Desinformation ist out. Was kommt als nächstes?
Über politische Kommunikation und "fighting the last war"
Wenn man mit sozialen Medien arbeitet, ist man immer auch beschäftigt mit der Jagd nach dem nächsten großen Ding. Es geht immer um neue Trends und darum, die aktuelle Stimmung einzufangen. Darum, auf den Zug aufzuspringen, bevor er abfährt. Das kann man in Diskussionen um Themen wie das Metaverse, um die Blockchain oder web3 nachvollziehen.
Meine Theorie ist aber, dass wir - zumindest in Österreich - verdammt schlecht darin sind, dieses nächste große Ding zu finden. Wir sind eher beschäftigt, das Playbook zu verwenden, das in der Vergangenheit gut funktioniert hat.
“Fighting the last war”
Was ich mit “Playbook” meine, ist eine Art eingespielter Modus der (politischen) Kommunikation, der schon relativ geregelt abläuft. Die beste Kommunikation ist immer - Vorsicht, Phrasenschwein - “am Puls der Zeit” und versteht quasi, in welcher Zeit wir leben.
Diese Trends kommen meist aus den USA, auf jeden Fall aber nicht aus Österreich. Hier passiert alles ein bisschen langsamer. Wir beobachten erst einmal.
Man kennt das, wenn man an die frühen 10er-Jahre zurückdenkt. Während sich die ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP auf den Modus der Vergangenheit beschränkt haben, baute die FPÖ Parteimedien auf, die bis heute nach dem Motto flood the zone with shit eine Mischung aus verzerrten und schlicht erfundenen Nachrichten auf Social Media verbreiten. Was das mit der Gesellschaft angerichtet hat, ist bekannt und gipfelte in den “Ausreisezentren” der türkis-blauen Regierung, die die Justiz noch jahrelang beschäftigen wird.
Damals haben sich die anderen Parteien auf die Praxis verlassen, auf die sie sich schon immer verlassen haben. Kommunikation bedeutete, Presseaussendungen zu machen, im Wahlkampf Plakate aufzuhängen und in Interviews am Punkt zu bleiben. Social Media brauchte Werner Faymann nicht - oder erinnert sich noch jemand an eine nennenswerte Präsenz außerhalb des #teamkanzler?
Österreich hängt auch heute wieder nach.
Ich glaube, dass wir uns heute in einer ähnlichen Situation befinden: Spätestens durch den Brexit und die Wahl von Donald Trump haben vielen in der politischen Kommunikation gezeigt, dass Owned Media und flexible Formen der Desinformation eine funktionierende politische Strategie sind. Das ist im Wesentlichen das Playbook der Republikaner. Es besteht unter anderem aus folgenden Punkten:
Fake-News-Portale, die wie echte Medien daherkommen und parteiische, verzerrte oder gar erfundene Inhalte verbreiten
Automatisierte Bots, die auf sozialen Medien die Message verbreiten, die Politiker:innen hören wollen
Social-Media-Seiten, die zuerst mit lustigen Memes und Tierfotos locken, um ihrer großen Fanbase danach politische Inhalte zu zeigen
Gruppenchats auf Plattformen wie Telegram, wo unter Ausschluss der Öffentlichkeit Falschnachrichten verbreitet werden
Influencer:innen, die dafür bezahlt werden, Falschinformation in fremdem Auftrag zu verbreiten
Fake-Accounts, die anonym oder unter falschem Namen so tun, als wären sie besorgte Bürger:innen
Dass sich Strategien aus diesem Playbook auch in Österreich durchgesetzt haben, zeigen die Strategien aller drei Großparteien im Nationalratswahlkampf 2017:
Die SPÖ hatte Tal Silberstein, der mit (nebenbei bemerkt: schlecht gemachten) Facebook-Seiten Stimmung gegen Sebastian Kurz machen sollte.
Die ÖVP hatte ihre gefälschten Umfragen, die mit Steuergeld bezahlt wurden, um den Spitzenkandidaten als beliebten Volkshelden dastehen zu lassen.
Die FPÖ wollte bekanntlich den Einfluss der Kronen Zeitung nutzen, um an die Macht zu kommen.
Gleichzeitig setzen politische Parteien immer mehr auf Owned Media. ZackZack ist ein Parteimedium, dessen Partei weggefallen ist. Die SPÖ hat Kontrast.at, die ÖVP ZurSache, und auch die Grünen arbeiten an einem eigenen Medium. Die FPÖ hat ihren Vorsprung in dem Bereich behalten und hat nicht nur offizielle Parteimedien, sondern auch viele rechte Publikationen, die ohne Wohlwollen der Freiheitlichen nicht existieren könnten. (#Inserate)
Es hat sich also längst die Erkenntnis durchgesetzt: “Wir müssen das so wie die Republikaner machen.”
Aber stimmt das noch immer?
Mein Gefühl ist, dass wir den Peak der Desinformation überschritten haben. Bekannte, die sich einfach wenig mit Politik beschäftigen, schicken mir immer wieder Links, weil sie schon schnuppern, dass da etwas faul ist. Die Wirksamkeit von Desinformation scheint zu sinken - zumindest in dem Teil der Bevölkerung, die nicht seit Jahren im FPÖ-Paralleluniversum gefangen ist und sich von der Realität verabschiedet hat.
Im Wesentlichen gibt es vier Gründe dafür, dass Desinformation keine nachhaltige Strategie sein kann:
Die meisten Menschen sind damit in Kontakt gekommen und werden besser darin, sie zu hinterfragen und aufzudecken. Das 10.000 Video, das ohne Belege behauptet, Corona wäre eine Erfindung der Chinesen, ist keine Offenbarung mehr, sondern einfach ein merkwürdiges Internet-Video.
Vieles an Desinformation löst sich mit der Zeit auf. Die Klimakrise leugnet kaum jemand mehr, weil jeder Sommer ein Rekordsommer ist und Wissenschaftler:innen eindeutig belegen, dass es einen Zusammenhang zum menschengemachten CO2 gibt. Corona-Leugner:innen sind so lange radikal, bis es ein Familienmitglied erwischt.
Journalismus existiert. Fact-Checker:innen und Journalist:innen generell arbeiten daran, auch den letzten Blödsinn zu widerlegen. Und die Mehrheit der Gesellschaft, die für Fakten noch zu haben ist, teilt diese fleißig weiter und weiß, wo es echte Informationen zu finden gibt. Es gibt also Gegenrede für Desinformation.
Social-Media-Plattformen reagieren. Die Seiten die das wesentliche Hub für Desinformation sind, versehen sie mittlerweile mit Warnhinweisen und sperren auch wichtige Politiker:innen, wenn sie damit auffallen - zuletzt die QAnon-Verschwörungstheoretikerin Marjorie Taylor Greene, eine Abgeordnete aus den USA.
Meine Wette ist, dass das Playbook Desinformation, das viele Jahre gut funktioniert hat, langsam im Sterben liegt. Das gilt natürlich nicht immer und überall - aber in vielen westlichen Demokratien, die schon jahrelang eine (vor allem, aber nicht nur) Rechte aushalten müssen, die sich mehr und mehr von der Realität verabschiedet und beweisbar falsch liegt, wird sich das nicht mehr lange halten.
Jetzt gilt es, das nächste Playbook zu finden.
Wer heute also glaubt, moderne Kommunikation würde bedeuten, auf Twitter-Bots oder Astroturfing zu setzen, sollte sich schnell eine neue Strategie überlegen. Aber welche genau? Darauf habe ich noch keine allgemeingültige Antwort. Aber ich glaube, dass die Antwort etwas mit Authentizität zu tun hat.
Zwei Prognosen dazu, die ich für nicht ganz unrealistisch halte:
Nach Jahren der Polarisierung, der Rumschreiens und der Desinformation wächst das Verlangen nach einem alten Typus von Politiker:innen, die man für ausgestorben hielt: Die kompromissfähigen, einenden, fast schon langweiligen Menschen, bei denen man sich zumindest sicher sein kann, dass das Land in guten Händen ist. Das wäre die Richtung von Alexander Van der Bellen oder Olaf Scholz.
Durch die dauerhafte Überinszenierung von Politik - die bei uns durch entsprechende Manipulation quasi bestätigt wurde - gibt es Bedarf nach Menschen, die authentisch sind. Das heißt, dass “jemand, der sagt, wie es ist” auch nach wie vor sympathisch sein wird, wenn die Message glaubhaft ist.
Es gibt die These, dass Donald Trumps Präsidentschaft nur die logische Folge einer Gesellschaft ist, die Reality-TV gewohnt ist. Mehr und mehr ersetzen aber die sozialen Medien unsere Reality-Shows - wenn man diese These also weiterdenkt, wäre der nächste logische Schritt, dass irgendwann ein Influencer die Regierung führt. Jemand, der zu 100 % authentisch die guten und die schlechten Seiten der eigenen Persönlichkeit nach außen strahlt, mag heute noch etwas verstörend wirken. Aber die Zeit wird kommen, in der wir diesen Modus gewohnt sind.
Wenn ich also wetten müsste, was nach dem Playbook der Republikaner kommt, würde ich sagen: Authentische Politiker:innen, bei denen man weiß, woran man ist.
Ich für meinen Teil freu mich drauf.
Noch mehr Lesestoff
📱 Speaking of Misinformation: In Indien wurde eine App aufgedeckt, mit der die politischen Inhalte der Regierungspartei quasi automatisch geteilt werden können. Im Artikel seht ihr auch, wie die App aufgebaut ist. Die nächste Professionalisierungsstufe wird nur noch sein, auf Fakes zu verzichten. (The Wire)
📺 ServusTV verbreitet Falschinformationen. Ja, ich weiß, Wasser ist nass. Aber Katharina Zwins vom Profil hat sich die Mühe gemacht, einige Mythen von Ferdinand Wegscheider zu entkräften. Gut genug, um es weiterzuleiten, wenn man mal wieder Bullshit liest. (Profil)
💬 Signal spielt mit dem Feuer. Der Messenger, den ich persönlich auch nutze und empfehle, ermöglicht jetzt anonyme Zahlungen mit einer Kryptowährung. Einerseits cool und praktisch, aber andererseits warten Politiker:innen genau auf so einen Anlass, um gegen Verschlüsselung vorzugehen. Immerhin könnte man so auch den lokalen Dealer bezahlen. (Platformer)
✈️ Wieso sinnlose Flüge ohne Passagiere durch die EU stattfinden? Weil Politik manchmal merkwürdig ist. Durch die Pandemie fallen gerade viele Flüge aus - aber sie müssen trotzdem abheben, weil sie sonst ihre Start- und Landeerlaubnis riskieren würden. Komplett absurd in einer Europäischen Union, die sich angeblich dem Klimaschutz verschrieben hat. Eine Pandemie-Ausnahme wäre verständlich und überfällig. (The Bulletin)