Ich verspreche, ich gründe kein Start-up und hab auch sonst kein spontanes geschäftliches Interesse daran, was in diesem Newsletter passiert. Man muss es bei dem Thema ja mittlerweile dazusagen. Denn heute reden wir über KI.
Der Anlass ist einerseits offensichtlich: OpenAI – das Unternehmen, das seit letztem Jahr die KI-Welt dominiert – hat mit Chat GPT-4o eine neue Version der allwissend wirkenden KI veröffentlicht, die auch Bild und Video interpretieren kann und merkwürdigerweise ähnlich wie eine flirty Version von Scarlett Johansson klingt.
Andererseits wird auch immer mehr die Vermutung laut, dass wir in einer „AI Bubble“ sind. Was offensichtlich stimmt: Wenn jedes Unternehmen mit KI wirbt und sich Gedanken macht, wie man auf einen Zug aufspringen könnte, handelt es sich in der Regel um eine Bubble. Das ist noch nicht wertend, es kann auch gute Gründe dafür geben, aber es ist nun mal eine Entwicklung, die steil bergauf geht – vorerst.
Deutlich wird das vor allem durch den Vergleich mit Web3.
Wer in den Jahren bis 2021 versucht hat, sich mit „neuen“ technologischen Trends auseinanderzusetzen, hatte eigentlich nichts anderes als neue Entwicklungen mit der Blockchain – einem Konzept, das generell schon zu kompliziert für einen großen Teil der Gesellschaft ist. Und wenn der erste Schritt schon schwer zu erklären ist, dann wird der große Durchbruch noch unrealistischer.
Das führte einerseits dazu, dass viele Unternehmen, vor allem in den USA, sich auf jede Gelegenheit setzten, irgendwas mit „Web3“ zu machen: Also „irgendwas mit der Blockchain“. Die offensichtlichen Beispiele, was eventuell sinnvoll sein könnte, waren aber schnell durchgespielt:
Mit Kryptowährungen bezahlen. Was aber auch nur für Nerds relevant sind, die überzeugt sind, dass sich digitales Geld gegenüber unseren gewohnten Währungen langfristig durchsetzt, aber gleichzeitig dumm genug sind, ihre im Steigen begriffenen Reserven für Pizza auszugeben.
Etwas auf der Blockchain lagern. Was zwar dafür sorgt, dass „Dinge transparent sind“, aber auch viel Rechenkapazität und IT-Wissen benötigt für einen Nutzen, den wieder nur eine nerdige Bubble sieht. Hier wären sogar eher öffentliche Institutionen gefragt gewesen – aber die haben geschlafen.
Für mich ist alles, was über diese zwei Möglichkeiten hinausgeht, Wahnsinn der in einer Bubble entsteht. NFTs etwa – digitale Bilder, die man zwar screenshotten kann, aber nur einer „besitzt“ das „echte“ Bild – wurden um sechsstellige Beträge und mehr gehandelt. Hier eine Zusammenstellung von Bildern, die zwar nicht mir gehören, aber Screenshots regeln ganz ohne große Ausgaben:
Der Hype um KI wiederum ist fundamental anders.
Denn anders als beim Web3-Hype versteht jeder sofort, warum Chat-GPT cool ist. Die ersten Versuche mit der KI fühlen sich an, als wäre man plötzlich in die Zukunft versetzt worden. Man probiert aus: Kann die KI auch Rezepte? Kann sie einen Bereich, in dem ich mich auskenne? Kann sie sich Dinge merken? Kann sie Websites gestalten, News-Artikel schreiben oder wie Politiker XY antworten? Die Antwort auf all diese Fragen ist Ja. Was mich zu meinem Lieblings-Zitat über Technologie führt.
„Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.“
Darum ist es auch komplett logisch, dass wir in einer KI-Bubble sind. Jeder Mensch sieht sofort den Nutzen von Künstlicher Intelligenz im Alltag und kann sich ausmalen, was besser werden könnte. Die Ausweitung von Chat-GPT auf Bild und Video ist einer dieser intuitiven Schritte.
Und darum will jetzt jeder ein Stück vom Kuchen haben.
Google etwa hat angekündigt, die Suchergebnisse im Wesentlichen durch handverlesene KI-Antworten zu ersetzen. Wo jetzt schon oft unternehmenseigene Antworten stehen, will Google in Zukunft noch öfter selbst die Frage beantworten – und den Weg zu blauen Links noch weiter einschränken.
Das ist aus mehreren Gründen nicht nur eine gute Nachricht:
Mit dieser Entscheidung leitet Google den nächsten Todesstoß gegen Medien ein, die sich auf das Internet eingelassen haben. Gerade Traffic-Medienhäuser dürften deutliche Einbußen haben, wenn sie weniger Klicks durch Google bekommen, aber auch Suchmaschinenoptimierung als Dienstleistung wird de facto sinnlos.
Google wird dadurch zum noch stärkeren Gatekeeper für Informationen. Wir sind nicht nur davon abhängig, dass es uns die richtigen Quellen zeigt, sondern davon, dass die Antwort aus den richtigen Quellen gespeist wird. Bis jetzt scheint das noch nicht so großartig zu funktionieren, wie man sich das in Mountain View vorgestellt hat.
Dass man am Anfang einer jeden Technologie Kinderkrankheiten hat, ist logisch. Aber darunter fällt etwa, wenn Googles KI-Suche die Frage nach „Obst, das mit -um endet“ mit „Applum, Bananum und Coconut“ antwortet – nicht Fragen rund um Mental Health. Schon eine Woche nach Ankündigung dieses Experiments hat Google den ersten Worst Case geliefert. Das ist die Kehrseite der Medaille: Die menschlichen Kosten werden, genau wie bei Social Media, am Anfang des Hypes noch nicht so offensichtlich sein.
Für mich wird vor allem spannend, wie langsam das in Österreich passiert.
Denn gerade bei Trends wie KI wird deutlich, wie dermaßen weit hinten wir sind und wie unglaublich gedankliche Leistung notwendig ist, um sich in Österreich als „Vordenker“ gerieren zu können. Das wird deutlich bei den „KI-Workshops“, die man bei österreichischen Medien und Nachrichtenagenturen kriegt, mit spannenden innovativen Aussagen wie „Es gibt KI, man kann sie Dinge fragen, aber das hat auch Nachteile“. Wusstet ihr das??
Gerade am Anfang des KI-Hypes, also gefühlt vor 200 Jahren, de facto aber eher vor etwas über einem, gab es einige Texte à la „Ich habe ChatGPT zu Thema XY gefragt“. (Übrigens auch von mir.) Was gerade zur Frühzeit eine lustige Geschichte war: Eine neue Technologie, noch nicht jeder hat Zugang, auch auf der Meta-Ebene interessant, einfach zu produzieren. Aber erst vor Kurzem habe ich die gleiche Story im FALTER gesehen:
Und jetzt ist das plötzlich gar nicht mehr interessant. Im Gegenteil: Ich frage mich, wie weit hinten man beim FALTER ist. Denn wir wissen längst, wie ChatGPT zu Antworten kommt, was alles falsch sein kann, wir ärgern uns schon lange über den Standard-Antwortstil, der elendslange Disclaimer als Einleitung gibt. Wieso ist das jetzt noch eine Geschichte?
Aber das passiert in Österreich immer wieder: Ein Trend kommt zu uns, unsere Early Adopter setzen sich drauf, und dann schläft das ganze erstmal ein, weil brauch’ma das überhaupt wirklich? Und gerade die Medienlandschaft, aber viel zu oft auch die Politik – also zwei Systeme, die bei neuen gesellschaftlichen Herausforderungen wirklich gefordert wären – verschlafen das viel zu lange, nur um ein Jahr später wieder aufzuwachen und sich doch zu öffnen. Es ist einfach Social Media Reloaded.
That being said: Auf meiner Agenda steht jedenfalls, zumindest auf politischer Ebene das gleiche Schicksal zu verhindern. Wenn wir die FPÖ nicht fünf Jahre ein Facebook-Monopol bauen lassen, ist dieses Land nicht so dermaßen radikalisiert. Darum ist jetzt wichtig, ihnen kein Monopol bei neuen Technologien zu lassen. Sollte die Kickl-Partie hier ein Potenzial finden, dürfen sie nicht die Einzigen sein, die es verwenden. (Wobei gerade bei Deepfakes die Frage ist, wer sich traut, diese Grenze zu überschreiten.)
Wo geht die Reise also hin?
Es ist kein Geheimnis, dass ich da kein großer Experte bin, sondern nur eine Laieneinschätzung geben kann, weil ich mich oft mit diesen Produkten spiele. Aber damit bin ich nicht alleine: OpenAI-Chef Sam Altman sagt selbst, er habe noch keinen Plan, wie man ChatGPT skaliere. Aber wenn die KI gut genug sei, werde sie es ihm schon sagen können.
Das Best-Case-Szenario wäre wohl, wenn wir nicht die gleichen Fehler wie bei Social Media machen würden. Heißt, dass wir uns nicht vom Wohlwollen weniger Plattformen abhängig machen, die in ihren geschlossenen Ökosystemen die Kontrolle über alle möglichen Lebensbereiche ausüben. Sondern dass wir offene Standars haben, zwischen denen wir bequem und transparent switchen können.
Ich habe etwa keine große Hoffnung, dass Apples Siri demnächst gegenüber ChatGPT-4o aufholt. Für mich wäre es einfach besser, wenn ich auf meiner Apple Watch mit ChatGPT-4o reden könnte. Das wäre im Alltag deutlich praktischer als ein Chatbot, der ratlos ist, wenn ich „Und morgen?“ frage, wenn ich gerade noch nach dem Wetter heute gefragt habe.
Mit einer Art KI-Handelsplatz und offenen Standards wäre ChatGPT-4o auf der Apple Watch, Googles Gemini auf Microsoft-Laptops und von mir aus auch Siri auf Android-Handys möglich: Wer eine KI besser findet, als die andere, muss sein Leben nicht danach ausrichten, die „richtigen“ Produkte zu konsumieren, um sie zu hosten.
Der andere Trend könnte wiederum sein, eine Version der KI auf dem eigenen Gerät zu hosten. Apple hat also nicht „Siri 2.0“, sondern mein Siri 2.0 auf meinem iPhone – inklusive lokal gespeicherter und verschlüsselter Konversationen, damit ich die KI so umbauen kann, wie sie mir gefällt. Auch das hätte logische Vorteile (vor allem für die Unternehmen), aber führt uns möglicherweise noch tiefer in Filter-Bubbles und eine weitere Segmentierung der Gesellschaft. You know, menschliche Kosten halt.
Zum Abschluss noch ein Tweet, der für mich nicht nur KI, sondern generell Innovationen großer Tech-Unternehmen gut zusammenfasst.
Ihr merkt: Ich habe gemischte Gefühle, was diesen Trend angeht. Aber ich denke mir es ist besser, ahead of the curve zu sein, als eine unausweichliche Entwicklung zu verschlafen.
Noch mehr Lesestoff
📱 Das iPhone könnte bald „Apple Phone“ heißen. Denn das i als Kürzel davor habe sich überlebt, wie sein Erfinder selbst sagt. Spannend für alle, die sich für Tech und/oder Markenkommunikation interessieren.
🇩🇪 Die AfD wird ausgeschlossen – für FPÖ-Programmatik. Denn auch Kickl ist der Meinung, dass nicht alle in der SS Verbrecher waren. Für diese Aussage von Maximilian Krah, dem Spitzenkandidaten der AfD auf EU-Ebene, wurde die deutsche Rechtsaußen-Partei in der europäischen I&D-Fraktion ausgeschlossen. Und da sitzt immerhin auch Marine Le Pen drin. Stell dir vor, du bist Le Pen zu rechts! Jedenfalls gibt es ein solches Zitat auch von Kickl aus dem Jahr 2010. Will da auch jemand reagieren? Oder komplett egal?
„Da werden wir uns nicht darauf verständigen können, dass ein Verein als solcher oder eine Einheit wie die Waffen-SS kollektiv schuldig zu sprechen ist.“
🇷🇺 Apropos FPÖ: Die Russland-Nähe hat neue Beweise. Das Abstimmungsverhalten der Rechten im EU-Parlament ist ganz klar russland-nahe, wie eine Studie zeigt. Einerseits die am wenigsten überraschende Überraschung in der Geschichte der Überraschungen, andererseits bemüht sich die FPÖ ja im EU-Wahlkampf, diese Geschichten zu übertönen.
🇪🇺 Reden wir über EU-Mythen. Ein Best of, von „Undemokratisch“ bis zur Gurkenkrümmung, hab ich hier für die MATERIE widerlegt. Ich glaube, dass wir viel öfter über die Vorteile der EU reden müssten und viel seltener über angebliche Nachteile, die so gar nicht stimmen. Darum freu ich mich, wenn ihr diesen Artikel weiterschickt – wegen der EU-Wahl wär’s wichtig.
📰 Nur ganz kurz was zur Causa Schilling. Florian Klenk schreibt von der „Angst der Männer vor dem Gerücht“ – und zwar völlig zurecht. Ich habe mir vorgenommen, den Fall im laufenden Wahlkampf nicht zu prominent zu kommentieren, einfach weil da noch viel nicht aufgeklärt ist und hey, ich bin parteiisch, why believe me, right? Aber dass es bei der Geschichte eben auch um „Believe Women“ geht, sollte man nicht ausklammern.