Wer traut sich noch Hot Takes zu?
As is tradition: Mehr oder weniger unwahrscheinliche Prognosen für 2022
Unter eSports-Fans gibt es eine kleine Tradition, bei der ich jedes Jahr wieder mitmache. Auf Reddit, wo sich die Diskussion dazu abspielt - ist ja immer noch nischiger als „echter“ Sport -, wird immer kurz vor Jahresende gefragt, was denn so die Hot Takes für das nächste Jahr wären. Meine Predictions treffen selten zu. Aber wenn, genieße ich am Ende des Jahres immer einen kleinen Dopaminrausch.
Sind wir uns ehrlich: Es ist schon geil, Dinge als Erstes zu wissen. Und bei allen innenpolitischen Krisen, die in Österreich ja mittlerweile etwas zu häufig geworden sind, wird in diversen Gruppenchats „You heard it here first“ geschrieben, um zu beweisen, wie informiert man ist. (Und ja, mit „man“ meine ich gerade hauptsächlich mich.)
Stellt euch vor, ein innenpolitisch gut vernetzter User hätte Anfang des Jahres folgendes getwittert:
Hot Takes für 2021 - Ein Thread.
Am Ende des Jahres werden sowohl Sebastian Kurz, als auch Rudolf Anschober zurückgetreten sein. Die türkis-grüne Koalition wird aber weitergeführt, es gibt keine Neuwahlen. (1/5)
Durch die Veröffentlichung von Chatprotokollen treten nicht nur Sebastian Kurz, sondern auch weitere ranghohe ÖVP-Politiker:innen zurück, unter anderem Gernot Blümel. (2/5)
Die Corona-Impfungen werden von etwas mehr als 60 % der Österreicher:innen angenommen. Das hilft - aber nicht genug, um einen neuen Lockdown im Winter zu verhindern. (3/5)
In Oberösterreich schafft eine Impfgegner:innen-Partei den Einzug in den Landtag und erzielt ein besseres Ergebnis als die NEOS. In bundesweiten Umfragen schafft sie den Einzug ins Parlament. (4/5)
Gegen Ende des Jahres wird die SPÖ in so mancher Wahlumfrage führen. Pamela Rendi-Wagner wird sie nach wie vor anführen. (5/5)
Die meisten hätten diese Person ausgelacht. Aber jetzt könnte sie diesen Tweet auspacken und behaupten, es besser gewusst zu haben. So geht es mir heute z. B. mit meinem Artikel vom 4. Jänner 2021, in dem ich angezweifelt habe, dass es in diesem Jahr zu Neuwahlen kommt. Einfach verdiente 10 € durch eine Wette darauf.
Oder dieser Tweet, der mir zum Jahresende 2017 (als die rot-schwarze Regierung Geschichte war) noch besser gefallen hat:
Laut meiner User-Befragung (hint hint) abonniert ihr Schetts Update für vieles, aber nicht für investigative Recherche. (Meine Lieblings-Beschreibung für diesen Newsletter ist: „Gut informiert, lustig und hinterfotzig.“) Und daher dachte ich mir, ich kann mir hier ruhig ein paar Hot Takes erlauben.
Also, reden wir über Hot Takes!
Im vollen Bewusstsein, dass jede dieser Behauptungen für sich genommen sehr unwahrscheinlich ist, stelle ich einmal ein paar Thesen auf, die im nächsten Jahr passieren könnten und die ich zumindest für underrated halte. Das heißt nicht, dass ich darauf wetten will, sondern nur, dass sie als unwahrscheinlicher gesehen werden, als sie sind.
Im Jahr 2022 wird es in Österreich Neuwahlen geben. Die ÖVP wird mit Karl Nehammer in die Wahl zielen, in den Bundesländern ihre Mobilisierungs-Kompetenz zeigen und nach wie vor ein starkes Ergebnis erzielen, aber nicht mehr gewinnen. Eine Mehrheit gegen die Volkspartei ist möglich.
Die FPÖ setzt weiter auf Verschwörungstheorien und packt mindestens eine weitere komplett realitätsferne Erzählung aus, z. B. Deep State, Chemtrails oder Bevölkerungskontrolle. Einige ranghohe Parteimitglieder distanzieren sich davon, trotzdem fällt die Partei nie unter 15 %.
Okay, kommen wir zu den hottesten Takes: Die Bundespräsidentenwahl steht an!
Falls Van der Bellen antritt: Mindestens zwei von fünf Parlamentsparteien verzichten darauf, einen eigenen Kandidaten für die Bundespräsidentschaftswahl aufzustellen. Sie unterstützen stattdessen Alexander Van der Bellen, sofern dieser antritt.
Falls Van der Bellen nicht mehr antritt: Die SPÖ nominiert Doris Bures, Norbert Hofer probiert es doch noch einmal. Beide verlieren gegen die von der ÖVP nominierte Kandidatin: Brigitte Bierlein.
Die SPÖ lässt sich auf eine neue Parteispitze ein, und die heißt nicht Hans-Peter Doskozil. Pamela Rendi-Wagner steht als Gesundheitsministerin einer wie auch immer lautenden neuen Regierung zur Verfügung.
Obwohl wir nach wie vor viele Impfgegner:innen haben, die auch die Impfpflicht ignorieren, wird der nächste Winter nicht mehr so schlimm wie 2020 und 2021, weil es Medikamente o. ä. gegen das Coronavirus gibt.
Zur Omikron-Welle mache ich übrigens bewusst keine Hot Takes, weil es irgendwie zynisch ist, darauf zu wetten, wie viele Menschen sterben werden. Sagen wir nur: Ich habe zumindest Hoffnung, dass die „mildere Verläufe“-Beobachtungen halten werden und wir zwar viele Fälle, aber nicht vergleichbar viele Tote haben.
Wenn ihr Lust habt, euch am Ende des Jahres schlau fühlen zu können, schreibt mir eure Hot Takes entweder in den Kommentaren - I know, Substack verlangt eine Registrierung und es ist mega mühsam - oder schreibt sie mir einfach als Antwort auf diese Mail oder auf Social. Wenn genug interessante reinkommen, gibt es vielleicht noch ein Update dazu.
Ansonsten war das hier das letzte Update in diesem Jahr. Wenn ihr diesen Newsletter mögt und mir kurz aushelfen wollt, könnt ihr mir gerne über die User-Befragung Feedback geben und Ideen liefern. Ich freu mich auch immer, wenn jemand auf diese Mails antwortet, egal ob es um sachliche Debatte oder Meta-Kritik geht. Das hier ist nur ein Nebenprojekt und kein monetarisiertes Projekt, und es ist schön, dass mir das immer noch nicht zu fad geworden ist - und euch scheinbar auch nicht.
In diesem Sinne: Guten Rutsch, wir lesen uns 2022.
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📹 Ein komplett absurdes Wahlvideo. Der neu gewählte chilenische Präsident Gabriel Boric, der in den meisten Medienberichten als “linker Millennial” bezeichnet wird, hat einen Spot, den ich euch nicht vorenthalten will. (Twitter)
🏛️ Das Vertrauen in den Staat bröckelt. Das NEOS Lab hat einen lesenswerten Beitrag über den Demokratie Monitor geschrieben. Zum ersten Mal vertraut eine Mehrheit der Österreicher:innen dem politischen System nur wenig oder gar nicht.
⌛️ Im Wahlkampf 2017 hat die Innenpolitik die Moral endgültig verlassen. Das schreibt Martin Thür auf seinem Blog, in dem er super zusammenfasst, wie die Festplatte von Thomas Schmid Sebastian Kurz zu Fall gebracht hat. Ein guter Reminder dafür, dass alle drei großen Parteien der Nationalratswahl 2017 shady Geschichten am laufen hatten: Die SPÖ mit Tal Silberstein, die ÖVP mit Thomas Schmid und die FPÖ mit Strache und Gudenus auf Ibiza.
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