Es ist also passiert. Und es war für keinen überraschend. Nachdem die Bundesregierung am Donnerstag in einer Pressekonferenz-Ankündigungs-Pressekonferenz den Countdown laufen ließ und sich das Land mit der geleakten Verordnung in WhatsApp-Gruppen organisiert hat, haben wir jetzt den Lockdown. Und mir kommt vor, wir sind alle verwirrt. Muss das sein? In dieser Form? Was hätte man besser machen können? Und was soll das eigentlich alles und warum sollte ich nicht einfach rausgehen, auf alles scheißen und irgendwas anzünden?
Ich glaube, damit wir ein bisschen unseren Blutdruck senken und damit umgehen können, müssen wir verstehen:
Warum es zu diesem Lockdown gekommen ist
Warum das nicht so sein musste
Was wir tun können, damit das nicht mehr passiert
Und das ist das Thema dieses Textes.
Viele kritisieren die Regierung dafür, die Verantwortung abschieben zu wollen. Es wären ja nicht nur die Bürger Schuld, die ihre Kontakte nicht reduzieren und sich nach Normalität sehnen. Sondern auch die Politik, die dazu viel versäumt hat. Ich glaube, beides ist wahr: Politik und Gesellschaft haben versagt, und darum ist das letzte Mittel der Lockdown.
Politisches Versagen über den Sommer
Jeder wusste, dass die zweite Welle kommt. Und jeder konnte absehen, dass die Corona-Zahlen im Sommer nur unter Kontrolle waren, weil man sich draußen nicht so leicht anstecken kann. Verantwortungsvolle Politik hätte daran gearbeitet, mit einem Plan in den Winter zu gehen und alles zu tun, um einen Lockdown zu vermeiden. Das wurde auf beinahe allen Ebenen einfach verschlafen.
Warum hat man nicht über ein halbes Jahr junges, medizinisches Personal aufgebaut, um spezifisch Corona-Patienten helfen zu können? Das Problem sind nicht zu wenig Betten oder zu wenig Beatmungs-Geräte - sondern geschultes Personal. Jetzt kümmern sich die Länder darum und holen teilweise pensionierte Mediziner aus der Pension zurück. Es war absehbar, dass die Zahlen wieder explodieren können - dass wir nach wie vor nur 655 freie Intensivbetten in Österreich haben, ist politisches Versagen.
Warum hat man sich so lange mit einer völlig sinnlosen Corona-Ampel beschäftigt? Die Ampel wurde lange angekündigt und ist dann dem österreichischen Wettbewerbs-Föderalismus zu Opfer gefallen. Am Ende ist nicht klar, was der Unterschied zwischen den einzelnen Farben ist - nicht mal auf der Website war ersichtlich, was das bedeutete. Klare Richtlinien, was wann zu tun ist und was rechtlich bindend ist? Fehlanzeige. Zeitverschwendung. Und weil es ohnehin schon niemanden mehr interessiert hat, wurde jetzt einfach fast ganz Österreich auf Rot gestellt - weil nur noch die Symbolfarbe funktioniert.
Warum gibt es kein Konzept für die Schulen? Die Frage, wie gefährlich Kinder als “Superspreader” sind, wurde im Laufe des Sommers immer wieder auf beide Arten beantwortet - gerade hier war es lange sehr schwierig, einen Überblick über die Datenlage zu kriegen. Warum lässt man dann völlig planlos Kinder in die Schulen, ohne zu wissen, wer unter welchen Voraussetzungen in Quarantäne muss und was danach passiert? “Einfach oft lüften” ist im Winter nicht ausreichend und fördert Erkältungskrankheiten - da wurde überhaupt nicht mitgedacht.
Und ist kein vollständiges Bild. Neben dem Versagen in fast allen gesellschaftlichen Teilbereichen - eine löbliche Ausnahme könnte der Tourismus sein -, bleibt auch das typische Schielen auf Umfragewerte. Wenn Kurz sieht, dass Anschober in den Umfragen beliebt wird, beschäftigen wir uns mitten in einer Pandemie wieder mit “Politik-Politik” und mit sinnlosen Koalitionskrisen, weil es neben dem Bundeskanzler keinen anderen Gott geben darf. Es gibt nichts Unwichtigeres als Umfragewerte für eine Wahl, die momentan nicht mal unter normalen Bedingungen stattfinden könnte - aber manche Politiker kommen einfach nicht aus ihrer Haut.
Aber es ist nicht nur die Regierung, die hier versagt hat. Ich will da auch die FPÖ nicht aus der Verantwortung nehmen. Denn während die Freiheitlichen auf Facebook Videos mit “Könnt ihr euch noch an den ersten Lockdown erinnern?” raushaut, erinnere ich mich an die Worte von Norbert Hofer:
Ich fürchte mich nicht vor Corona, Corona ist nicht gefährlich. Da ist der Koran gefährlicher, meine Lieben, als Corona.
Dass die FPÖ sich in Richtung der Verschwörungstheoretiker und Impfgegner umorientiert, zeichnet sich schon länger ab. Aber aus ihrem internen Richtungsstreit zwischen Fundamentalopposition und “seriöser Rechtspartei” heraus völlig anlasslos Corona zu verharmlosen, ist nicht nur politisches Versagen - es ist fahrlässig, es ist bösartig, es ist niederträchtig. Und es führt mich auch zum nächsten Punkt: Dem gesellschaftlichen Versagen.
Es waren auch wir selbst Schuld
So berechtigt die Kritik an der Regierung auch ist - sie ist nicht alleine Schuld. Und es war auch nicht alles schlecht. Den Ansatz, Maßnahmen regional zu treffen, zu evaluieren und dann nachzuschärfen, halte ich für sehr sinnvoll - und das hat auch dafür gesorgt, dass wir den Sommer vergleichsweise normal erleben konnten, vor allem im Vergleich mit vielen anderen europäischen Ländern. Aber vieles kann man einfach nicht mit Maßnahmen regeln.
Man muss es einfach so offen aussprechen: Wir haben den Kampf gegen die Corona-Leugner ein Stück weit verloren. In einer normalen Grippe-Saison hält es eine Gesellschaft aus, wenn sich einige nicht impfen lassen. Aber bei einem so einfach zu verbreitenden und gefährlichen Virus wie COVID-19 müssen wir einfach zusammenhalten. Und ich fürchte, die kritische Masse an ihnen ist zu groß geworden. Es sind - und das ist sonst nicht meine Ausdrucksweise in diesem Newsletter - faktenresistente, ignorante Volltrottel, die lieber das Leben anderer gefährden, als Unrecht zu haben.
Und die haben die Oberhand. Ich rate jedem von euch, einfach mal Facebook zu öffnen und irgendeinen Artikel mit Corona-Bezug aufzumachen. Hier werdet ihr die sechs Arten von Corona-Leugnern finden, die mit ihren immer gleichen “Argumenten” Stimmung machen. Tenor: Corona ist nicht gefährlich, das ist alles erfunden, wir steuern wegen Masken auf eine Diktatur zu, ich kenne keinen der krank ist, und hier der Link zu einem vorverurteilten Trickbetrüger auf YouTube der es besser weiß als alle Experten. Das ist das Niveau, auf dem sich der gesellschaftliche Diskurs bewegt.
Ich habe für mich die Antwort darauf gefunden, zu antworten. Einfach, damit was dabei steht. Damit Bullshit nicht unwidersprochen stehen bleibt und damit Menschen wie meine Omas nicht mitlesen und glauben, dass das wahr ist und sie keine Maske tragen sollten. Aber eigentlich bin ich pessimistisch. Eigentlich weiß ich auch, dass das nicht bringt. Weil die zu Tausenden rausgehen und stolz in die Welt schreien, dass sie lieber uns alle mit in den Abgrund ziehen würden, als sich einmal mit der Welt zu beschäftigen. Und das deprimiert mich mehr als jedes politische Versagen.
We’re fucked ¯\_(ツ)_/¯ …
aber wir können was dagegen tun!
Es hätte alles nicht so sein müssen. Wenn wir eine Regierung hätten, die sich für mehr interessiert als Pressekonferenzen, Ankündigungen und interne Umfragewerte, wären wir noch nicht in dieser Situation. Wenn wir nicht schon lange den Verschwörungstheoretikern die öffentliche Debatte überlassen hätten, wären Masken selbstverständlich und ein Lockdown nicht nötig. Aber wir haben’s verkackt.
Wir haben auf allen Ebenen versagt. Und die, die auch bei 5.000 Fällen pro Tag noch so tun, als sei das alles eine Grippe, versauen uns gerade nicht nur die nächsten Wochen mit dauerhafter Quarantäne, sondern sie sorgen auch für Tote. Für die Corona-Toten auf überfüllten Intensivstationen und die zahlreichen Toten, die aus der resultierenden Wirtschaftskrise kommen. Und sie werden nach wie vor darüber lachen und normale Menschen anschreien, wenn sie mit ihnen darüber reden wollen. Es ist traurig und es macht mich wütend, in so einer Gesellschaft zu leben - aber was soll man da noch machen?
Ein paar Ideen hab ich dazu. Und wie immer sind meine Lösungen hauptsächlich diskursorientiert. Mein Newsletter-Abonnenten sind natürlich nicht im Coronaleugner-Camp und deshalb muss ich nicht an Maßnahmen wie Abstand, Lüften, Masken und Hygiene erinnern. Aber ein paar Dinge fallen mir noch ein:
Machen wir die Bullshit-Fraktion wieder zum Thema. Immer, wenn jemand glaubt, dass er es besser weiß als alle Mediziner, Wissenschaftler und sonstige Experten auf dem Planeten - reden wir dagegen. Werden wir laut. Es gibt keinen Grund, warum irgendjemand sich damit wohl fühlen sollte, so ignorant durchs Leben zu gehen, dass andere daran sterben. Streiten wir wieder. Egal ob online oder offline.
Gleichzeitig - und das ist mir noch wichtiger - sollten wir uns nicht mehr dafür “schämen” müssen, wenn wir regelmäßig an Fakten erinnern. Ja, die Corona-Leugner sind laut, sie sind hämisch und sie sind online oft in der Überzahl. Aber warum reden die eigentlich von oben herab? Wir sollten viel eher stolz darauf sein, nicht von der Realität abgekoppelt zu leben. Und wir sollten uns auch dabei unterstützen, wenn wir irgendwelche Spinner an Masken erinnern müssen.
Wir müssen es auch wieder normal machen, zu Politik eine Meinung zu haben. Mir ist egal, wie viele Medien ihr konsumiert. Man muss nicht studiert haben, um zu begreifen, dass die Politik über den Sommer nichts getan hat, um diesen Zustand zu vermeiden. Und wir sollten nach diesem Lockdown verlangen, ja einfordern, dass es keinen dritten Lockdown geben darf. Alles, was jetzt zum zweiten Mal verschlafen wird, ist ein unverzeihbarer Fehler, der einen Absturz auf 0 % bei der nächsten Wahl rechtfertigt.
In Kurzform: Reden wir darüber. Im ersten Lockdown habe ich schon erlebt, dass sich Menschen wieder re-politisieren und ihre Meinungen zu Politik laut diskutieren. Aber im Sommer haben wir uns zurückgezogen und den Verschwörungstheoretikern das Feld überlassen. Insofern würde ich sagen: Wenn wir schon daheim eingesperrt sind, dann sollten wir wenigstens daran arbeiten, dass das nicht nochmal passiert. Und dafür müssen wir wieder anfangen, miteinander zu reden. Das ist kein revolutionärer Ansatz - aber für mich ist es momentan alles, was wir haben.
Stay Home, stay safe.