Wer diesen Newsletter abonniert hat, wusste es vorher: Facebook heißt jetzt „Meta“. (Genauer gesagt hatte ich auf „Horizon“ getippt und „Meta“ nur als zweite Möglichkeit erwähnt, aber ich werde das jetzt einfach als Sieg verbuchen.)
Beim Konzern-Event wurden einige Visionen im Bereich des „Metaverse“ vorgestellt. Und bei aller gesunden Facebook-Skepsis, die in diesem Newsletter sonst nie zu kurz kommt: Es fällt mir schwer, nicht zumindest ein bisschen gespannt zu sein auf das, was da kommen könnte. Also dachte ich, reden wir kurz über das Metaverse, über die Zukunftsvisionen von Zuckerberg und darüber, was wir davon halten.
Was ist eigentlich das Metaverse?
Wir hatten das Thema schon mal, aber trotzdem ein kurzer Abriss: Das „Metaverse“ ist eine Art virtuelle Welt, wie wir sie früher aus dem Science-Fiction-Bereich kennengelernt haben. Ready Player One ist ein gutes Beispiel dafür, wie ein Metaverse aussehen könnte. Einen besseren Explainer findet ihr hier.
In popkulturellen Werken ist ein Metaverse übrigens meistens eine Ausflucht aus einer dystopischen Welt, die im Untergang begriffen ist - Mark Zuckerberg hat die Klimakrise zwar nicht explizit erwähnt, aber behaltet das einfach im Hinterkopf, okay?
Mit dem Metaverse löst Meta auch das Problem, das jetzt viele Facebook- und Instagram-User haben: Der Medienkonsum ist bei vielen nur noch passiv. Das äußert sich nicht nur darin, dass die allermeisten Fake-News-Beiträge von einer sehr kleinen Zahl an sehr aktiven Usern kommen - sondern auch darin, dass die Produkte des Konzerns schnell fad werden, weil man selbst nichts mehr aktiv damit tut.
Ein vielsagendes Zitat von Zuckerberg dazu kommt aus einem Interview mit Ben Thompson:
One of the lessons that I’ve taken away from the last five years of some of the issues that we’ve struggled with as well, is that it’s not enough to just build a product that people love. There needs to be an ecosystem that’s built around it where a large number of people have a stake in the success of that thing, and are benefiting not just as consumers, but also economically as it grows in order for it to be a sustainable enterprise in the world at the scale that we’re talking about. … For the metaverse, the creator economy is just going to have to be a very fundamental thing to it. My hope for this is that it’s not just primarily a consumption-oriented experience, like what I think the allusion that you were making to Ready Player One, but that this is something that a lot of people, millions of creators and developers, will be active participants in and have an active stake in how it gets developed.
Kurzgesagt ist Mark Zuckerbergs Vision jedenfalls, dass wir uns in Zukunft in der „nächsten Stufe des Internets“ in virtuellen Welten bewegen. Aber dieses Zitat zeigt auch, dass davon am Ende immer Leute profitieren müssen. Das ist logisch und richtig - und Zuckerberg hat recht, wenn er sagt, dass es hilft, wenn mehr Leute ein Interesse daran haben, dass das Projekt gelingt. Trotzdem zeigt auch das bereits eine Kommerzialisierungstendenz, bevor das Produkt überhaupt fertig ist.
Das Metaverse als Überbegriff für Lösungen im Bereich Virtual und Augmented Reality1 wäre damit der Nachfolger des smartphone-basierten Internets, so wie eben das Smartphone die für Desktop-PCs optimierten Webseiten als Hauptkanal abgelöst hat.
Woran Meta arbeitet
Die Vision könnte aufgehen - de facto sagen wir aber schon lange, dass die Revolution der virtuellen Welten unmittelbar vor der Tür steht, haben aber kaum brauchbare Use Cases dafür.
Darum bemüht sich Facebook, äh, Meta auch darum, diese Use Cases zu schaffen:
Zurecht großes Potenzial vermutet Zuckerberg im Bereich Gaming. Mit Beat Saber - einem Spiel, mit dem man mit Laserschwertern den Beat treffen muss - wurden schon 100 Millionen US-Dollar eingenommen, und mit Resident Evil 4 folgt der nächste Blockbuster in dem Bereich. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für Gaming eine Nische im VR-Bereich gibt, aber bin da als Gamer auch eher biased.2
Daneben arbeitet Meta an virtuellem Arbeiten. Neben virtuellen Meetings sollen auch Apps wie Slack, mit denen schon viele (auch riesige) professionelle Unternehmen arbeiten, via Horizon Workrooms verfügbar sein. Ich bin skeptisch, ob wir nach der Zoom-Erfahrung der letzten zwei Jahre als nächsten logischen Schritt bereit sind, noch weniger „face-to-face“ zu kommunizieren. Momentan sieht es nämlich danach aus, dass wir eher mit semi-realistischen Avataren kommunizieren und nicht mit fotoähnlichen Nachbildungen. Aber es wird sich sicher eine Nische im Tech-Bereich finden, die das in den nächsten Jahren ausprobieren wird.
Besonders wichtig für Meta ist natürlich das bisherige Kerngeschäft: Social Networking. Mit dem Messenger verknüpft soll es möglich sein, in virtuellen Räumen einfach mit Freunden abzuhängen. Klingt nach einer okayen Idee, aber ist das nicht genau die Nische, die Discord jetzt schon erfüllt? Oder Twitter Spaces? Ich bin nicht sicher, ob es genug Gesichts-Fetischisten gibt, die unbedingt alle sehen müssen, um Zeit miteinander zu verbringen, weil Gaming ja auch über Voicechat gut funktioniert.
Insgesamt nimmt sich Meta also vor, die meisten großen Bereiche der digitalen Kommunikation auf die nächste Stufe zu heben: Mit VR und AR. Dieses Video zeigt, in welche Richtung das gehen kann.
Wenn das alles aufgeht, könnte das cool werden. Man stelle sich vor, nach der Arbeit nur kurz eine Brille aufsetzen zu müssen, um in einem anderen (virtuellen) Raum zu sein, wo die eigenen Freunde bereits mit Spielen warten. Oder einfach eine halbe Stunde später aufstehen, weil der morgendliche Jour Fixe in einem virtuellen Raum stattfindet, in dem keiner deine Augenringe sieht.
Nicht alles davon würde ich persönlich nutzen, aber ich kann mir für das alles vorstellen, dass es funktioniert.
Was können wir erwarten?
So cool die Zukunftsvision von Meta auch ist, so schwer fällt es mir, ein Fan davon zu sein. Und ich bin eigentlich oft Technik-Fan. Apple-Events schaffen es bei mir z. B., die Begeisterung auszulösen, ohne Bauchweh zu haben.
Bei Meta ist das schwieriger, weil auch offensichtlich ist, warum das Rebranding gerade jetzt kommt. Im letzten Newsletter habe ich auf die zahlreichen aktuellen Probleme von Facebook im politischen Bereich hingewiesen, die eine Namensänderung nahelegen - ein neuer Name kann schnell für neues Agenda-Setting sorgen, wenn die neuen Produkte überzeugen.
Meta ist aber immer noch das gleiche Unternehmen, das Content-Moderation auf seinen eigenen Plattformen vernachlässigt. Mark Zuckerberg erklärte zwar während Facebook Connect, dass er die Sorgen verstehe, dass man sich um die „Probleme der Gegenwart“ nicht kümmere und dass man sich „weiterhin“ mit „industry-leading standards“ darum kümmern werde - aber mir fällt es schwer, zu glauben, dass Facebook durch einen neuen Namen plötzlich die Richtung ändert und von Anfang an mitdenkt. Dafür haben sie schlicht und einfach nicht die Reputation.
Facebook ist immer noch die Firma, die großartige Produkte entweder selbst erstellt - die „blaue Seite“ Facebook Blue - oder selbst kauft - Instagram, WhatsApp und Oculus -, um sie dann spektakulär an die Wand zu fahren. Ja, Insta wurde eine Cash-Cow, dafür beeinflusst sie aber auch die mentale Gesundheit von Teenagern, wurde zur Plattform für Corona-Desinformation und Wahlmanipulation und wird mehr und mehr genauso langweilig und alt wie Facebook. Warum sollte das mit dem Metaverse anders sein?
Die Hoffnung, die wir haben, ist, dass Meta aus den Fehlern der Vergangenheit lernt und diesmal auch politische Problematiken von Anfang an mitdenkt. Dafür spricht zumindest, dass Zuckerberg immer wieder betont, dass das Metaverse nicht nur ein Meta-Produkt sein soll, sondern eine Verschmelzung verschiedenster Angebote im VR-Bereich, von denen nun mal einige von Meta sind. Das öffnet die Tür dafür, dass auch Unternehmen wie Apple, Epic, Snap oder Amazon in dem Bereich mitarbeiten könnten3 - wenn alle eine Lösung anbieten können und echter Wettbewerb besteht, profitieren am Ende alle. Theoretisch.
Trotzdem sagt mir mein Bauchgefühl, dass wir von Zuckerbergs neuen Plänen nicht zu viel erwarten dürfen. Der Vergleich zwischen den aktuellen Meta-Produkten im VR-Bereich und dem, was bei der Facebook Connect angekündigt wurde, zeigt eindeutig, dass es sich um „work in progress“ handelt, und die Geschichte spricht nicht dafür, dass alles wie geplant funktioniert.
Ich bin jedenfalls auf die ersten Meta-Produkte gespannt und kann mir auch vorstellen, sie auszutesten. Nicht zuletzt, weil das auch für die PR neue Türen öffnen könnte.
Bis dahin in gesunder Skepsis
Falls ihr euch übrigens fragt, was der Unterschied zwischen Augmented und Virtual Reality ist: „Augmented Reality“ heißt, dass in der echten Welt ein virtuelles Objekt platziert wird. Denkt an die klassischen Hologramm-Videokonferenzen aus Star Wars oder Avengers, oder einfach an Pokemon Go. „Virtual Reality“ dagegen würde bedeuten, wirklich komplett in die neue Welt einzutauchen, z. B. mit einem entsprechenden Headset.
Hint für alle, die in den nächsten Jahren darüber schreiben wollen: VR-Games ermöglichen nicht nur positive neue Möglichkeiten, sondern ganz sicher auch die nächste unnötige „Killerspiel-Debatte“.
Ich kann mir übrigens noch nicht ganz vorstellen, wie man eine Art „offene virtuelle Welt“ schaffen will, die niemandem gehört. De facto müssten sich da Apple, Facebook, Google und zahlreiche andere Tech-Giganten auf eine gemeinsame Lösung einigen, die jedem offen steht. Das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, womit diese Unternehmen aktuell auffallen.