Was für (und gegen) Kickl spricht
Eine Kickl-FPÖ wäre noch weiter weg von der Realität. Aber spricht das wirklich dagegen?
Fragt ihr euch auch ab und zu, ob mediale Debatten wirklich stattfinden oder nur aufgebauscht sind? So ging es mir anfangs zumindest mit dem Rücktritt von Norbert Hofer und das angebliche Rennen um seine Nachfolge.
Im STANDARD z. B. an erster Stelle Harald Stefan, der mit 55 Jahren der älteste Stellvertreter ist und damit automatisch nachgerückt ist. Jetzt wird man sich hauptsächlich fragen: Wer? Und damit hätte man nicht unrecht: Denn wenn man sich zwischen einer Marke wie Herbert Kickl und einem relativ unbekannten Nationalratsabgeordneten entscheiden muss, sollte die Entscheidung nicht schwer fallen.
Persönlich zweifle ich nämlich überhaupt nicht daran, dass Herbert Kickl die FPÖ übernehmen wird. Aber wenn man sich die Frage nach der Hofer-Nachfolge näher anschaut, bemerkt man doch, dass es gute Argumente dagegen gibt. Die Frage ist: Werden sie reichen?
Kickls Potenzial
Das traditionelle Argument für Herbert Kickl ist wohl die Erfahrung. Er kennt die Partei seit 2005 - er ist also gleich lange in der Bundespolitik wie Heinz-Christian Strache, der über 5.000 Tage lang Bundesparteiobmann der FPÖ war. (Das ist überraschenderweise nicht Platz 1 - Friedrich Peter war 20 Jahre lang Parteichef.)
Damit kennt Kickl die Partei in- und auswendig und darf nicht nur auf allgemeine “politische Erfahrung” verweisen - ist ja nicht ganz unwichtig, den Nationalrat schon mal von innen gesehen zu haben -, sondern auch wissen, auf welche Gruppen er innerhalb der eigenen Reihen schauen muss. Zu wissen, welche Interessensgruppen es in der Partei gibt, auf wen man Rücksicht nehmen muss, wer sich für welche Posten positioniert - das ist das klassische politische Handwerk. Und es gibt vermutlich wenige, die in der FPÖ länger daran gearbeitet haben als Herbert Kickl.
Dazu kommt, dass Kickl gerade der Front-Runner der Corona-Leugner und -Verharmloser sein dürfte. Diese Gruppe ist nicht wahlentscheidend, aber zumindest ein relevanter Wählerpool: Das zeigen sowohl Umfragen zur Impfbereitschaft und Teilnehmerzahlen der Coronaleugner-Demos als auch die Daten des Austrian Corona Panel Projects. Der Innenpolitik-Kenner Josef Votzi schreibt über diese Positionierung Kickls im TREND:
Das ehemalige Mastermind von Jörg Haider und Heinz-Christian Strache weiß um die prekäre Lage seiner Partei nach Ibiza und kalkuliert kaltblütig strategisch: Das Monopol auf den Anti-Ausländerkurs bleibt durch Sebastian Kurz und die Türkisen gebrochen. Will sich die FPÖ nach ihrem Absturz auf 16 Prozent am Wählermarkt wieder besser platzieren, braucht sie ein neues Thema und neue Wählergruppen. Kickls Feldzug gegen den "Anti-Corona- Wahnsinn" verspricht beides. Die Folgen des Virus werden wirtschaftlich noch über Jahre massiv spürbar sein.
Herbert Kickl spielt immer wieder mit der Angst vor einem “Impfzwang”, postet auf YouTube Videos gegen die Impfung und verharmlost das Coronavirus, wo er immer nur kann. Er trägt im Parlament keine Maske und hat seine Partei dazu gebracht, es ihm gleich zu tun - übrigens auch, nachdem Norbert Hofer gesagt hat, dass die Maske getragen werden sollte. Wenn es nach ihm geht, braucht es keine Lockdowns, keine Maßnahmen, keine Masken, keinen Ab- und keinen Anstand. Kurz gesagt: Herbert Kickl steht für eine weitere Abkehr von der Realität.
Die Alternative zu Kickl
In der medialen Berichterstattung rund um das langsame Absägen des Norbert Hofer war immer wieder die Rede von zwei “Lagern”. Diese waren im Wesentlichen das extremere Lager des Herbert Kickl und das von Hofer. Dieses wird oft als “moderat” beschrieben - was schon etwas lustig ist, wenn man sich an diverse Hofer-Sager erinnert:
Ich fürchte mich nicht vor Corona. Corona ist nicht gefährlich. Da ist der Koran gefährlicher.
Das beste Argument gegen Kickl dürfte allerdings auch von dem konstatierten zweiten FPÖ-Lager kommen, wie man es auch immer nennen mag. Denn einige in der Partei stellen sich wohl auch die Frage, wie groß das Wählerpotenzial des extremsten Mannes der Freiheitlichen ist.
Mit dieser Rechnung kann ich viel anfangen, und sie lässt Kickl merkwürdigerweise auch für mich attraktiver wirken. Denn als Staatsbürger sehe ich das aus einer recht einfachen Sicht: Je weiter die Freiheitlichen von der Macht weg ist, desto besser für das Land. (Ähnlich und etwas weniger drastisch sehe ich das auch bei der ÖVP so - aber die war bis vor Kurzem einfach kompetenter im Umgang mit Macht.)
Die FPÖ mag ein Monopol auf die Coronaleugner haben - aber wie relevant wird das noch sein, wenn diese Gruppe im Herbst die Intensivstation für sich hat, während der Rest ein halbwegs normales Leben führen kann? Spätestens wenn jeder sehen kann, dass es kein Massensterben unter Geimpften gibt und alle Verschwörungstheorien sich als falsch herausgestellt haben, werden einige Coronaleugner zweifeln. Und wenn nicht, dann werden sie zumindest nicht nur auf Basis ihrer Meinungen von rechten Verschwörer-Blogs wählen. Das könnte Kickls Achillesferse werden: Spinner alleine reichen nicht für eine Mehrheit. Wieder Votzi:
Sympathieträger, das weiß er selber, ist er keiner. Kickl ist der Hero der blauen Funktionäre und freiheitlichen Stammwähler. Damit kann es der FPÖ gelingen, sich nach dem Absturz auf 16 Prozent in der Gegend von 20 Prozent zu stabilisieren. Ein Wählermagnet, der die FPÖ für bürgerliche Wähler im Mitte-Rechts-Spektrum wieder attraktiv macht und so jenseits der 20 Prozent führt, ist der Kärntner nicht und wird es auch nie werden.
Insofern wäre die strategisch klügere Wahl vermutlich die des Lagers, dem Norbert Hofer, Manfred Haimbuchner und Dominik Nepp zugeordnet werden. Aber Hofer ist raus und Haimbuchner winkt ab - auch, weil er mit der Landtagswahl in Oberösterreich im Herbst noch selbst genug zu tun hat. Dieser hat schon gezeigt, dass er Kickl nicht unterstützen dürfte: "Nach derzeitiger Sicht würde ich hier eine offensive Unterstützung nicht kundtun”, sagte er dem ORF.
Bleibt Dominik Nepp. Dieser hat zwar schon gegen Strache gezeigt, dass er nicht komplett unvorbereitet ist - aber gerade außerhalb Wiens scheitert es vorerst an der Bekanntheit. Außerdem kommt er aus genau der Wiener Landesgruppe, die in der FPÖ unter Strache lange alles dominiert und die Partei dann in den Abgrund mitgerissen hat. Ob die Freiheitlichen bereit sind, so schnell wieder einen Wiener aufzustellen?
Fazit
Ich glaube, dass es Herbert Kickl werden wird. Die Demontage von Norbert Hofer war zu offensiv und offensichtlich, als dass dieses Projekt jetzt noch scheitern könnte. Das zeigt auch diese Anekdote im STANDARD:
FPÖ-Klubchef Herbert Kickl hatte Hofer in seiner Auszeit wenig Ruhe gelassen. Der frühere Innenminister verkündete, im Fall einer Neuwahl als Spitzenkandidat auch selbst zur Verfügung zu stehen. Hofer konterte aus der Reha: "Wenn die Katze aus dem Haus ist, haben die Mäuse Kirtag." Doch Kickl schlug prompt zurück: Die Situation erinnere ihn an "Tom und Jerry" – jene ziemlich brutale Kindersendung, in der die Katze stets das Nachsehen hat.
Es gibt offensichtlich genug Fans in den eigenen Reihen, die Herbert Kickls Anti-Hofer-Kurs und den Ruck weg von der Realität unterstützen. Oder dazu zumindest schweigen können. Rein strategisch wäre es aber klüger, einen Kandidaten zu finden, der auch in der Mitte Wähler abholen kann. Denn Norbert Hofer hat 2016 bewiesen, dass die FPÖ auch Potenzial für ein freundliches Gesicht hat - wenn es also einen “neuen Hofer” gibt, könnte man diesen durchaus vor Herbert Kickl nennen.
Da aber niemand in Aussicht ist, wird sich die Partei wohl auf den Extremkandidaten einigen und endgültig die Partei der Verschwörungstheoretiker. Bleibt nur zu hoffen, dass das Wählerpotenzial dieser Gruppen wirklich unter 20 % bleibt.