Sind die Leute, die jetzt Jan Böhmermann beim ZDF anschwärzen wollen, eigentlich genau die gleichen Leute, die #JeSuisCharlie getwittert haben und ganz woke feststellten, dass Satire wirklich alles darf?
Die Doppelmoral bei politischer Satire ist immer wieder bemerkenswert. Wem es wirklich ernst mit der Kunstfreiheit ist, der verteidigt Satire auch, wenn man sie nicht lustig findet - vielleicht sogar gerade dann.
Jedenfalls kursieren jetzt wieder Meinungsäußerungen, dass ein Video wie das von Böhmermann nichts in einem öffentlich-rechtlichen Medium verloren habe. Damit kann ich schon etwas mehr anfangen, solange man mir erklärt, wer es denn sonst machen soll. Denn auch, wenn Böhmermanns Sendung polemisch und vereinfacht ist oder uns aus sonstigen Gründen nicht gefällt - sollten wir nicht wollen, dass man die Regierung auch hart kritisieren kann? Ich bin jedenfalls nicht der Meinung, dass einem Satire immer gefallen muss. Also Charlie Hebdo bitte nicht abschaffen, nur weil sie jetzt auch Karikaturen bringen, die ich geschmacklos finde.
Was ist dran an der Böhmermann-Kritik?
Grundsätzlich spricht Jan Böhmermann in seinem Beitrag darüber, dass Sebastian Kurz gerade eine Art türkise Machtergreifung durchführe. Dabei gehe es darum, vier Dinge zu kontrollieren, damit einem “das Land gehöre”: Regierung, Medien, Parlament und Justiz. Im ganzen Beitrag wird nicht nur nichts Falsches behauptet, sondern auch nichts Neues - all diese Dinge sind in Österreich bereits bekannt. Das einzig Neue ist das Narrativ, dass Kurz deswegen ein Autokrat sei. Aber gehen wir’s mal der Reihe nach durch:
Die Regierung sichert sich Sebastian Kurz demnach, weil er in seiner eigenen Partei “die Kontrolle übernommen” habe. Dass es einen Koalitionspartner gibt, der es einfach nicht schafft, sich durchzusetzen, ignoriert Böhmermann relativ gut - aber was ist eigentlich so außergewöhnlich daran, wenn ein Parteichef sich in seiner Partei durchsetzt? Das einzig Schlimme an diesem Teil ist, dass Kurz wichtige Posten mit Freunden besetzt - die persönliche Nähe ist wichtiger als die Kompetenz. Aber das kennt man ja in Österreich. Ganz anders, als einen ÖVP-Chef, der seine Partei im Griff hat.
Die Medien kontrolliert Sebastian Kurz laut Jan Böhmermann auch. Legitimer Punkt: Die Politik regiert in den ORF hinein. Weniger legitimer Punkt: Eine SMS nicht von, sondern über den PRESSE-Chefredakteur Rainer Nowak wird als Beweis geführt, dass “die Medien” mit dem ÖVP-Chef unter einer Decke stecken. Ich will nicht in Frage stellen, dass es einige parteinahe Journalisten in diesem Land gibt - aber mit der Berichterstattung im STANDARD oder im FALTER wird der Kanzler eher weniger zufrieden sein.
Das Parlament gehorcht auch Sebastian Kurz. Das war jetzt mein Statement, nicht das von Böhmermann. Aber das beste Argument für diese These ist nicht der Ibiza-U-Ausschuss. Im Gegenteil: Ich halte den Ausschuss für eine Bewährungsprobe für das Parlament. Obwohl es mit Hinhaltetaktik1 immer langsamer geht, werden da Stück für Stück neue Postenschacher-Episoden aufgedeckt - das ist politisch sinnvoller als das, was sonst im Parlament passiert. Denn der Klubzwang sorgt nicht erst seit dieser Legislaturperiode dafür, dass der Nationalrat der verlängerte Arm der Regierung ist. Juristisch macht das Parlament die Gesetze - de facto werden diese dort abgenickt.
Die Justiz ist der einzige Punkt, den ich im Böhmermann-Video also relativ stark formuliert finde. Dass die ÖVP die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft offensichtlich als Gegner sieht, sollte Auskunft genug sein. Aber gerade die jüngste Episode, die es nicht in den Beitrag geschafft hat - dass das Verfassungsgericht vom Bundespräsidenten einfordert, die Weitergabe von Chatprotokollen an den U-Ausschuss durchzusetzen - zeigt ein Loophole in unserem Rechtstaat auf: Was ist, wenn sich Kanzler und Minister einfach weigern, der Verfassung zu folgen?2
Die Böhmermann-Methode
Böhmermanns Kritik ist immer gleich: Guilty by association. Ich kenne diese Taktik. Denn mein Ex-Arbeitgeber Addendum musste sich eine ähnlich “fundierte” Kritik geben. In einer Folge über Red Bull und das Medienimperium des Dietrich Mateschitz kam die Stiftung Quo Vadis Veritas, die mein Gehalt bezahlt hat, nicht besonders positiv weg - denn es sei ja einfach das nächste rechtsextreme Medienprojekt. Denn Mateschitz = Red Bull = Extremsport = Felix Baumgartner = Rechte Facebook-Postings. Also: Rechte Facebook-Postings -> Red Bull -> nächstes Projekt von Mateschitz.
Und diesmal ist das auch Sebastian Kurz passiert. Dabei wäre eigentlich genug Platz gewesen, um 30 Minuten lang fundierte ÖVP-Kritik zu bringen. Aber man kann natürlich auch Facebook-Postings des früheren Vizekanzlers einer anderen Partei als Argumentationsgrundlage nehmen. Da wurde leider auch viel Zeit verschwendet, und das eröffnet Angriffsfläche.
Dazu kommt, dass die Kritik teilweise polemisch formuliert wird und sich an einem Narrativ orientiert, das man zu glauben hat. Nehmen wir nochmal das Thema Medien: Ja, es gibt ÖVP-freundliche Medien. Aber liegt das daran, dass die alle von Sebastian Kurz kontrolliert werden? Oder vielleicht doch auch daran, dass sie strukturell abhängig von öffentlichen Geldern sind? Die Corona-Förderungen sind für viele ohnehin krisenanfällige Medienunternehmen eine wichtige Finanzierungsquelle geworden - den großen Leitartikel, in dem man den Verfassungsbruch des Finanzministers auch so benennt, überlegt man sich eventuell zweimal. Und besonders schlimm ist der Verdacht: Manchmal können Journalisten sich auch auskennen und trotzdem eine andere Meinung vertreten, als man selbst.3
Viel an Kritik kann man also auch leicht einordnen, wenn man ein bisschen Ahnung hat. Aber das haben viele nicht, die Böhmermann schauen. Nicht, weil das ZDF-Publikum so dumm ist, sondern weil es eben Deutsche sind und Nachrichten über Österreich Nachrichten aus dem Rest der Welt sind. Wir können pointierte Meinungsstücke über deutsche Politiker vermutlich auch nicht perfekt einschätzen. Es liegt also nahe, dass einige Deutsche diesen Beitrag sehen und denken, Österreich drifte wirklich in eine Diktatur ab. Aber ist das so?
Schlecht? Ja. Aber autoritär?
Meine Meinung dazu erstmal in Kurzform:
Ja, Sebastian Kurz und die ÖVP machen unglaublich viele Fehler und es ist nicht ungerecht, sie zu kritisieren.
Der Beitrag im ZDF-Magazin ist verkürzt und teilweise schwach argumentiert.
Trotzdem sind provokante Böhmermann-Beiträge Satire und sollten bedenkenlos gesendet werden dürfen.
Diese Standpunkte widersprechen sich nicht.
Mir wäre es lieber gewesen, einen Beitrag zu sehen, der die Türkisen wirklich ins Schwitzen bringt. Weil auch mir nicht egal ist, wenn ein Minister sich nicht um die Verfassung schert und die Truppe um Sebastian Kurz offensichtlich keine Limits hat, wenn es darum geht, die eigenen Leute zu schützen. Vieles, was rund um den Ibiza-U-Ausschuss passiert ist, hat eine ganz schlechte Optik, und ich wäre jederzeit bereit, diese Regierung abzuwählen.
Aber trotzdem muss man sich vor Augen halten, wie es wirklich ist. Das wichtigste Thema momentan ist immer noch das Management der Pandemie. Die meisten Menschen interessieren sich einfach nicht für Chatprotokolle zur staatlichen Beteiligungsagentur. Und so schlimm die Ignoranz der eigenen Verfassung ist: Es geht immer noch um Chatprotokolle, und nicht um die Ausschaltung der Demokratie. So wichtig Kritik auch ist - man muss immer aufpassen, nicht zu oft “Wolf” zu schreien, weil dann niemand mehr hinhört, wenn wirklich die Wölfe kommen.
Ich stimme der ÖVP-Kritik oft und gerne zu. Aber dass wir in einem autoritären Staat leben, das geht mir zu weit. Ein Teil des Böhmermann-Beitrages geht inhaltlich zu weit - aber das heißt nicht, dass er wirklich zu weit geht. Es geht nicht darum, ob einem Satire gefällt, sondern es geht darum, dass sie einem auch nicht gefallen darf. Und ich denke, in einem nicht-autoritären Staat tun wir gut daran, das Unseriöse zu ignorieren, über ein paar Witze auch mal lachen zu können und nicht sofort zensieren zu wollen, wenn Österreich in den Spiegel schauen muss.
Einen schönen Start in die Woche
Gernot Blümel und Sebastian Kurz wissen, dass sie Dinge an den U-Ausschuss weitergeben müssen. Aber erst, als es unausweichlich war, wurden die bereits ausgedruckten Dokumente weitergegeben. Mein Ex-Kollege, Jurist und Schon-irgendwie-Journalist Ralph Janik, vergleicht das im Podcast In bester Verfassung mit dem “Spielen auf Zeit” in den letzten Minuten eines Fußballspiels - denn der U-Ausschuss ist zeitlich begrenzt.
Um die Dringlichkeit des Problems rund um die Herausgabe der Chatprotokolle etwas besser einordnen zu können, empfehle ich diesen Artikel im STANDARD: Blümels Verfassungsbruch: Das noch nie Dagewesene.
Ein Beispiel für einen Journalisten, dem auf Social Media schon oft “ÖVP-Nähe” unterstellt wird, der aber trotzdem immer wieder gute und treffende Analysen liefert: Das Innenpolitik-Briefing von Oliver Pink. Ich würde den Text gerne verlinken, aber ist halt eine Mail, darum zusammengefasst eine besonders provokante These: Viele, die Kurz als “Autoritären” in der eigenen Partei sehen, wollen eigentlich nur die alte ÖVP zurück. Nicht, weil sie inhaltlich so cool war - sondern weil sie immer nur Juniorpartner war.