Wie die FPÖ das Playbook der Republikaner klaut
Zuerst gezielt spalten, dann "Spalter" schreien.
Ich hatte mal einen Freund, der polit-interessiert war, aber sich nicht wirklich politisch auskannte. Er diskutierte gerne aktuelle Themen mit mir, fürchtete sich aber regelmäßig komplett unrealistische Worst-Case-Szenarien.
Ein Beispiel, das immer wieder mal kam, war der Bürgerkrieg. Das war die Zeit um 2016, 2017, in dem das Land wegen der Flüchtlingskrise gespalten war. Erinnert ihr euch noch? 2017 dachten wir, das Land sei gespalten. Lustig, wie falsch man liegen kann und wie sehr wir uns diese Zeit zurückwünschen könnten im Vergleich dazu, wo wir heute im politischen Diskurs stehen.
Jedenfalls erklärte ich ihm dann, wieder und wieder, warum es keinen Bürgerkrieg geben wird. Wo er die polarisierten Massen sah, für die kein Konsens ausreichen wird, verwies ich auf das politische System in Österreich, das in Zeiten der Großen Koalition auf Konsens und Kompromiss aus war. Zur Not würde die FPÖ in eine Regierung kommen, aber sie könnte auch nicht den Rechtstaat aushebeln. (Wie sich gezeigt hat, ist sie sogar eher an ihm gescheitert.)
Heute bin ich immer noch weit weg von dem Szenario eines “Bürgerkrieges”. Aber es scheint mehr und mehr Leute zu geben, die das nicht mehr so unrealistisch finden. Und das liegt vor allem an einer Entwicklung, die 2016 noch wie ein unmöglicher Witz gewirkt hätte.
Die FPÖ hat sich radikalisiert.
Mein Vergangenheits-Ich würde über den Gedanken lachen, dass eine Partei, die von Heinz-Christian Strache geführt wurde, noch weiter in Richtung Wahnsinn abdriften würde. Aber die FPÖ lehnt aktiv die Wissenschaft ab und kokettiert nicht mehr nur verdeckt mit Verschwörungstheorien, die an den Grundpfeilern der Demokratie zweifeln.
Man muss da nicht nur auf Herbert “Ivermectin” Kickl oder an Dagmar “Nur Geimpfte liegen auf der Intensiv” Belakowitsch-Jenewein denken - man kann auch nach Salzburg schauen, wo mit Landes-Chefin Marlene Svazek ein “freundliches Gesicht” die Partei führt.
Nicht nur, dass sie infrage stellt, wie viele Menschen wirklich auf der Demonstration waren - ein Klassiker, wenn man die eigene Crowd größer darstellen will, als sie ist -, sie teilt auch noch eine Gruppe mit sehr fragwürdiger Beschreibung.
Es geht also nicht um ein Virus, sondern um einen leisen Weg in die “neue Normalität”? Das riecht nach Verschwörungstheorien. Man merkt das ganz einfach daran, dass ein böser Plan unterstellt wird, von dem eigentlich niemand etwas hätte.
Wer erfindet den Virus? Alle Regierungen gemeinsam? Viel Spaß bei der gemeinsamen Einigung - man merkt ja an der Klimapolitik, wie gut das funktioniert. Und überhaupt: Um was zu tun? Die Demokratie auszuschalten? Das ginge auch einfacher. Man muss nicht mal bis nach Russland schauen, um das mitzubekommen.
Natürlich rufen solche Postings auch genau die Zielgruppe auf den Plan, die erreicht werden soll:
Das ist die neue Zielgruppe der FPÖ.
Ich habe schon einmal darüber geschrieben, dass die FPÖ sich schnell die Impfgegner:innen als neue Zielgruppe sucht. Weil Ausländer als Thema aktuell weniger ziehen, sucht man sich eben einen neuen Bösewicht - die Pharma, Bill Gates, Reptiloiden oder was auch immer.
Das sind Menschen, die vorher keine politische Partei für sich hatten. Das klingt erstmal traurig, hatte aber einen guten Grund: Jemand, der in einer anderen Welt lebt, wird sich schwer tun, mit einer Partei etwas anzufangen, die sich der Realität annimmt. Wer glaubt, dass die großen Probleme unserer Zeit die Klimawandel-Lüge und die Chemtrails sind, wird zurecht kein Angebot am Markt der Ideen finden. Und zwar selbstverschuldet.
Der Unterschied ist: Die ausländerfeindliche Zielgruppe hatte wenigstens noch eine reale Entwicklung als Gegenstand. Nämlich die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
Die neue Zielgruppe der FPÖ kämpft gegen Verschwörungen, die nicht existieren und beruft sich auf Argumente, die mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben. Was auch völlig okay wäre, wenn wir uns alle darauf ausruhen und sie für immer auslachen könnten. Aber es sterben zu viele Menschen daran. Das versaut den Witz für alle.
Hinter diesem gefährlichen Verhalten liegt natürlich nicht (nur) Dummheit, sondern (auch) Strategie.
Kickl kopiert das Playbook der Republikaner.
Wir stehen gerade vor einer ähnlichen Entwicklung, wie wir sie in den USA beobachten können: Ein kleiner Teil der Gesellschaft tut so, als wäre er die “schweigende Mehrheit”, der von einer skrupellosen, verschworenen Elite auf Basis falscher Tatsachen unterdrückt werde. Und es ist ein kleiner Teil: Weder Impfgegner:innen noch FPÖ-Wähler:innen sind die Mehrheit der Gesellschaft.
Etwas Ähnliches können wir auch in den USA beobachten. Dort sprach Trump immer wieder von der silent majority und den Vergessenen der Gesellschaft, die nur er retten konnte. Das war auch ein Grund für seinen Erfolg bei Wahlen: Für Verschwörungstheoretiker:innen, die bisher beiden (in der Realität verwurzelten) Parteien nichts abgewinnen konnten, war er plötzlich ein Angebot. Auch Herbert Kickl und die MFG dürften darauf hoffen, im Nichtwähler:innen-Becken zu fischen.
Was das mit einer Gesellschaft macht, sehen wir immer, wenn wir amerikanische Medien lesen. Mass Shootings, weil es keine guten Waffengesetze gibt, weil die Politik verrückt ist. Unnötige Tote und überfüllte Krankenhäuser, weil so viele nicht einmal Masken tragen, weil die Politik verrückt ist. Und auch in Österreich gibt es Gruppen, die nicht nur sämtliche Maßnahmen und die Impfung ablehnen, sondern auch noch zur Gewalt gegen Menschen aufrufen, die anders denken.
Jetzt ist Eliten- und Intellektuellenfeindlichkeit in der FPÖ nichts Neues - aber dass dieser jetzt komplett von der Realität entfernt ist, ist ein Problem. Menschen demonstrieren gegen eine “Diktatur”, in der sie nicht leben, um sich keine “Todesspritze” einimpfen zu müssen, die gut erforscht ist und hilft.
Und das Dreiste ist: Dabei tut diese Minderheit, als würden die anderen spalten.
Man sieht den Vorwurf permanent - und das nicht nur auf Facebook, wo die FPÖ ihr Zuhause gefunden hat, sondern auch auf Twitter. Nach jeder Demo sieht man Videos von offensichtlich wahnsinnigen Menschen, die Wien fast jedes Wochenende unsicher machen - und daneben Tweets von Chefredakteur:innen, dass das doch ganz normale Menschen sind, die man nicht abstoßen darf.
Hier geht das Narrativ der FPÖ auf: Wer der Meinung sei, dass Impfgegner:innen die Pandemie am Laufen halten und Lockdowns nötig machen, und dass eine Impfpflicht dagegen helfen könne, spalte die Gesellschaft. Weil die armen, armen Verschwörungs-Gläubigen doch nur ihren Unmut kund tun.
Dieses Narrativ ist falsch. Es ist keine “Meinung”, dass Impfgegner:innen für die überfüllten Intensivstationen verantwortlich sind, sondern Fakt. Auch, wenn sie gerne verbreiten, dass mehr Geimpfte im Krankenhaus liegen würden - die Geimpften sind die Mehrheit, und trotzdem machen sie die Minderheit der Krankenhausfälle aus. Der Prävalenzfehler ist nicht common knowledge, aber eigentlich nicht wahnsinnig schwer zu verstehen.
Warum folgen wir diesem Narrativ trotzdem?
Wahrscheinlich, weil wir das alle satt haben.
Ich habe letzte Woche jemanden auf allen Kanälen blockiert, der früher mein bester Freund war. Weil er zur Gewalt aufgerufen hat und es unglaublich belastend ist, Angst vor Menschen zu haben, die man früher ehrlich mochte. Ich will nicht mehr überlegen, wo ich mich mit wem treffen kann, ohne über fundamentale Fakten streiten zu müssen. Und ich habe einfach keine Lust mehr, mein Leben von den Impfgegner:innen in Geiselhaft nehmen zu lassen.
Darum liegt der Reflex nahe, ihnen einfach nicht zu widersprechen, damit ich nicht mit ihnen dealen muss.
Trotzdem sollten wir nicht so tun, als wären die Geimpften Schuld daran, dass alles urplötzlich so polarisiert ist. Die FPÖ arbeitet ganz gezielt daran, indem sie mit Verschwörungstheoretiker:innen gemeinsame Sache macht, die auf Telegram zur Gewalt aufrufen. Sie ist keine Partei des “kleinen Mannes” - sie ist die Partei der Uninformierten, der Sturen, der völlig Abgedrifteten. Die Partei derer, die sich von der Realität verabschiedet haben.
Das heißt nicht, dass man mit Impfgegner:innen nicht mehr reden soll. Auch ich finde Spaltung nicht lässig. Jeder Ungeimpfte kann sich morgen impfen lassen, und wir sollten sie ermutigen, statt sie auszulachen oder zynisch zu fragen, warum das so lange gedauert hat. Und auch, wenn es schwer ist, man darf auch emotionale Ängste ernst nehmen - wenn junge Frauen glauben, dass sie dann keine Kinder mehr kriegen können, ist das zwar falsch, aber zumindest emotional verständlich und eigentlich tragisch.
Wichtig ist, dass wir keine Täter-Opfer-Umkehr betreiben. Nicht die Geimpften spalten die Gesellschaft - daran arbeitet Herbert Kickl aus purem Zynismus und aus Karrieregründen. Denn auch, wenn ich es gerne glauben würde: So dumm ist Herbert Kickl nicht.
Ich mache mir Sorgen, was diese neue Strategie der FPÖ mit der Gesellschaft macht.
Wir sehen in den USA, dass fast die Hälfte der Bevölkerung an Verschwörungstheorien glaubt. Das sorgt nicht nur dafür, dass die Pandemie dort wahrscheinlich ewig Menschen töten wird, sondern lähmt z. B. auch den Klimaschutz, der letztendlich nicht nur das Problem der Amerikaner:innen ist.
Wir sind kurz davor, genauso zu werden, weil die FPÖ gezielt einen kleinen Teil der Bevölkerung aufstichelt. Um gegen eine Welt zu kämpfen, die nichts mit der Realität zu tun hat. Nur, um bei der nächsten Wahl noch ein Leiberl zu haben.
Und darum denke ich auch oft an meinen Freund zurück, der an jeder Ecke den Bürgerkrieg gesehen hat. Wie es dem wohl heute geht.