Ich hab doch schon erzählt, dass ich Aktien habe, oder? Einer von euch hat sich das gemerkt und gefragt, warum ich genau Twitter gekauft habe. Weil in meinem Text dazu ja steht, dass wir diese Debatte noch führen werden.
Gekauft habe ich natürlich zum genau falschen Zeitpunkt. Twitter hat gerade spannende neue Features vorgestellt - also etwas, wofür das soziale Netzwerk nicht unbedingt bekannt ist. Während Facebook und damit verbunden auch Instagram gefühlt im Monatstakt die gesamte Seite ändern, hat Twitter im Wesentlichen noch die gleichen Funktionen, die es 2009 hatte: Schreib etwas mit Zeichenlimit und hau es raus in die Welt.
Darum war die Bezeichnung Head of Product bei Twitter auch lange Zeit ein Wanderposten. Während sich die restlichen Tech-Konzerne mit 10- bis 15-Jahres-Plänen, permanent neuen Ideen und Copycat-Strategien immer neu positionierten, wusste Twitter nicht genau, wohin. Das mag auch daran liegen, dass Firmenchef Jack Dorsey an unzähligen anderen Projekten mitarbeitet und immer wieder als “part-time CEO” bezeichnet wird.
Das hat sich durch die Arbeit von Kayvon Beykpour geändert. In diesem lesenswerten Interview beschriebt er, wie sich Twitter auf einige Bereiche stark konzentriert, statt überall mitmachen zu wollen. Und durch die zahlreichen neuen Funktionen, die Twitter entweder bereits eingeführt oder schon angekündigt hat, habe ich das Gefühl, dass sich der Wind dreht für die Plattform, die seit über zehn Jahren im Schatten der Großen steht.
Twitters neue Funktionen
Fleets sind Twitters Antwort auf Stories. Das ist nichts, was 2021 noch besonders innovativ wäre - aber immerhin gibt es jetzt auch auf Twitter Platz für Content, der nicht besonders lange stehen bleiben sollte, aber immer noch Content ist. Auf anderen sozialen Medien ist genau das der Platz für den echten, authentischen Inhalt - ob sich das auf Twitter, wo nicht nur in Österreich hauptsächlich Medienmenschen unterwegs sind, auch so einbürgern wird?
Spaces sind Twitters Antwort auf Clubhouse, also ein Angebot für Social Audio: Twitter Spaces sind virtuelle Räume, in die man sich einfach einklinken und miteinander reden kann. Diese Änderung hat vor allem Potenzial, weil Twitter Größenvorteile hat: Warum eine neue Reichweite auf Clubhouse aufbauen, wenn man bereits bestehende Follower auf Twitter hat? Gerade im Journalismus könnte es dafür Use Cases geben - vor allem, weil Twitter an bezahlten Tickets für solche Online-Veranstaltungen arbeitet.
Dazu kommt die bereits angekündigte, aber noch nicht umgesetzte Funktion des Super Follow: Wenn man einem Account besonders gerne folgt, kann man ihn auch bezahlen, um exklusivere Inhalte zu sehen. In Österreich kann ich mir zwar nicht vorstellen, dass das ohne Leaks geht - allerdings könnten sich größere Accounts wie ZIB2-Moderator Armin Wolf oder FALTER-Chefredakteur Florian Klenk damit wahrscheinlich recht schnell ein akzeptables Nebeneinkommen aufbauen. Das Problem ist nur: Eine Paywall für Tweets braucht ein Konzept. Und daran scheitert schon der traditionelle Journalismus.
Dazu kommt ein Tip Jar, also eine digitale Trinkgeldbox für Tweets. Wenn ich einen Account nicht abonniert habe, aber trotzdem das Gefühl habe, dass er sich diese Woche eigentlich etwas verdient hat, kann ich also ohne große Mühe und ohne Commitment Geld schicken. Wieder: In Österreich wahrscheinlich eher schwierig, aber es bestätigt klar den Trend zur Creator Economy.
Und als wäre das nicht schon genug Veränderung, kommt mit Twitter Blue jetzt auch bald eine Bezahlvariante von Twitter mit Extra-Funktionen.
Was Twitter Blue können wird
Twitter Blue wird eine Bezahlvariante um 3 $ im Monat, mit der User einige neue Features haben. Nichts davon wird nötig sein, um auf Twitter das Übliche zu machen - es ist eine Extra-Version für Hardcore-User, die sehr viel Zeit auf der App verbringen und ein bisschen Geld für Convenience übrig haben.
Andere Farben: Statt dem blauen Logo und App-Design wird es in Zukunft auch die Optionen Rot, Gelb, Grün, Orange und Lila geben.
Bessere Lesezeichen: Das ist wahrscheinlich die beste Nische, die Twitters Monetarisierung rechtfertigt. Aktuell kann man Tweets nur in die Lesezeichen hinzufügen. Bei mir bedeutet das einen Ordner, in dem sich Memes, “Später lesen”-Artikel, nette Details aus der Innenpolitik und interessante Statistiken den Platz teilen. Twitter Blue ermöglicht, Unterordner anzulegen.
Bessere Threads. Statt unleserlichen 1/17-Threads wird es auch die Möglichkeit geben, einen einfach lesbaren Modus zu öffnen, in dem Threads als normaler Text angezeigt werden.
Undo Tweets: Ein heiß nachgefragtes Feature ist der “Edit”-Button - den gibt es zwar immer noch nicht, aber in eine ähnliche Richtung geht “Undo”. Wer einen Tweet abschickt und direkt danach einen Typo findet, kann ihn schnell zurückziehen.
Das alles ist zwar für Twitters Dimensionen sehr beeindruckend, aber noch immer keine große Sache verglichen mit Facebook oder TikTok. Trotzdem glaube ich daran, dass das Unternehmen durch diese Änderungen nicht nur weiterleben, sondern auch profitieren wird. Zum ersten Mal hat Twitter nämlich nicht nur verstanden, dass die eigene Community eine Stärke ist, die sie anders ausspielen können als andere Plattformen - sie haben auch einen dezidierten Monetarisierungsplan, wo andere keinen haben.
Mark Zuckerberg denkt anders. Bei Facebook geht es immer darum, alles, was im Social-Media-Bereich funktioniert, so schnell wie möglich zu kopieren und auch für die blaue Seite mit all ihren Größenvorteilen zu nutzen. Manches davon funktioniert gut - der Facebook Marketplace z. B. scheint gut besucht und benutzt zu werden -, manches davon eher weniger - siehe Facebook Dating oder Facebook Gaming. Am Ende wird schon irgendwo Geld rausschauen, weil Werbekunden in einem weiteren Format Werbung schalten können. Das ist das Geschäftsmodell.
Twitter geht neue Wege
Twitter aber geht einen Weg, der Facebook nie interessieren würde: Zusätzlich zum Werbegeschäft, das aufgrund weniger Daten weniger Profit abwirft als das der Konkurrenz, können User auch für den Service zahlen. Das ist ein Zusatz zu Werbegeldern und Social Commerce. Kaum ein Facebook-User würde wirklich für diesen Zugang bezahlen - immerhin ist das Geschäft “Wir bezahlen mit Daten” schon längst in den Köpfen etabliert. Und überhaupt, warum soll ich für Geburtstags-Erinnerungen und Desinformation auch noch bezahlen?
Aber Twitter öffnet sich ein zweites finanzielles Standbein. Mit den Zahlungen an Accounts durch Super Follows und bezahlte Twitter Spaces wahrscheinlich sogar gleich ein drittes. Damit öffnet es sich Optionen, mit denen Facebook nur schwer konkurrieren kann, und setzt zum ersten Mal seit dem Zeichenlimit eigene Maßstäbe. All diese Änderungen sind ein massives Update, das Twitter massiv verbessern wird.
Wenn ich also Twitter-Aktien kaufe, dann tue ich das, weil ich darauf wette, dass dieses Geschäftsmodell das Unternehmen besser machen wird. Und es würde mich überraschen, wenn all diese guten Ideen scheitern würden. Außerdem ist es eine Wette gegen Facebook: Die größte Plattform der Welt ist langweilig geworden, und jede Alternative in dem Bereich kann sich automatisch leichter durchsetzen, weil die meisten User nach Alternativen suchen. Dass Twitter TikTok überholen wird, glaube ich zwar nicht - aber die Plattform ist auf einem guten Weg.
Damit einen schönen Start in die Woche