Blau-schwarze G'schichtln – Lasst euch nicht verarschen 1-25
Spins und Realität nach dem Aus der FPÖ-ÖVP-Regierung
Heute lasse ich eine kleine Tradition aufleben. In meinen diversen Blogs, die ich bisher hatte – Substack ist ja mittlerweile meine vierte Plattform, auf dem ich das hier hoste – ist im Wahlkampf immer wieder mal die Idee eines Formats gekommen, das sich mit politischen Spins befasst und einordnet, was dahinter steckt. Der Name: „Lasst euch nicht verarschen“.
Seit ich das rund um 2016 erfunden habe, hat sich einiges geändert. Ich bin nicht mehr Journalist, sondern längst selbst einer, der mit Spin arbeitet. Aber ganz zur Kultur meiner Partei passend mache ich das ja auch transparent: Wer hier per Mail mitliest, weiß, dass ich die liberale Brille aufhabe, und trotzdem habe ich eine Audience dafür gefunden.
Darum setze ich das heute mit etwas subjektiverer Brille fort und arbeite einiges an Spins auf, die gerade in der Innenpolitik rumschwirren – spezifisch rund um das Platzen der FPÖ-ÖVP-Koalition. In so einer Situation versuchen beide Parteien natürlich, zu erklären, dass sie nicht schuld sind, um sich für die nächste Wahl zu wappnen.
Der ÖVP geht es ums Innenministerium, nicht um die Sicherheit.
Spin: „Wir konnten mit der FPÖ nicht regieren, weil sie unsere Sicherheit gefährdet hätte.“
Ehrliche Antwort: „Wir hätten mit der FPÖ schon gekonnt, aber wir haben eingesehen, dass es uns strategisch gekillt hätte. Wir haben unterschätzt, wie groß der Aufschrei der eigenen Basis und der eigenen Wähler ist, die uns für eine Anti-Kickl-Ansage gewählt haben, und wir haben Schiss davor, dass rauskommt, was im Innenministerium unter uns so passiert ist.“
Hintergrund: Ja, ich bin froh, dass die FPÖ das Innenministerium nicht bekommt. Wenn das passiert, wäre Österreich quasi eine Zweigstelle des Kreml. Wir wissen aus den Erkenntnissen der letzten Jahre, dass es eine russische Unterwanderung des österreichischen Staates gab, und dass die Kickl-Partei dabei eine Schlüsselrolle gespielt haben. Das zu wiederholen, wäre ein Worst-Case-Szenario für Österreich.
Aber die zweitbeste Lösung ist, das Innenministerium der ÖVP zu überlassen. Der Ort, wo es um Sicherheit gehen sollte, ist de facto noch mehr im Eigentum der Partei als Raiffeisen, der Seniorenbund oder das Land Niederösterreich. Es ist eine ÖVP-Kaderschmiede, in der man sich mit CV-Verbindungsnamen anredet. Dass die Verhandlungen mit der FPÖ gescheitert sind, zeigt vor allem, dass die Volkspartei den Verlust „ihres“ Ministeriums als schlimmstes mögliches Szenario ansieht. Auch, wenn sie sich dafür noch weiter verzwergen muss.
Heißt das, dass Sicherheit der ÖVP egal ist? Natürlich nicht. Ich unterstelle keinem Politiker, egal welcher Partei, dass einem die grundlegenden Aufgaben der Politik egal sind. Aber man soll nicht so tun, als wäre die Sicherheitspolitik der Grund dafür, dass sie nicht mit der FPÖ koalieren. Das waren, wie Herbert Kickl in seinem stundenlangen Mimimi am Tag des Abbruchs auch festgehalten hat, Posten. Und die beidseitige rote Linie, im Innenministerium schalten und walten zu können.
Auch die FPÖ spielt das Postenschacher-Game.
Spin: „Wir bleiben Österreich treu und verkaufen uns nicht an die ÖVP und ihre Parteipolitik.“
Ehrliche Antwort: „Wir wollten endlich auch die Macht an uns reißen und das Spiel spielen, das die ÖVP bis 2019 mit uns gespielt hat. Wenn uns diese Rache verwehrt bleibt, können wir auch warten – bis die nächsten Wahlen uns so stärken, dass sie keine Wahl mehr haben.“
Hintergrund: Die FPÖ wollte genau das gleiche wie die ÖVP: Ministerien. Und da beide permanent an ihrem Vorhaben scheitern, über Inhalte zu reden, rutscht ihnen auch immer wieder die entlarvende Aufzählung hinaus. Die wollten das, wir wollten das, dann haben die das g’sagt, dann hab ich das g’sagt.
Eigentlich sollte diese Art der Kommunikation nicht überraschend sein: Populisten allgemein, aber auch die FPÖ im Speziellen können nichts anderes als die Opferrolle. Egal welches Übel das Land heimsucht: Alle anderen sind schuld. Aber von einem sonst doch halbwegs guten Rhetoriker wie Herbert Kickl ist man anderes gewöhnt – diese Art von alter Politik, diese offene Zurschaustellung der eigenen machtpolitischen Ambitionen, die von den Inhalten komplett losgelöst ist, hat er an anderen Tagen schon besser hinbekommen.
Zur Wahrheit gehört aber auch die Tatsache, dass das höchstwahrscheinlich wurscht ist. Die FPÖ hat eine Medien-Maschinerie, durch die sie sich solche Patzer erlauben kann. Wer seine Infos wahlweise von Unzensuriert, AUF1, FPÖ-TV, Erstaunlich oder direkt von Russia Today bezieht, ist ohnehin so weit weg von der Realität, dass völlig egal ist, was Kickl sagt. Er könnte genauso gut behaupten, Stocker wäre ein Echsenmensch und wir verhandeln nicht mit Reptilien, und der Schmäh wandert durch Telegram straight nach St. Oaschloch am Sessellift. Insofern wird der neue harte Kern der FPÖ (yours truly called it years ago!) auch den Weg des parteipolitischen Abtauschs mitgehen. Es ist eh schon alles wurscht.
Hinter den Spins und wie es jetzt weitergeht
In einem hatte der FPÖ-Chef aber recht in seiner Ansprache, die gut eine Stunde dauerte: So richtig überraschend war es nicht, dass die blaue Partei blaue Forderungen gebracht hat. Man wusste aus dem Wahlkampf längst, dass Herbert Kickl einen anti-europäischen, pro-russischen Kurs fährt. Dass er mit Policy-Vorschlägen wie der Herdprämie Österreich in die Vergangenheit führen will. Dass er das Innenministerium will. Das muss sich die ÖVP gefallen lassen: Sie wusste, mit wem sie sich einlässt.
Wahr ist aber auch: Sie ist nach wie vor in der Position, sich Verhandlungen „auf gut Glück“ leisten zu können, weil sie mehrere Optionen hat. Dadurch, dass die SPÖ sich der FPÖ verweigert, gibt es momentan keine anderen Mehrheiten. Nicht, dass ich Rot-Blau befürworten würde, wirtschaftlich wäre das wohl das schlimmste Szenario für Österreich. Aber auf der anderen Seite glaube ich, dass die ÖVP endlich mal in Opposition muss. (Wir NEOS tun übrigens unser Bestes, zu wachsen und das zu ändern, damit wir auch endlich mal gute Mehrheiten haben, statt nur welche, die sich rechnerisch ausgehen.)
Für den Moment bleibt aber wieder nur die ewige österreichische Wahrheit: Die ÖVP wird nach wie vor alles tun, um zu regieren. Sie wird Menschen, die gerade noch mit 100 % bestätigt wurden, in der Sekunde abziehen, sie wird ihr Grundsatz- und ihr Wahlprogramm verraten, wenn es ihr hilft, an der Macht zu bleiben. Wer diesen Newsletter einigermaßen oft liest, weiß, was mir daran am meisten wehtut: 38 Jahre. Dieses Spiel geht schon länger, als ich lebe. Und meine Knie fangen schon zum Knacksen an.
Das Bittere ist: Wir scheinen sie in der aktuellen Situation zu brauchen. Denn wenn die FPÖ fast ein Drittel der Wählerstimmen hat, ist es nun mal wichtig, eine Mehrheit zu finden, die uns nicht an Russland verkauft. Und wenn das bedeutet, mit den Biegsamen und den Freunden der hohen Steuern zusammenzugehen, muss man sich die Frage stellen, was die Alternative ist. Die ehrliche Antwort ist: Super geil ist mit den aktuellen Mehrheiten gar nichts.
Ich weiß auch nicht, wie es weitergeht. Ich hoffe, dass sich die vielzitierten Vernünftigen durchsetzen, und ich bin nach wie vor der Meinung, dass die ein oder andere Jahrzehnte verschlafene Reform diesem Land langsam wirklich gut tun würde. Ob es dazu eine Dreierkoalition, eine geduldete Minderheitsregierung, eine Expertenregierung mit wechselnden Mehrheiten im Parlament braucht – I don’t know. Aber ich glaube, es wäre jetzt echt an der Zeit, das hinzukriegen. Und da müssen alle über ihren Schatten springen.
Noch mehr Lesestoff
🔍 Einblicke aus den Koalitionsverhandlungen. Wie in fast jedem Newsletter verweise ich auf die Kolumne „Politik Backstage“ von Josef Votzi, der interessante Hintergründe dazu kennt, wie FPÖ und ÖVP verhandelt haben. Unter anderem: Kickl wollte verhindern, dass sich seine Leute zu sehr mit dem Koalitionspartner-in-spe vertragen. Trust Issues sind bekanntlich ein guter Start für eine Zusammenarbeit.
🇺🇸 Throw Biden under the Bus! Ein wohltuender Appell, dem gerade abgelösten US-Präsidenten nicht zu viel Rosen zu streuen. Es war Joe Biden, der viel zu lange darauf beharrt hat, ein akzeptabler Kandidat zu sein. Der Kamala Harris keine Chance gelassen hat, sich rechtzeitig zu etablieren. Und der mit seinen Fehlern genug dazu beigetragen hat, dass die USA wieder vier verlorene Jahre haben.