Letzte Woche ging es in diesem Newsletter darum, wieso Facebook Nachrichtenseiten aus Australien in Zukunft zensieren wird. Ihr könnt die Geschichte hier nachlesen, aber wenn nicht, ist das auch kein Problem - denn sie ist nur ein Teil eines größeren Problems, das uns die nächsten Jahre begleiten könnte. Tech-Journalisten nennen es: “Das Splinternet”.
Das neue Internet
Die Idee des Internet war ja eigentlich ganz anders. Es basiert darauf, dass man mit Webseiten aufeinander verlinken kann und so jeder jederzeit zu weiterführenden Dingen kommt.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich das ganze Internet-Geschehen allerdings brutal monopolisiert: Statt auf hunderten von Websites sind wir im Wesentlichen auf Facebook, Twitter oder YouTube unterwegs. Informationen beziehen wir meist aus unseren Social Feeds oder von Google - außer die besonders gut informierten, die zum Beispiel coole Substack-Newsletter von österreichischen PR-Beratern lesen. Lange Rede, kurzer Sinn: Die meisten von uns besuchen weniger Websites als früher.
Dadurch haben die Konzerne, die den Content hosten, der uns durch den Tag bringt, eine enorme Marktmacht. Aber das kennt ihr wahrscheinlich bereits. Bla Bla, die bösen Monopolisten, Facebook zerschlagen und alles wird wieder gut und die Menschen lesen wieder brav Zeitung und schauen linear fern. Das ist (nicht nur langweilig und falsch, sondern auch) gar nicht der Punkt - das Problem ist nicht, dass sie Macht haben. Das Problem ist, dass sie die mehr und mehr verwenden können, um teilweise ihre User von bestimmten Dingen auszuschließen.
Der Anfang der Zersplitterung
Nehmen wir das Australien-Beispiel: Seit Kurzem sind Facebook-User aus Australien nicht mehr in der Lage, Nachrichten über Facebook zu konsumieren. User aus dem Rest der Welt aber schon - außer australische, die sieht niemand mehr. Damit ist eine digitale Grenze dort, wo früher keine war. (Und die man mit VPN-Diensten auch sicher ganz leicht umgehen kann.)
Und diese Grenzen werden häufiger. Wir lesen zwar oft davon, dass es in irgendwelchen uns sonst recht unbekannten Ländern zu “Netzsperren” kommt, wenn Wahlen anstehen, aber zumindest der Trend zur Regulierung macht sich auch mehr und mehr in der westlichen Welt breit. Das hat oft gute Absichten: Die frühere Grünen-Chefin Eva Glawischnig hat z. B. vor dem OGH erwirkt, dass Facebook Hasspostings auch außerhalb nationaler Grenzen schützen muss. Finde ich gut (sofern “Hasspostings” gut definiert sind), aber auch hier greift eine nationale Regel international.
Ähnlich ist es mit dem “Netz-DG”. Mit diesem Gesetz wurde in Deutschland gefeiert, Facebook und YouTube “zur Verantwortung zu ziehen”, da es ermöglichte, relativ schnell Content von diesen Plattformen zu verbieten. Wieder: Gute Absicht. Aber gleichzeitig dient das Gesetz als Vorlage für Regime, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.
In den USA ist die Situation sogar bereits so weit, dass einzelne Bundesstaaten ihre eigenen Internet-Regeln basteln müssen, da es keine Regulierung für das ganze Land gibt. Das “Splinternet” ist also sogar innerstaatlich noch einmal zersplittert, wie diese Grafik zeigt.
Die Folgen des Splinternet
Könnte uns wurscht sein, oder? Sollte es aber nicht. Wir sind am Anfang einer Entwicklung, die kompetente Internet-User recht lange ignorieren können. Aber eben nicht für immer.
Wenn Nationalstaaten von sozialen Medien Zahlungen fordern, wenn sie Gratis-Werbung für Journalismus machen, ziehen diese aus dem nationalen Markt ab - und lassen die User vor Ort ohne Nachrichten zurück. Umgeben von Falschinformationen.
Diese australische Regelung wäre aber auch genau umgekehrt möglich: Warum nicht einfach vorschreiben, was geteilt werden darf und was nicht? Bereits jetzt versuchen Autokraten auf der ganzen Welt, Kritik zu zensieren oder zu verbieten. Dabei werden diese kritischen Stimmen entweder zensiert, von Troll-Fabriken angegriffen … oder die Plattformen an sich werden gesperrt.
Gleichzeitig ist nicht selbstverständlich, dass jede Regierung eine richtige Definition davon hat, was zensiert werden muss. Wer sich davon überzeugen will, muss nur nach Indien oder in die Türkei schauen. Oft arbeiten Social-Media-Konzerne auch wirklich nur daran, dass wir unsere Meinung sagen dürfen. Egal, ob sie unserer Regierung gefällt.
Das betrifft übrigens bei Weitem nicht nur die Social-Media-Kanäle, die uns den ganzen Tag beschäftigen. Netzsperren betreffen auch unzählige kleine Websites, deren Zensur schnell wieder vergessen ist. Und das sollte eine Ultima Ratio sein, aber man gewöhnt sich schnell daran.
Es geht schnell auch ins Geschäftsleben: In welchem Land ist Werbung für Glücksspiel erlaubt, in welchem nicht? Facebook umgeht das mit einem generellen Verbot für Glücksspielwerbung - aber was ist, wenn es bald eine Hälfte des Internets mit und eine ohne Online-Gambling gibt? Oder für die, die dieses Verbot befürworten: Wie ist es mit dem Rauchen? Darf ich die Website von Marlboro in Österreich öffnen oder nicht? Wie sieht’s mit Alkohol aus? Oder Pornographie? All das sind politische Fragen, die momentan noch eher selten mit Sperren gelöst werden - aber auch das könnte sich ändern.
Ihr versteht meinen Punkt: Ein Internet, das sich rund 200 verschiedenen Gesetzgebungen unterwerfen muss je nachdem, was gezeigt werden darf, ist nicht mehr das, was es sein sollte. Frei. Das freie Internet, in dem Menschen auf der ganzen Welt durch Links miteinander Information austauschen, ist schon durch die Monopolisierung auf Social-Media-Kanälen nicht mehr das, als was es gedacht war. Nationale Regierungen, die oft wenig Ahnung von der Materie haben und Alleingänge verfolgen, werden das eher nicht zum Besseren ändern.
Das heißt übrigens nicht, dass es gar keine Regulierung braucht. Das wäre ein sehr weltfremder Standpunkt, wenn man sich anschaut, in welchem Zustand das größte Social Network der Welt ist und welche Auswirkungen Big Tech auf die Demokratie haben kann. Das Problem ist, dass nationale Alleingänge diese Probleme eher verschlimmern als verbessern: Die User Experience wird komplizierter und schlechter.
Die Ruhe vor der Regulierung
Mein Wunschzustand wäre daher das Internet der “guten, alten Zeiten” - wie immer war früher alles besser -, ergänzt um einige Common-Sense-Regeln, z. B. zur Bekämpfung bezahlter politischer Falschinformation. In diesem Internet ist es egal, woher du bist: Du hast Zugang zur Information der ganzen Welt, Netzsperren sind international anerkannte Ausnahmen.
Das klingt simpel, aber scheint unrealistischer zu werden.
Denn im globalen Wirrwarr aus nationalen Regierungen mit verschiedenen Interessen und verschiedenen Medienlandschaften ist es unmöglich geworden, zu definieren, wie ein “gutes” Internet denn aussehen würde. Vielleicht befinden wir uns also nur in der letzten Phase unseres Lebens, in dem das Internet noch halbwegs cool bleibt - bevor es in Grund und Boden reguliert wird. Und bevor wir mit unserem VPN 10x das Land wechseln müssen, um einen Eindruck davon zu bekommen, was alles im Internet wartet.