Was meint ihr - ist Österreich ein christliches Land? Die einen sagen Ja, da das Christentum unser Land kulturell geprägt hat. Eine Tatsache, die man auch als Atheist nicht wirklich abstreiten kann. Die anderen sagen Nein, weil es die Trennung von Kirche und Staat gibt. Österreich kann also gar kein christliches Land sein, genauso wenig wie ein muslimisches oder buddhistisches.
Ich gehöre zum zweiten Team. Für mich hat Österreich kein christliches Land zu sein, weil Politik und Religion getrennt sind. Soll jeder glauben, woran er will - Angelegenheiten der Gesamtgesellschaft sollten ohne Glaube diskutiert werden. Das bedeutet nicht, dass Religion an und für sich abzulehnen ist oder dass wir so tun sollten, als hätte dieses Land historisch nichts mit dem Christentum zu tun gehabt. Es bedeutet einfach, dass der Glaube kein bestimmendes Merkmal dieses Landes ist.
Und ich bin mit dieser Einstellung nicht alleine: Kirchenaustritte werden häufiger. Die Zahl der Konfessionslosen steigt. Zwar gibt es immer noch rund 5 Millionen katholische Christen in Österreich - aber sowohl die Zahl der Kirchengänger als auch die Zahl der Gläubigen sinkt. (Fun Fact: In Wien sind laut einem Bericht des Österreichischen Integrationsfonds nur noch 35 % römisch-katholisch.)
Aber das sind Statistiken. Glaube lässt sich daran oft nicht messen. Genug Menschen sind der Meinung, dass man gläubig sein kann, ohne die Kirchensteuer zu zahlen. Wie sieht es also mit dem echten Glauben aus? Dazu eine Umfrage, die Marketagent für den STANDARD erstellt hat:
Den Top-Wert erzielt der Glaube daran, dass Jesus Christus gekreuzigt wurde, gestorben ist und begraben wurde. Kein Wort von “Sohn Gottes”, kein Wort von der magischen Wiederauferstehung. Das ist eher ein Bekenntnis zur historischen Figur Jesus Christus - egal, ob er wirklich so war, wie es Christen oft glauben. Und dieser Wert liegt schon unter 50 %.
Versteht mich nicht falsch: Ich will nicht so tun, als hätte das Christentum keinen Stellenwert mehr in Österreich. Und auch als Atheist ich bin absolut dafür, religiöse Gruppen ernst zu nehmen, auch wenn man ihren Glauben nicht teilt. Aber es sieht zumindest so aus, als hätte das Christentum in Österreich seinen Zenit überschritten.
Die Lobby der anti-säkularen Christen
Aber es gibt sie noch, die streng gläubigen Christen. Die, deren Glauben einen großen Stellenwert in ihrem Leben einnimmt. Und die auch der Meinung sind, dass Österreich ein christliches Land ist, das christlich geführt werden sollte.
Nennen wir es doch einfach das politische Christentum, in Anlehnung an den “politischen Islam”, der immer wieder als Feindbild verwendet wird. Ähnlich macht es Andrew Sullivan, wenn er die radikalen Christen in den USA unter dem Begriff “Christianism” zusammenführt. (Hier eine lesenswerte Analyse dazu, welchen Schaden das politische Christentum in den USA anrichtet.)
Die FPÖ mag sich zwar um die Christen bemüht haben. Mit der “Nächstenliebe” im Anti-Ausländer-Wahlkampf oder Heinz-Christian Strache, der bei seinen Hassreden gerne mal ein Kreuz als Kampfsymbol hochgehalten hat. Aber die Lobby der Christen liegt heute genau wie historisch woanders: Bei der angeblich “christlich-sozialen” Partei, der ÖVP.
Die Kurz-Partei hat Christen in letzter Zeit wieder öfters zugezwinkert als sonst.
Im Lockdown, als viele Bereiche des öffentlichen Lebens zugesperrt wurden, durften Kirchen offen bleiben, Schulen aber nicht. Dabei sind Gottesdienste Superspreader-Veranstaltungen: Überdurchschnittlich altes Publikum trifft sich in geschlossenen Räumen, um gemeinsam zu singen. Mag sein, dass Glaubenseinrichtungen für viele Menschen sehr wichtig sind. Gerne auch wichtiger als Restaurants, I get that. Aber diese Entscheidung war nicht sachlich, sondern Virtue Signalling für Christen.
Besonders skurril war, dass einige ÖVP-Politiker im Advent zusammen im Parlament gebetet haben. Diese Forderung wird zurecht als “politischer Katholizismus” bezeichnet. Dass ein Parlament kein Ort des Glaubens sein sollte, versteht sich in zivilisierten Staaten von selbst - aber es gibt eine Fraktion rund um die ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler, die das anders sieht. Kugler kann man nur als radikale Christin bezeichnen, die sich seit Jahren positioniert wie die US-Republikaner. (Ist mir damals schon beim KURIER aufgefallen.)
Gleichzeitig nehmen zwei ÖVP-Ministerinnen eine Forderung auf, die von religiösen Abtreibungsgegnern seit Jahren aufgestellt wird: Es soll eine Abtreibungsstatistik geben. Zwar ist Transparenz nicht grundsätzlich falsch, aber der Gedanke ist klar. Wenn man weiß, wie viele Abtreibungen durchgeführt werden, weiß man auch, wie viele “Babys ermordet werden” und wie man bessere Propaganda dagegen formulieren kann. Nicht ohne Grund wird diese Statistik ausschließlich von Gegnern gefordert. Dass gerade zwei junge ÖVP-Frauen diese Forderung nun diskutieren wollen, ist seltsam, aber wieder ein Signal an das politische Christentum. Bleibt zu hoffen, dass die Grünen ausnahmsweise nicht umfallen.
Der Aufbau des politischen Christentums
Das alles ist kein Zufall. Es gibt demographische Trends, die in eine Richtung gehen, die konservativen Parteien tendenziell schadet. Jüngere Menschen sind weniger religiös, progressiver und finden Klimaschutz wichtiger. (Schon klar, dass das nicht für alle gilt - es ist ein Trend, keine absolute Wahrheit.)
Wenn man also eine Wählerklientel hat, die nicht mehr relevanter werden dürfte, gibt es nur zwei Arten, damit umzugehen:
Den gesellschaftlichen Wandel mitmachen und sich selbst ändern
Politik für die eigene Wählergruppe machen, bevor es zu spät ist
Die ÖVP hat sich für die zweite Strategie entschieden. Wenn jetzt noch ein Abtreibungsregister kommt, man im Parlament beten kann und die Sonderstellung der Kirchen unterstrichen wird, schiebt das die politische Debatte in eine pro-religiöse Richtung. Das zeigt sich auch in der Rhetorik: Als die türkis-grüne Bundesregierung präsentiert wurde, sprach Sebastian Kurz ganz bewusst davon, “die Schöpfung zu bewahren”. Man könnte auch “Klimaschutz” dazu sagen, aber das verärgert die Spender und hilft nicht bei den Christen.
Das mag etwas lächerlich klingen, aber die Art, wie sich Politiker positionieren, ist wichtig. Wenn Donald Trump als US-Präsident keine Maske trägt, verdeutlicht das vielen Amerikanern, dass das in Ordnung ist. Und wenn sich die ÖVP als mit Abstand stärkste Partei regelmäßig als christliche Partei eines christlichen Staates positioniert, baut sie auch das Image auf, als wäre das richtig.
Säkularität ist eine rote Linie
Das Problem ist: Beides stimmt nicht. Österreichs Geschichte mit der Trennung von Kirche und Staat ist oft beschämend schwach, aber trotzdem gilt dieser Grundsatz. Wir sind kein Land, in dem Religion bestimmt, wie wir zusammenleben.
Und wir sollten es auch nicht werden. Gleichzeitig ist die ÖVP keine christliche Partei. Gute Christen machen keinen Anti-Ausländer-Wahlkampf und schieben sogar 100 Corona-Tote am Tag auf die bösen Migranten. Nächstenliebe würde nicht zulassen, dass man Flüchtlingscamps auf Lesbos zulässt, ohne zu helfen. In vielerlei Hinsicht stehen die Politiker, die sich als die Lobby der Christen positionieren, für alles, was das Christentum ablehnt - aber mit der richtigen Kommunikation ist das kein Problem. Gläubige und Skeptiker schließen sich halt doch manchmal aus.
Wir sollten im Auge behalten, wie sich die ÖVP da positioniert. Denn wenn man einen kleinen Teil einer Wählergruppe gezielt aufbaut, kann er schnell dominant werden. Das konnten wir im letzten Jahrzehnt beobachten, als die FPÖ “ein paar Ausländerfeinde” zu einer großen gesellschaftlichen Gruppe aufgebaut hat. Oder an den USA, in denen gerade ein großer Teil der Gesellschaft nicht anerkennt, dass Joe Biden die Wahl gewonnen hat - auch, weil evangelikale Christen das glauben.
Wenn also das nächste Mal im Parlament gebetet wird, sollten wir darauf hinweisen, dass das so nicht geht. Wir sind ein säkulares Land, und weil wir in Österreich sind, wird das oft schlampig durchgeführt. Aber das heißt nicht, dass diese Aufweichung der Trennung von Politik und Religion irgendwie okay wäre. Geben wir dem politischen Christentum keine Chance, überhaupt zum Mainstream zu werden. Denn solche Kulturbrüche passieren oft schneller, als man denkt.
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