Wie Österreich auf eine Medienkrise zusteuert
Die meisten Menschen konsumieren online, aber Qualitätsmedien verschwinden hinter der Paywall
Eine der besten Quellen zum internationalen Zustand der Medienlandschaft ist der Reuters Digital News Report. Einmal jährlich werden dabei detaillierte Statistiken veröffentlicht, die sogar auf die Länderebene eingehen und konkret zusammenfassen, was sich aktuell medienpolitisch tut. In Österreich war das im Jahr 2020 die Diskussion um den Terroranschlag und was man dabei zeigen darf und was nicht - und die Tatsache, dass die permanenten Angriffe auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk durch die neue Regierung aufgehört haben. (Appreciated, liebe Grüne.)
Wer sich den Report gerne in Ruhe durchlesen würde, kann sich hier die Langversion geben. 👇
Aber mir ist beim Lesen ein Eindruck gekommen, der mit einigen Statistiken zu tun hat, die darin zu finden sind: Nämlich der, dass wir auf ein Problem in unserer Medienlandschaft zusteuern, das wir noch nicht am Schirm haben. Zuerst gehe ich ein paar wesentliche Fakten aus dem Report durch, danach gibt es das Conclusio dazu.
Medienvertrauen in der Corona-Krise gestiegen
Gute Nachrichten zuerst: Die Daten für Österreich zeigen, dass sich das Vertrauen in Nachrichten ganz allgemein verbessert hat. Kaum verwunderlich - letztes Jahr waren wir immerhin das erste Mal in der Situation, wirklich an der Dummheit anderer Menschen sterben zu können. Interessant ist der große Unterschied zwischen newsoverall und news I use - mehr als 10 % vertrauen Nachrichten nicht allgemein, sondern nur ihren Quellen.
Bei mir wäre das z. B. anders: Meine Go-To-Medien sind (neben nischigen Newslettern auf Substack) die PRESSE und der STANDARD - zumindest, wenn es um österreichische Themen geht. Trotzdem ist mein erster Reflex bei einem HEUTE-Artikel nicht, die Glaubwürdigkeit an sich anzuzweifeln, nur weil ich das Medium nicht so oft konsumiere. Wirklich disqualifiziert sind bei mir nur die bekannten Lieferanten von Falschinformationen aus dem Universum der parteinahen Medien.
Online überholt TV und Print
In dieser Grafik sehen wir, dass Online-Nachrichtenkonsum in den letzten Jahren das Fernsehen als das dominante Medium überholt hat. Auch die Nutzung von Social Media nimmt zu, während Print im freien Fall ist. Das ist nichts Neues und ein Trend, der sich lange abgezeichnet hat - aber immer noch produzieren prestigeträchtige Redaktionen, die früher eine große Rolle im öffentlichen Leben gespielt haben - simple Print-Produkte und führen “nebenbei” Websites, auf denen man diese Texte im schirchen Design gratis lesen kann. Dieser Chart zeigt, dass diese Zeit eigentlich schon vorbei sein sollte, aber nicht ist.
Es ist das ewige Problem österreichischer Medien mit dem Internet: Viele, die nicht online aufgewachsen sind, haben zu lange geglaubt, dass dieses Ding wieder weggeht. Und manche sind heute noch der Meinung, dass sich die eigene Marke - die in den 80ern immerhin noch die Leute politisiert hat - gegen Weltmarken wie Facebook oder Google durchsetzen kann. Langsam muss es dem letzten dämmern, dass der Zug abgefahren ist.
Besonders interessant ist es übrigens, den STANDARD dabei zu beobachten: Der hat sehr früh online Fuß gefasst und schafft es bis heute ohne Paywall. Es wäre gut für die gesamte Medienlandschaft, wenn das Experiment aufgeht.
Mehr Menschen zahlen für Online-Nachrichten
Dieser Trend zeichnet sich schon länger ab, und er geht in eine positive Richtung: Wenn mehr Menschen auch für Online-Journalismus zahlen - und nicht nur online als Goodie für eine Print-Zeitung dazubekommen, die im Sterben liegt -, ist das Geschäftsmodell von Medien evtl. bald langfristig gesichert.
Interessant ist, dass REUTERS dafür mehrere Gründe ausmacht. Der “Trump Bump” in den USA dürfte mehr Menschen für Politik interessiert haben - ich würde auch vermehrt Innenpolitik-Journalismus brauchen, wenn Richard Lugner plötzlich Kanzler wäre. Auch nationale Wahlkämpfe führen zu mehr Nachfrage nach Information, genauso wie die Pandemie. Alles nachvollziehbar - aber schön, das auch empirisch belegt zu haben.
Jeder Vierte teilt Medienberichte
Das ist auch nichts, was uns per se überraschen muss. Wir alle tun es, oder? Für Medienunternehmen ist das allerdings wichtig zu bedenken - v. a., wenn Traffic die entscheidende Kategorie für das Geschäft ist. Zeitungen konkurrieren heute nicht nur mit anderen Medien - und das auf internationalem Scale, viel Spaß gegen die NEW YORK TIMES -, sondern auch gegen Verschwörungs-Blogs und Weltuntergangs-Bullshit in sozialen Medien. Gerade mit einer Paywall wird das eher schwierig.
Neue Medienwelt trifft auf Österreich
Soweit die Daten, aber eines ist noch wichtig: Obwohl die Zahlungsbereitschaft steigt - sie liegt im internationalen Durchschnitt immerhin bei 17 % -, gibt es immer noch eine große Lücke zwischen denen, die Online-Nachrichten lesen und denen, die auch dafür zahlen. Oder anders gesagt: Vier von fünf Leuten informieren sich über das Internet, aber nur einer von ihnen zahlt davon.
Die Probleme davon sind offensichtlich:
Gerade in Österreich sind viele Medien strukturell abhängig von öffentlichen Förderungen oder Inseraten. Dass Inseraten-Bestechung durchaus gängig ist, zeigen auch die jüngsten Berichte über die VGN-Gruppe - nach kritischen Berichten über die ÖVP im NEWS-Magazin wird das Finanzministerium zukünftig nicht mehr dort werben.
Vom Lesermarkt abhängig sind also vor allem Qualitätsmedien, die nicht (nur) von Inseraten leben - und damit landet kritischer Journalismus hinter der Paywall. Vereinfacht gesagt heißt das: Wer er sich mit der Regierung verscherzt, muss eine Bezahlschranke einführen, wer die Hofberichterstattung mitmacht, bleibt gratis.
Noch dazu kommt der Wiederaufstieg der Parteimedien. Mit einer der höchsten Parteienfinanzierungen der Welt ausgestattet können diese sich eigene Kanäle leisten, für die Geld keine Rolle spielt. Dazu kommt, dass sie nur mit “branchenüblichen Standards” arbeiten müssen - das heißt, junge Journalist:innen kosten nicht viel, weil sie in echten Redaktionen auch keine fairen Gehälter mehr bekommen.
Mediale Zweiklassengesellschaft
Wenn ihr das so lest, habt ihr das gleiche Gefühl, das ich habe? Mir jedenfalls kommt vor, dass wir auf eine mediale Zweiklassengesellschaft zusteuern. Eine Gesellschaft, in der sehr viele Menschen ihre kostenlosen Nachrichten aus Boulevard- und Parteimedien beziehen und hin und her schicken, während eine wesentlich kleinere, informiertere Blase für Informationen zahlt, die dementsprechend besser recherchiert sind und in die Tiefe gehen.
Das heißt übrigens nicht, dass ich den Boulevard ablehne. Ich verstehe, dass es eine große Kunst ist, Dinge auch kurz zu schreiben - und so, dass es auch wirklich alle verstehen. Anders als früher habe ich heute kein Problem mehr damit, dass meine Familie die KRONE liest. Aber eine Gesellschaft, in der es eine kleine, gut informierte und eine sehr große “nebenbei interessierte” Gruppe gibt, kann sich immer weniger auf eine Art Konsens, eine gemeinsame Version der Wirklichkeit verständigen. Und das ist aus meiner Sicht ein politisches Problem.
Demokratiepolitisch ist es mir egal, ob jemand für bessere Sportberichterstattung zahlt. Oder für Feuilleton-Texte zu nischigen Themen, die für die allermeisten Menschen uninteressant sind. Aber wenn es um Politik geht und die Meinungsbildung auf Wahlen hinausläuft, wäre es im Allgemeininteresse, dass Bürger:innen gut informiert sind. Und wenn ein großer Teil der Gesellschaft sich primär dadurch informiert, die Wahrheit durch Dinge zu suchen, die auf WhatsApp herumgeschickt werden - wo sich neben Parteimedien auch die echten “Fake News” befinden, wie es gerade die Impfgegner:innen zeigen -, dann steuern wir offensichtlich auf ein Problem zu.