Es liegen Namensänderungen in der Luft. Und nein, das wird jetzt kein politischer Newsletter über die Frage, ob die Volkspartei jetzt wirklich einen Schattenkanzler Kurz hat oder Alexander Schallenberg selbständig ist. Bei innenpolitischen Themen allgemein und bei ÖVP-Themen im Speziellen ist es manchmal nicht nötig, zu schreiben, was schon alle geschrieben haben. Vor allem, weil es sich sehr schnell wieder ändern kann.
Die ÖVP hat aber etwas mit dem heutigen Thema gemein: Die meisten Menschen haben sich für sie entschieden, viele sind heute unzufrieden damit und wahrscheinlich wird sie trotzdem auf absehbare Zeit nicht weggehen. Nur meine ich nicht die Volkspartei, sondern, you guessed it: Facebook.
Was war jetzt schon wieder?
Die letzten Wochen waren hart für die Plattform. Und ja, das könnte man natürlich mittlerweile so gut wie jeden Tag über Facebook schreiben, aber gerade jetzt steht der Konzern unter besonders kritischer Beobachtung.
Nach den Enthüllungen der Whistleblowerin Francis Haugen - den Facebook Files - ist klar, dass Facebook über enorme Probleme mit der eigenen Plattform Bescheid weiß und trotzdem nichts dagegen tut. Darunter sind Belege dafür, dass die Plattform über Desinformation Bescheid wusste und Hinweise darauf, dass die Mental Health von jungen Frauen durch Instagram leidet. (In den Berichten geht es um Frauen, aber ich würde wetten, dass das auch für Männer gilt.)
Während Haugen im US-Kongress aussagt, kämpft Mark Zuckerberg aber an einer ganz anderen Front: Im Kampf gegen Apple. Der Platzhirsch am Smartphone-Markt hat Facebook ja seit Monaten den Kampf angesagt und gibt iPhone-Nutzer:innen die Möglichkeit, Tracking zu verhindern. Dadurch leidet das Geschäftsmodell vieler großer Plattformen, die von Werbung abhängig sind - bei Facebook sagt man dazu: “We Need to Have This Knife Fight”.
Und als wäre das alles nicht genug, wurde kürzlich auch die Liste der “gefährlichen Individuen und Organisationen” geleakt, mit der Facebook steuert, wer zensiert wird. “Zensieren” soll hierbei gar nicht nur negativ gemeint sein - hier geht es auch um Gruppen wie die Taliban oder Neonazis. Interessanterweise findet man auch einige österreichische Gruppierungen in der Liste. Man kann sich denken, warum. Hier gibt es die gesamte Liste zum Schmökern.
Und weil ich gefühlt schon 100x über Facebook geschrieben habe und es für manche sicher schon schwierig wird, hier eine unvollständige Liste von Facebook-Skandalen, die man am Schirm haben sollte.
Facebook …
behauptet, alle User gleich zu behandeln. Die Realität sieht anders aus.
weiß Bescheid, dass Impfgegner:innen die eigene Plattform als Propagandakanal nutzen. Wer seine Nachrichten von Facebook bekommt, impft sich in den USA seltener als jemand, der sie von Fox News bekommt.
bekommt die Moderation der Inhalte nicht in den Griff und holt sich Hilfe von einer der größten Beratungsfirmen, deren Mitarbeiter:innen davon traumatisiert werden.
hat eine unrühmliche Rolle im Militärputsch in Myanmar und wurde unter anderem dazu verwendet, Massenmorde zu verherrlichen oder sogar zu organisieren.
wusste schon früh, dass die Verschwörungstheoretiker:innen von QAnon auf den eigenen Kanälen stark wachsen. Es war einfach egal.
hat den Algorithmus verändert, um Interaktion zu fördern. Die Folge war politische Polarisierung.
geht nicht ausreichend gegen Verbrechen, Terrorismus und ähnliches vor.
verliert immer wieder die Daten der eigenen User.
Und da reden wir noch nicht mal von Instagram oder WhatsApp.
Für all das glaubt Facebook jetzt anscheinend, eine Lösung gefunden zu haben.
Angeblich steht eine Namensänderung an.
Facebooks Sprung ins Metaverse
Damit antwortet der Konzern auf sein strategisches Dilemma: Während man alle Ressourcen, die man hat, weg von Social Media hin zum Ausbau von Augmented und Virtual Reality schiebt, um eine “Metaverse Company” zu werden, hören die Probleme des Social-Media-Geschäfts einfach nicht auf. Ist auch logisch: Wer eine Plattform mit über zwei Milliarden aktiven Nutzer:innen aufbaut und diese dann kaum mehr aktiv betreut, weil das Interesse plötzlich woanders liegt, wird damit für Konflikte verantwortlich sein, die sich nicht wegignorieren lassen.
Man muss sich übrigens nicht schlecht fühlen, wenn man „Metaverse Company“ noch nicht versteht. Das neue Geschäftsmodell von Facebook existiert nämlich de facto noch nicht. Der Begriff Metaverse geht zurück auf die Science-Fiction-Vorstellung, in der Menschen vor einer dystopischen Realität in eine virtuelle Welt fliehen, um stattdessen dort ihre Zeit zu verbringen.
Facebook investiert seit Jahren in diesen Bereich und bastelt bereits an Lösungen für virtuelle Arbeitsplätze. Momentan sehen diese aber grafisch noch aus wie auf einer Nintendo Wii.
Der Fokus ist mutig und wahrscheinlich auch richtig. Man sagt zwar schon ewig, dass VR das nächste große Ding ist und unmittelbar bevorsteht, und es gibt trotzdem noch keine Mainstream-Lösungen dafür - aber sich den Platzhirsch-Status in einem Zukunftsthema zu sichern, ist rein unternehmerisch sicher schlau.
Die Probleme, die Facebook hat, haben mit dem alten, dem „früheren“, aber de facto auch noch aktuellen Kerngeschäft zu tun: Die Social-Plattformen werden nicht ausreichend moderiert, sogenannte „bad actors“ (corporate für „schlechte Menschen”) nutzen sie für verbotene politische Werbung und Desinformation und so nebenbei scheint auf der Plattform niemand mehr Spaß zu haben, dessen Hobby nicht Hassrede ist. Wie die Facebook Files zeigen, weiß der Konzern das auch, aber tut bewusst nichts dagegen.
Medienberichte, Kongressanhörungen, Antitrust-Verfahren - all das geht zurück auf die Unternehmensführung von Mark Zuckerberg. Andere Technologie-Konzerne würden sich nach so einer Performance von einem Chef trennen.
Das Blöde ist nur: Mark Zuckerberg ist Facebook, und er müsste sich selbst entmachten, um das Feld freizumachen. Und wenn man den eigenen Vorsitz nicht austauschen kann - dann eben den Namen.
Wie Facebook in Zukunft heißen könnte
Ein logischer neuer Name wäre “Horizon”, da Facebooks neueste Projekte im VR-Bereich Horizon Workspace und Horizon Worlds heißen. Ein Name, der visionär klingt und mit der funktionierenden Sparte des Konzerns assoziiert wird, könnte positive Assoziationen wecken und würde rein intuitiv auch zum bisherigen Narrativ von Facebook passen: „Building meaningful connections“.
Eine andere Möglichkeit wäre “Meta” - damit hätte man das Metaverse quasi schon im Namen. Dafür spricht auch, dass meta.com bereits reserviert sein dürfte:
“The web address meta.com currently redirects to meta.org, the home of a biomedical research discovery tool developed under the stewardship of the Chan Zuckerberg Initiative, which is co-founded by the Facebook CEO.” One of my Twitter followers, Neil Shankar, noted that someone has spent the past six or eight months scooping up lots of “meta” URLs, including strange ones: meta.accountant, that sort of thing.
Offen bleibt auch, wie wirkungsvoll dieser Namenswechsel wirklich ist. Google hat bereits einen ähnlichen Schritt gemacht und heißt seit ein paar Jahren Alphabet - allerdings redet kaum einer unter diesem Namen über den Konzern, der alle Google-Produkte umfasst. Es heißt nicht Alphabet Drive, sondern Google Drive.
Momentan heißt es auch noch “Instagram by Facebook” - und nachdem Mark Zuckerberg nicht unbedingt bekannt dafür ist, zugekaufte Firmen wie WhatsApp ihr eigenes Ding machen zu lassen, wird sich das wohl nicht ändern.
Facebooks Namenswechsel löst kein strukturelles Problem
Horizon, Meta, Whistleblower Inc. - wie auch immer der neue Konzern heißen wird, der neue Name muss auch zu einem neuen Programm werden. Wenn weiterhin alle Probleme mit dem aktuellen Kerngeschäft nach hinten verschoben werden, muss uns der Namenswechsel nicht interessieren.
Wenn Facebook sich weniger auf Social Media und mehr auf Virtual Reality konzentrieren will, ist das der logische Move. Aber wenn am Ende aber trotzdem kein Problem im Social-Bereich gelöst wird, während VR immer noch ein absolutes Nischenphänomen ist, wird der Move auch nichts ändern.
Zuckerberg ist in keiner beneidenswerten Lage. Er reagiert auf Probleme an allen Ecken und Enden im Monster-Konzern, den er aus einer harmlosen Hot-or-Not-App geschaffen hat. Und ich bin mir nicht sicher, ob ein simpler Name Change nennenswerten Einfluss darauf haben wird, wie sich dieser weiter entwickelt.
Facebook muss seine strukturellen Probleme lösen und wird sich unweigerlich auch Antitrust-Verfahren stellen müssen, so viel ist sicher - aber wenn der Namenswechsel etwas bringt, werden wir in einigen Jahren nicht mehr zu viel daran denken, sondern mit unseren Horizon-Avataren schon längst über etwas anderes reden.
Damit einen schönen Nationalfeiertag