Willkommen zurück zu einem etwas regelmäßiger erscheinenden Newsletter! Ich war die letzten paar Wochen mit Wahlkampf beschäftigt und durfte austesten, wie mein schlaues Gerede in der Praxis funktioniert. Turns out: Sehr gut! In Wien haben wir ein liberales Rekordergebnis erzielt, was mich sehr gefreut hat. Jetzt kommt hier wieder etwas mehr Output. Was mich in letzter Zeit stark beschäftigt, ist der Aufstieg der Autoritären und was man ihm entgegensetzen kann – das ist der erste von einigen Texten dazu.
Es gibt gewisse Texte, die einen tagelang nicht loslassen. Texte, die etwas so auf den Punkt bringen, was man schon länger gespürt hat, aber noch nie so ausgedrückt hat wie die Person, die den Text geschrieben hat. Mir kommt sowas immer wieder vor allem bei den üblichen Kulturkampf-Themen unter, die uns jeden Tag im Internet begegnen, aber über die nur ein gewisses Genre an terminally online Journalisten schreiben kann – und davon gibt es ja gerade in Österreich immer noch zu wenige.
Der Text, der mich dieser Tage nicht loslässt, ist von Jeremiah Johnson und heißt Weak Men Create Hard Times – eine Referenz auf ein Bild, das wohl jeder kennt, der zwischen 2010 und 2020 zu viel online war:
Darin schreibt er einerseits über die Liebe schwacher Männer für genau dieses Narrativ – und darüber, wieso sie sich zu autoritären sprichwörtlichen „starken Männern“ hingezogen fühlen.
Ich bin schon länger der Meinung, dass junge Männer mit zu viel Freizeit und zu wenig sozialem Kapital der Hauptantreiber des rechten Kulturkampfes sind: Wer Geld hat, wer Freunde hat, wer einfach jemanden hat, der einen lieb hat, der braucht keinen Herbert Kickl oder Donald Trump, der ihm einen Schuldigen zeigt.
Gleichzeitig sind „Männerprobleme“ immer noch ein Thema, das eher defensiv behandelt wird, weil keiner der depperte Männerrechtler sein will, der so tut, als hätten es Frauen leichter. Ich habe mich trotzdem nach etwas mehr Nachdenkrunden als sonst an einen Text gewagt, der zwar exakt 0 Shares hatte, aber auf den mich ungefähr 100 Männer und eine Frau in meinem Umfeld lobend angesprochen haben. Wer das required reading für diesen Text hier nachholen will, bitte hier entlang:
Die Rache der jungen Männer
Junge Männer sind ein Problem. Oder? Wir wissen das vor allem aus Wahlergebnissen: Egal, wo man hinschaut, seit Jahren sind sie der Hauptgrund dafür, dass Rechte im Aufwind sind. Auch bei den Wahlen im letzten Jahr war das nicht anders: Die FPÖ und Donald Trump haben vor allem bei Männern abgeräumt.
Aber zurück zu „Weak Men Create Hard Times“.
In seinem Text startet Johnson mit Bezug auf das obige Bild mit folgendem Zitat:
This pithy aphorism has captured a popular view of history for as long as we’ve had the concept of history. The ancient Greek historian Herodotus himself wrote, “soft lands breed soft men; wondrous fruits of the earth and valiant warriors do not grow from the same soil.”
Modern right-wing populists are enamored with this idea. They’ll bemoan the state of the world, seizing on cultural flashpoints to point out that we live in extraordinarily hard times caused by the weakness of our leaders and our cultural elites.
But in reality, they’ve got it backward. We’ve been living in the good times. And they are weak men leading us back into the hard times.
Ich könnte so gut wie jedes Zitat aus dem Text klauen, aber ich fasse lieber eher zusammen. Johnsons These ist, dass das Narrativ der Autoritären ein guter Ausweg für Männer ist, die ihren Platz in der Gesellschaft nicht gut finden. Was auch zusammengefasst immer meine These war, aber Johnson legt noch einen drauf und weist zurecht darauf hin: Wir leben in den guten Zeiten. Sie werden nur langsamer besser, wenn du ein Mann bist.
Hier kommt dann mein einziges Disagreement mit Johnsons Artikel. Während er den Fehler macht, den viele aus den USA machen, und diese Männer als unbrauchbares Lumpenproletariat hinstellt, finde ich nicht, dass man diese Männer per se verurteilen sollte. Denn ein System abzulehnen, das nicht für dich arbeitet, ist verständlich.
Wer trägt die Schuld daran, dass sich so viele Männer nicht wohl mit einem System fühlen, das für mehr Wohlstand, Chancen und Gerechtigkeit sorgt?
Die Männer, weil sie zu deppert dafür sind? Oder vielleicht doch ein politisches System, das anscheinend nicht gut darin ist, sich selbst zu bewerben? Als politischer Kommunikator suche ich die Schuld da bei der Politik – gerade in den USA bin ich mir sogar sicher dabei.
Wenn sich ein Bürger nicht so fühlt, als würde sein Leben besser, ist er nie nur selber schuld. Ich bin sehr stark im Team „Jeder ist seines Glückes Schmied“ – wer hart arbeitet und Verantwortung übernimmt, kann sein Leben selbst in die Hand nehmen und besser machen. Aber es ist eben nicht für jeden leicht, und nicht jeder schafft es. Und oft ist dabei die Politik gefördert: Von Wirtschafts- und Arbeitsmarktfragen über Verkehrsthemen bis zur Frage, ob ich die Bildung habe, die ich brauche, um alle Chancen zu haben. Bürgern auszurichten, dass sie zu dumm wären, ist keine politische Strategie.
Ja, es gibt Probleme, die Männer betreffen und nicht genug behandelt werden. Männer sind die Opfer der Landflucht, weil niemand mehr da ist, um den Hof zu übernehmen. Männer werden öfter kriminell, Männer sterben früher, sowohl auf der Arbeit als auch außerhalb. Männer dürfen nach wie vor nicht über ihre Gefühle reden, sie dürfen nicht weinen, sie kämpfen mit Stigmas. Alles legitime politische Probleme, die man genauso wie feministische Themen mal in einer Talk Show behandeln könnte – wenn es die männlichen Vorbilder geben würde, die sich damit ins Fernsehen trauen, ohne Frauen die Schuld daran zu geben.
Stell dir vor, alles wird besser, und keiner kriegts mit. Genau das ist das größte Problem des Liberalismus, und es ist auch das Grundproblem von Regierungskommunikation. Nachrichten werden durch Konflikt getrieben, und Konflikt heißt meist, dass irgendjemand (etwa die FPÖ) sagt, dass alles immer scheiße ist. Zum Beispiel, weil Männer benachteiligt werden. Es reicht nicht nur, Dinge umzusetzen, die das Leben besser machen – es muss auch von normalen Leuten verstanden werden, die sich nur durchschnittlich wenig mit Politik beschäftigen.
Johnson ist da eher anderer Meinung. Man liest eine gewisse Verachtung heraus gegenüber jenen Männern, die selbst nichts auf die Reihe kriegen und dann anderen etwas wegnehmen wollen, um sich gut zu fühlen. Ich leugne nicht, dass es diese Menschen gibt. Aber ich glaube, wenn man gute Politik macht und einen gesunden gesellschaftlichen Umgang mit der Polarisierung unserer Zeit findet, dann muss das alles nicht so sein. Und Publikumsbeschimpfung hat selten geholfen. Wo Johnson aber recht hat:
Unser System der liberalen Demokratie inklusive Kapitalismus ist eine einzige Siegesserie.
Menschen werden reicher, sie haben mehr Dinge, die weniger kosten, der Lebensstandard steigt. Während ein großer Flatscreen-TV früher ein Statussymbol war, ist er jetzt normal, gleichzeitig lebt jeder von uns mit einer normalen Küche und Bad besser als so mancher König im 16. Jahrhundert.
Aber nicht nur wirtschaftlich wird das Leben besser, auch gesellschaftlich hat der Liberalismus beeindruckende Erfolge geschafft, wenn es um gleiche Rechte geht: Frauen im politischen und wirtschaftlichen Leben, Diskriminierungsschutz für Minderheiten, die Ehe für alle, etc. etc.
Diesen Siegeszug beobachten Männer in ihrem täglichen Leben: Vom schwarzen US-Präsidenten über die Female Ghost Busters bis zur Landflucht der im Schnitt gebildeteren Frauen sieht man überall, dass das gute Leben nicht mehr nur für Männer reserviert ist. Man könnte sogar zum gegenteiligen Schluss kommen: Während Feminismus eins der größten politischen Diskussionsthemen unserer Zeit ist und Konzerne ihre Profilbilder auf die Regenbogenflagge ändern, redet kaum jemand dezidiert über Männer.
Wie immer ein Disclaimer, weil man bei diesen Themen wirklich schnell in ein falsches Eck kommt: Das ist gut so! Dass man unabhängig von Hautfarbe, Religion, Geschlecht und sonstigen Identitätsmerkmalen alle Chancen hat, ist ein liberaler Grundwert und komplett geil. Aber – und jetzt gehen wir wieder zu Johnson über – vielen Männern kommt es so vor, als wäre der Fortschritt nur noch für die anderen da, nicht für sie:
This change wasn’t a problem for men writ large, the majority of whom handled the evolution in a normal way—going further in education, adjusting their career focus, adapting to new social norms, and generally succeeding. But while plenty of American men navigated this change successfully, many didn’t. Now there’s an entire male cohort who feel cheated that women or immigrants have gained status compared to them. They’re the losers, the depressed, the lumpenproletariat unable to adapt to a changing world. But they can’t outright say what they mean, so they go online to rant about foreigners and feminized workplaces.
Diese Entwicklung führt dazu, dass es in einer liberalen, globalisierten Weltordnung zwei Arten von Männern gibt:
Jene, die sich darauf einstellen und versuchen, das beste aus ihrem Leben zu machen. Die sich nicht davon gestört fühlen, wenn es anderen besser geht, weil sie an sich selbst, ihre Freunde und Familie denken – oder sogar an „das gute Leben für alle“.
Jene, die sich beraubt fühlen. Die glauben, „die Frauen“, „die Schwarzen“, „die Schwulen“ würden ihnen etwas wegnehmen. Unterstützt von einer politischen Elite, die auf alle schaut, nur nicht auf Männer – immerhin wird mein Leben nicht besser, während alle anderen so viel Aufmerksamkeit und Chancen kriegen.
Das führt mich zurück zur „Rache der jungen Männer“: Wer keine Lebenschancen hat, wird wütend. Und weil niemand der Böse in seiner eigenen Geschichte ist – eher ein tragischer Antiheld –, sucht man sich eben Sündenböcke, Ausreden und Narrative, die das bestätigen, was man selbst glaubt. Steve Bannon, der MAGA-Chefideologe, hat das verstanden:
„You can activate that army. They come in through Gamergate or whatever and then get turned onto politics and Trump.“
Das wahrscheinlich beste und gleichzeitig plumpe Beispiel können wir dieser Tage bei Kanye West beobachten. Früher einer der besten und meist gefeierten Rapper alive, behauptet dieser jetzt, ein Nazi zu sein. In seinem neuen Song, dessen Titel in Österreich verboten wäre und mit HH abgekürzt wird, sagt er wortwörtlich, worum es bei männlicher Radikalisierung eigentlich geht:
With All Of The Money And Fame
I Still Can’t Get My Kids Back
With All Of The Money And Fame
I Still Don’t Get To See My Children
N*ggas See My Twitter
But They Don’t See How I Be Feeling
So I Became A Nazi
Yeah Bitch I’m The Villain
N*gga H**l H*tler, N*gga H**l H*tler
They Don’t Understand The Things I Say On Twitter
N*gga H**l H*tler
Kürzer geht’s eigentlich nicht mehr: „Keiner versteht mich und ich darf meine Kinder nicht sehen, darum bin ich zum Nazi geworden.“ Beim Rechtssein geht es gar nicht so sehr darum, dass man eine Art ideologisches Programm hat, sondern auch oft einfach darum, edgy und „dagegen“ zu sein – „the villain“ eben, wie es Kanye West sagt.
Und genau diesen Reflex, alles anzuzünden, was gegen mich ist und mich in meinem Leben einschränkt, haben so viele andere Männer.
Und ja, ich hör euch durch die Tastatur, eh auch Frauen – aber so viel öfter eben doch Männer. Die digitalen Ansprechpartnerinnen für Frauen sind „Women Support Women“ Netzwerke, feministische Podcasts und Feelgood-Instagram-Accounts, während wir Männer Joe Rogan, Ben Shapiro und Andrew Tate haben, zusätzlich zu 100.000 gescheiterten Influencern, die in ihrem Abstieg Republikaner werden, weil die verlässlich klicken.
Diese gesamte Bubble, vom Influencer zum US-Präsidenten, vom FPÖ-Ortsfunktionär bis zum rechtsradikalen Ideologen, holt Männer mit ein- und demselben Gefühl ab: Die Elite arbeitet für „die anderen“, nicht für dich. Darum komm mit und zünde alles mit uns an. Scheißegal, ob das Leben zerstört und die Wirtschaft krachen geht – darum geht’s einfach nicht, wie Johnson schreibt:
The appeal of Trumpism is that it harkens back to the masculinity of a previous era. Forget the bulls—t jobs held by armies of liberals. What America’s economy really needs is blue-collar men doing masculine labor in places like steel factories, manufacturing plants, and coal mines. If tariffs help accomplish that, we should do tariffs. It’s incel thought as economic ideology.
Wir sind in der luxuriösen Situation, dass wir dieses Problem noch nicht spüren. Bei uns ist die FPÖ zwar Erster geworden, aber an der Regierungsbildung gescheitert. Diese Warnung klingt immer noch abstrakt, aber das sollte sie nicht sein. Herbert Kickl ist genau wie Donald Trump, nur jünger und damit noch länger eine Gefahr für die Demokratie.
Es hat nicht viel gefehlt, und es wäre eine Partei an den Schalthebeln, die Österreich zu Ungarn machen will: Einem verarmenden, korrupten Staat, in dem Steuergeld nur dazu dient, die Freunde der Partei zu ernähren, während das Bildungs- und Gesundheitssystem krachen geht. In dem die Leugnung der Wissenschaft zum Klimaschutz-Programm wird. Und in dem eine Partei, die einen Freundschaftsvertrag mit Vladimir Putin unterschrieben hat, Zugriff auf die Geheimdienste hätte.
Wir wissen nicht, was in den nächsten Jahren passiert. Wenn die FPÖ die nächste Nationalratswahl noch deutlicher gewinnt und eine noch schwächere ÖVP mit ihr koaliert, könnte das alles Realität werden. Und die Basis dafür liefern genau die jungen Männer, die das alles gut finden – denn es ist die Abrissbirne für ein System, das ihnen Sicherheit und Wohlstand bietet, aber nicht gefühlten Wohlstand und Sicherheit.
Es gibt jetzt ein paar Jahre noch die Möglichkeit, dieses Szenario abzuwenden.
Aber dafür brauchen wir eine Politik, die Reformen liefert, die spürbar das Leben besser machen und eine politische Kommunikation, die auch jungen Männern zeigt, dass da jemand auf sie schaut. Der beste Fortschritt bringt nichts ohne das Gefühl, dass die Zukunft besser wird. (Side Note: Dass wir NEOS die einzige Partei sind, die neben der FPÖ konstant dazugewinnt – bei der Wien-Wahl sind wir gerade erst zweistellig geworden –, zeigt mir, dass an dieser These etwas dran ist und dass wir das ganz okay gemacht haben.)
Gleichzeitig ist das auch ein gesellschaftliches Problem. Wir müssen wieder anfangen, miteinander zu reden. Denn wenn wir es nicht tun – wenn wir die wütenden Männer nicht abholen –, dann tut es die FPÖ. Und das ist eine der größten Stärken der Rechten international: Du darfst einfach dabei sein, egal wie du redest, woher du bist und was du glaubst. Das müssen wir auch außerhalb der Politik wieder lernen. Sonst fördern wir die Parallelgesellschaft, die Kickl und Co. in der Pandemie aufgebaut haben.
Zum Schluss noch einmal Johnson, der am Ende seines Artikels den liberalen Autoren Francis Fukuyama zitiert:
Experience suggests that if men cannot struggle on behalf of a just cause because that just cause was victorious in an earlier generation, then they will struggle against the just cause. They will struggle for the sake of struggle. They will struggle, in other words, out of a certain boredom: for they cannot imagine living in a world without struggle. And if the greater part of the world in which they live is characterized by peaceful and prosperous liberal democracy, then they will struggle against that peace and prosperity, and against democracy.
Johnsons Lehre daraus:
Americans live in the most powerful and most prosperous country during the most prosperous age in human history, and weak men are furious because of their own inability to maintain the top status in this blessed nation. If good times create weak men, they are the weak men—unable to live with success, struggling purely for the sake of struggle. They don’t feel loved or appreciated enough by society, so they’re burning it down just to feel some warmth.
Ich glaube, das ist nicht nur ein amerikanisches Problem. Und wenn wir nicht bald einen konstruktiven Umgang mit „Männerthemen“ finden, läuft der Trump-Film auch bald in unseren Kinos.