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Eine Regierungsumbildung mitten im Lockdown ist unwürdig - lasst uns wählen.
Österreich ist gerade in einer paradoxen Situation. Wir sind am Höhepunkt einer Pandemie, die von der Bundesregierung bereits mehrmals als “die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg” bezeichnet wurde. Gleichzeitig ist die größere der beiden Regierungsparteien gerade ausschließlich mit sich selbst beschäftigt und plant eine Umbildung, während 10.000 Menschen pro Tag sich trotz Lockdown mit COVID-19 anstecken.
Ein Überblick über das Regierungschaos
Und weil man ja nicht wissen kann, ob die Welt morgen noch steht - während ich das schreibe, sind bereits folgende Personaländerungen bekannt:
Sebastian Kurz tritt als ÖVP-Parteiobmann zurück und zieht sich komplett aus der Politik zurück. Offiziell, um Zeit mit seinem Kind zu verbringen und weil ihm die Lust auf Politik vergangen ist. (Inoffiziell: Hier.)
Karl Nehammer wird neuer ÖVP-Chef und damit Bundeskanzler. Er löst Alexander Schallenberg ab, der den Posten immer nur auf Zeit übernehmen sollte - auch, wenn das am Anfang unterschiedlich kommuniziert wurde.
Alexander Schallenberg wird wieder Außenminister. (Und nein, ich habe keine Ahnung, was jetzt mit Michael Lienhart passiert.)
Gerhard Karner soll Karl Nehammer als Innenminister ersetzen. Bis jetzt war er Zweiter Landtagspräsident in Niederösterreich.
Gernot Blümel tritt als Finanzminister zurück, sein Nachfolger soll der Ex-Staatssekretär Magnus Brunner werden, der den ungefähr ÖVP-lastigsten Lebenslauf aller Zeiten hat.
Claudia Plakolm ersetzt Brunner als Staatssekretärin im Bundeskanzleramt. Sie ist die jüngste Abgeordnete im Nationalrat und die Chefin der Jungen ÖVP.
Heinz Faßmann tritt als Bildungsminister zurück, ihm folgt Martin Polaschek, der Rektor der Universität Graz.
Das sind alles Änderungen, die man als eine fast schon übliche Regierungs-Rochade bezeichnen könnte. Wenn wir nicht mitten im Lockdown wären. Jeden Tag sterben Menschen komplett vermeidbar an ihrer eigenen Dummheit und Fehlern der Politik - und es wäre jeden Tag Zeit, das zu ändern. Aber Krisenmanagement geht nicht, wenn die ÖVP permanent mit ihren eigenen Nebenschauplätzen beschäftigt ist.
Es ist der falsche Zeitpunkt.
Bitte versteht mich nicht falsch: Ich bin immer für einen guten Rücktritt und dafür, dass man die Leute in Ruhe lässt, nachdem sie keine Personen des öffentlichen Lebens mehr sind. Insofern soll Sebastian Kurz die Zeit mit seinem Kind genießen, wenn er will. Aber gerade in einem Lockdown, der theoretisch am 13. enden sollte und von dem niemand weiß, wie es weitergeht? Ist das der richtige Zeitpunkt für eine Regierungsumbildung?
Und vor allem: Warum so viele? Sebastian Kurz hat sein Kind als Grund genannt. Es sagen zwar viele, dass das nur ein Opening ist, um möglichst gesichtswahrend aufzugeben, weil sich kein Comeback abgezeichnet hat - aber Spekulation beiseite, das ist zumindest eine offizielle Version, die man stehen lassen kann. Aber warum Gernot Blümel? Warum Heinz Faßmann?
Wieso tritt der Bildungsminister zurück, während die Schulen nicht wissen, wie sie mit der COVID-Situation umgehen und Eltern sich unsicher sind, ob sie ihre Kinder hinschicken sollten? “Ich habe keine Lust mehr” ist jedenfalls keine ausreichende Begründung.
Eine Krise braucht Krisenmanager, die als Fels in der Brandung stehen und Verantwortung übernehmen. Übrigens gerade, wenn man zurücktreten will - dann muss man nicht auf die Wiederwahl schauen und kann endlich den Mut entwickeln, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, die dafür wirken.
Aber die ÖVP sieht die Politik als Spielwiese.
Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Die rot-schwarze Regierung wurde gefühlt alle paar Monate ausgetauscht, um etwas an den immer wiederkehrenden Koalitionskrisen zu ändern. Der Effekt auf die Umfragen war kurz merkbar und dann wieder futsch, während die FPÖ jahrelang die Regierungen vor sich hertrieb. Und auch in der Kurz-Regierung wurde schon ausgetauscht: Ulrike Lunacek ging wegen Kritik aus dem Kunst- und Kulturbereich, Christine Aschbacher stolperte über Google Translate.
Richtig gemacht hat es bislang nur Rudi Anschober. Der ging nicht in der Mitte eines Lockdowns, obwohl es ihm da sicher auch schon schlecht ging. Sondern vor dem Sommer, als noch genug Zeit war, sich auf den Herbst vorzubereiten. (Als Oberösterreicher hätte er aber ahnen können, dass wegen der Landtagswahl genau gar nichts passieren wird.)
Diese Rochaden machen offensichtlich, dass auch Regierungsfunktionen letztlich als das gesehen werden, worum es vielen in der Politik zu gehen scheint: Posten. Posten, die man besetzen kann mit Leuten, die loyal sind und die sich intern gut angestellt haben. Echtes Interesse, Kompetenz oder Erfahrung sind dabei nicht die Kernfaktoren. Und gerade in einer Krise, in der jeden Tag Menschen sterben, wäre es höchst an der Zeit, das zu ändern.
Das soll übrigens nicht heißen, dass die Personaländerungen alle schlecht sind. Ich halte Karl Nehammer für einen Aufstieg zu Sebastian Kurz, zu Karner und Polaschek habe ich noch keine Meinung. Es geht ums Prinzip: Mitten in einer Krise erwarte ich mir staatsmännisches Verhalten. Und nicht, dass sich eine Regierungspartei nur mit sich selbst beschäftigt.
Es wird immer klarer, dass bald gewählt werden muss.
Sebastian Kurz, der für viele wohl das größte Argument für die Wahl 2019 war, ist weg.
Die Regierung ist in großen Teilen ausgetauscht und nicht mehr wiederzuerkennen.
Korruptionsvorwürfe stellen das Image der “Wir patzen niemanden an”-Partei in Frage.
Die Pandemie hat all die Inhalte und Zukunftsvisionen, die wir im Sommer 2019 noch besprochen haben, über den Haufen geworfen.
Jetzt wäre es Zeit für eine Neuwahl, damit wir mit neuer Information entscheiden können. Damit könnte man auch diesem schrecklichen politischen Stil endlich eine Absage erteilen.
Sowas von ready dafür,