm besser war als 2021 ohne. Aber daran darf gezweifelt werden. (Dass sich die Bundesregierung gerade verhält wie zuletzt 2017 unter Kern/Mitterlehner, hat damit natürlich nichts zu tun, bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.)
Ich jedenfalls will mit diesem Text meinen Teil dazu beitragen, dass wir nächstes Jahr nicht vergessen, wer politisch verantwortlich ist für eine geringe Durchimpfungsrate, einen Fehlstart in die Corona-Wintersaison und den neuen Lockdown. Auch, wenn Herbert Kickl gerade völlig zurecht von allen Seiten kritisiert wird und durch seine Rhetorik auch zahlreiche Menschen auf dem Gewissen hat, sind es andere, die im Hintergrund lange dagegen gearbeitet haben.
Und das, obwohl sie die Macht gehabt hätten, das zu verhindern. Wir sollten das nicht vergessen.
Happy Lockdown